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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Donnerstag, 23. Dezember 2010

Die ganz großen Fische von Hamburg/Teil 1.


Rüdiger Kowalke begrüßt die Gäste. Er ist ein Muster an hanseatischer Eleganz. Keine Tischreservierung? Kein Problem. Es lässt sich was finden für uns und weil wir aus Wien sind, schaut man darauf, dass wir von unserem Tisch auch etwas zu sehen kriegen. Der Hamburger Hafen. Das wußte schon meine Oma, dass hier die große weite Welt hereinschaut. Jetzt diskutiert man gerade, ob man die Elbe vertiefen sollte. Die großen Schiffe brauchen Platz. Vielleicht schwimmt ja auch der eine oder andere Riesensteinbutt vorbei, wenn er sich nicht durch Tanker und Containerschiffe belästigt fühlt. Steinbutte, von denen wir im Binnenland nur träumen können. Die nichts mit den Kindermorden zu tun haben, die man uns etwa am Naschmarkt auf die Teller hievt. Meine Raunzerei über die Wiener Zustände wird immer am stärksten, wenn ich gerade nicht da bin und ist eine Nervenprobe für meine Tischfreunde. Also schnell einen zweiten Campari-Orange bestellt. Er passt in den ultrakonsi Rahmen des Fischereihafenrestaurants. Ein Ort, wo die Zeit stillzustehen scheint und damit wunderbar. Die Restaurant gewordene Muße. Man beginnt zum Beispiel mit Räucheraal auf Rührei und leicht getoastetem Pumpernickel. Ein Signaturedish der Hanseaten. Und wie gut das schmeckt! Denn das Rührei wärmt den Aal, der - natürlich - von besonders erlesener Fettigkeit und Aromatik ist, ganz leicht und lässt ihn somit noch mehr brillieren. Darf oder soll es dazu ein Sauvignon Blanc von der Loire sein? Aber ja. Die frischgefangene, im Ganzen servierte Kutterscholle ist so riesig, dass man ehrliche Bedenken kriegt, wie so ein Kutter solche Fische an Land bringt, ohne selbst vor die Fische zu gehen. Oder sagt man hier auch Hunde? Sie wird mit ausgelassenem Speck serviert und ist so richtig für uns Hafenarbeiter. Schließlich der Butt. Die kleine Portion. Es muss ein Steinbutt von gut und gerne mindestens 10 Kilo gewesen sein, ein ganzer Kerl, wie Tom Wolfe sagen würde, denn dieses ist ein wirklich ernsthaftes Stück Fisch. Und wie jeder Kerl hat er einen schönen Bart. Der Bart des Steinbutts ist mir immer sehr willkommen am Teller. Er hat die Textur von Gallerte und dennoch Festigkeit. Was braucht man dazu mehr als zum Beispiel Senfbuttersauce und sehr guten Petersilienkartoffeln? Das Bad in der Butter macht den Butt zu einem echten Leibgericht. Will heißen: nachher brauche ich nur noch ein Dessert mit Apfel. Calvados! Warum mir der in Hamburg viel besser schmeckt als in Paris? Darüber wird noch nachzudenken sein. Jedenfalls: Herr Kowalke, Kompliment aus Schnitzelland!

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Frau von und zu schlechter Kaffee.

Die Abschaffung des Adels im öffentlichen  Leben Österreichs: politisch vielleicht opportun, ästhetisch gesehen eher ein Desaster. Wir haben keine von Guttenbergs und keine van der Leyens in der Regierung, dafür jede Menge Bures, Hundsdorfers oder Prölls. Und das schlimme ist, dass diese Bures, Hundsdorfers oder Prölls auch so reden und aussehen, als ob sie Pröll, Hundsdorfer oder Bures heißen würden. (Von Karli Grasser oder Meischi gar nicht erst zu reden. Die sind ja nicht satisfaktionsfähig.) Also unerfreulich. Andererseits auch wieder verständlich, des Österreichers Abneigung gegen den Adel, wenn man zum Beispiel am frühen Morgen die Gräfin am Naschmarkt betritt. Hier hat einer gewiss nicht Lokalverbot: der Siff. Orangensaft "frisch gepresst" mit Wasser und am oberen Glasende schwebendem Fruchtfleisch. Die Buttersemmel: ein hartes, ofenheißes UFO mit selbst aufzuttragender Butter, die der Gast der Gräfin mit dem selben Messer zerteilt, mit dem er auch das Spiegelei mit Schinken schneidet - Sunny Side Down. Aber der tatsächliche Niedergang des Abendlandes, die wirkliche Wucht der Unverschämtheit findet in einer angeschlagenen Segafredotasse statt und heißt in diesem Lokal Cappuccino. Falls die Segafredos wegen Rufschädigung klagen, man würde es ihnen nicht verdenken. Dass der Wiener nach einem solchen Frühstück Grafen, Fürsten und ihresgleichen nicht sympathischer findet, ist ebenfalls höchst verständlich, wenn auch nicht immer fair. (ar)


Freitag, 17. Dezember 2010

Kompliment, küss die Händ'.





Die Eröffnung des Jahres. Das Restaurant des Jahres. Oder des Tages. Die Vorschußlorbeeren, die die PR-Heinis dem Westermann-Loft (Loft: was für ein Name!) aufsetzten, hätten gereicht, um mehrere Hektoliter Kaninchenragouts damit zu würzen. Kaninchen gibt es übrigens nicht im 18.Stock des sich nobel einführenden Sofitel, wo ich beim Aussteigen aus dem Taxi mit "Bonjour" begrüßt werde, was mich aufwachen lässt in einer kosmopolitischen Stadt, die ich in Wien gar nie vermutet hätte. Der Lift ganz nach oben ist schwarzlackiert, was den smashing Effekt der Aussicht im freiloftigen Restaurant noch eben steigert. Auf Wien und die Wiener herunterblicken, das können die Franzosen einfach wunderbar gut. Matchbox-Straßenbahnen, Minimenschen, Blick und Einblicke auf alle Dachterrassen der Innenstadt. Herrlich stelle ich mir meine Nachmittage vor, mit großem Teleobjektiv, so dass James Steward in Rear Window ein Witz ist gegen mich. Und während man hinaus- und also auch hinunterschaut auf die Menschen, die hier nicht essen und trinken, gibt es auch noch zu essen und zu trinken. Antoine Westermann war legendär in Straßburg, sein Bäckeoeffe brachte Siebeck zum Schwärmen. Sein Schüler kocht jetzt die von Westermann konzipierte Karte durch und macht seine Sache gut. Nicht hervorragend, nicht weltbewegend, sondern gut. Und das ist nicht schlecht am dritten Tag nach dem Aufsperren. Eine Paté en croute, klassisch, richtig. Eine Gänseleber mit Mohn gebraten, vielleicht etwas zuviel davon, vom Mohn, nicht vom braten, etwas Salat und sehr vergnüglich. Der bretonische Hummer ist wie er sich gehört (franz.: comme il faut), also richtig glasig und befindet sich in anregender Gesellschaft von knackigen Karotten, dem Modegemüse der nächsten Jahre, etwas Magreb-Würze mit kleinen Rosinen und Salat, sehr fein. Wie sehr lieben wir doch Froschschenkel. Und noch mehr die Reaktionen der politische korrekten Esser auf dieses ungeheuerliche Essen, so sie sich nicht schon beim Wort Gänseleber mit ihren moralischen Sprenggürteln selbst in die Luft befördert haben. Diese Schenkel sind gekonnt, schön gekräutert und gebuttert und keine Spur von zäh. Dazu gibt es mit Honig konfitierten Zwiebel (habe ich das jetzt richtig geschrieben?) gefüllte Ravioli und wie schon gesagt: du beurre, du beurre, du beurre. Westermanns Wiener Schnitzel findet der Kritikerkollege zäh (er saß an einem anderen Tisch), der Herr Fuhrer hingegen wunderbar: ein hauchdünnes Teil, als hätten sie es zum Plättieren mal kurz aus dem achtzehnten Stock geworfen, paniert, dazu gehacktes Ei, Sardelllen, Butter, hä, was machen die da mit dem Wiener Heiligtum? Preiselbeeren für die deutschen Heim-ins-Reich-Kehrer haben wir uns ja noch gefallen lassen, aber jetzt kommt der Franzmann mit Kapern und gehacktem Ei. Das geht dem Wiener zu weit. Oder vielleicht auch nicht. Denn zuvor muss er sich vom Schock erholen, dass es sein Hendel (aus dem Sulmtal) nicht gebacken gibt, sondern blass und knackig mit Erdäpfel, Lauch und schwarzen Trüffel nach dem Vorbild des elsässischen Bäckeoeffe. Das schmeckt schlabber schlabber gut, man tunkt nach mit dem köstlich knusprigem Baguette, noch ein Stück vom Huhn, herrlich, gut. Doch: die Sauce könnte mehr Charakter haben. Vielleicht muss man am Wein noch arbeiten. Wunderbar das Orangensoufflé mit einem Granité auf Grand-Marnier-Basis. Okay die Naschereien zum Kaffee. Der Marteen d'Hotel und seine Entourage führen das Lokal schon ziemlich perfekt, führen auch die Stammgäste aus anderen Ebenen in den 18.Stock so ein, als gäbe es das Loft schon seit Jahren. Man wird dem Restaurant, auf das Wien jetzt lange gewartet hat, noch ein bisschen Zeit geben müssen da und dort. Das ist die übliche Vorgehensweise. Aber klar ist, wenn man hier gegessen hat, dass Wien endlich einen Platz bekommen hat, auf den das Wort zutrifft: spektakulär. (ar)

Dienstag, 14. Dezember 2010

Le Flopp?

Man weiß es noch nicht. Das Le Loft im Wiener Sofitel hat heute gleichzeitig mit dem Hotel seine Tore geöffnet. Warum spricht man trotzdem in den Fressforen bereits darüber? Ein paar Journalisten, Esskritiker, waren bereits ein paar Wochen vorher da. Zum Vorkosten. Wäre ich nicht ich, sondern der Betreiber des Hotels, würde ich die PR Agentur jetzt, spätestens jetzt, rausschmeißen. (Interessant: diese Agentur steht um ein paar Häuserecken in gutem Kontakt zu den Herausgebern des mächtigsten Food&Wine-Magazins des Landes. Wir sind halt in Österreich.) Denn die Idee mit dem Preview-Menü scheint nicht ganz erfolgreich gewesen zu sein. Keiner der Kritiker äußert sich in seinen Kolumnen wirklich begeistert über das neue Restaurant und seine Küche. (Nur über die Architektur und die Aussicht sind sich alle einig: super.) Hinter vorgehaltener Hand hört man sogar noch schlimmeres. Warum darf uns das nicht verwundern? Die Idee, ein paar Esskritiker gemeinsam zum Dinner zu bitten, ist schon einmal deshalb gar nicht so gut, weil sich die nicht in jedem Fall riechen oder schmecken können. Aus Freundlichkeit lenken sie die Aggression nicht gegeneinander, sondern auf die Küche und den Service des vorhandenen Lokals. Wie gesagt: keine so gute Idee. Ob die Idee gut war, Antoine Westermann, einen verdienten Straßburger 3-Sternekoch, der vor fast zehn Jahren sein Lokal aufgegeben hat, zum Cook-not-in-Residence in einer Stadt zu machen, die zwar längst etwas kosmopolitischen Aufputz in ihren Küchen notwendig hätte, aber vielleicht jetzt nicht gerade nach der Hochküche des Elsass hechelt, erweist sich in den nächsten Wochen und Monaten. (ar)

Montag, 13. Dezember 2010

In der Hochblüte: Heinz Reitbauer.

Schreibt es einer, schreiben es bald alle. Heinz Reitbauer wird als Fahnenführer einer neuen vegetarischen Küche gehandelt. Sie beklatschen ihn, sie drucken Fotos seiner Gerichte. Vielleicht haben sie auch schon einmal im Steirereck gegessen. Bei Redzepi waren sie wohl eher nicht. Sonst wüßten sie, dass das, was in Kopenhagen passiert, ein vollkommen neuer Küchenstil ist, ein Stil, in dem die Unterscheidungen Fleisch und Gemüse vollkommen aufgehoben sind, in dem es um die puristische Anwendung lokaler Gewächse, Wurzeln, Kräuter, Baumrinden und Rentiere am Teller geht. Vegetarische Küche? Man muss lachen. Die Produkte, mit denen die Spitzenstars im Norden kochen, sind für Herrn und Frau Jederkoch noch jahrelang nicht zu haben. Ebensowenig, wie es den Supermärkten in Österreich gelingen wird, Schwarzkohl oder die berühmte Urkarotte in Serie zu fertigen. In Serie gefertigt werden bei uns weiterhin zwei bis drei Apfelsorten, Schweinsbraten und Grillwürstel. Dabei bleibt es. Wie gesagt: dass Heinz Reitbauer (was er immer schon tat, sogar in seiner Zeit am Pogusch) gerade seltene, zarte und hocharomatische Gemüse auf der Karte hat, ja sogar als Hauptgang anbietet: für mich eher eine Bestätigung des lange währenden Genieverdachtes dieses Küchenchefs als ein womöglich sogar politisch gemeinter Küchentrend. Schwarzkohl mit Ziegenmilch und Haselnußöl, Artischokensalat und Kollegen sind einfach leichte und erfrischende Alternativen zum Hummer und zum Steinbutt. Heinz Reitbauer erntet jetzt die Früchte seiner jahrelangen Bemühungen um ideale Lieferanten und kann seinen Gästen Produkte zubereiten, von denen andere Küchenchefs, die immer noch ElBullis warme Gelees zitieren, noch gar nichts gehört haben. Und genial: die Brühe aus federleichten herzerwärmenden Aromen zum winzigen Reh. Auch beim Saucenmachen hat Heinz Reitbauer als einer der ersten verstanden, worum es in der Avantgardeküche unserer Zeit geht. (ar)
www.steireck.com

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Was habt Ihr hier zu feiern?





Der Glitzermonat Dezember wird durch die Ansammlung von Weihnachtsfeiern nicht erträglicher. Für die Menschen in den Büros, die einmal im Jahr mit lustigen Spielchen, Punsch, Würstel aus dem Plastik, selbst gemachten Brötchen, noch mehr Punsch und Tätlichkeiten zwischen Abteilungsleiterinnen und Assistenten, an die man sich am nächsten Tag und auch die folgenden 365 Tage erinnern muss, die Weihnachtssau rauslassen, ist es eine Art willkommener oder jedenfalls aber ein Ausnahmezustand, eine Unterbrechung des dahintrottelnden Alltags. Viele Feiern finden aber nicht im Büro oder in einer so genannten "wahnsinnig lustigen Location" statt (unbekannte Tanzcafés, aufgelassene Spitäler, stillgelegte Bahnhöfe), sondern in ganz normalen Restaurants. Für den Auswärtsesser ist es ein Albtraum. Schon zum zweiten Mal en suite erfahre ich aus meinen Lieblingsrestaurants: ausgebucht. "Wir haben", wie es heißt, "eine Gruppe". Natürlich. Was zwingt die Menschen, um diese Zeit zusammenzurücken und sich mit - so ist es doch - unterpreisigen Weinen zuzuschütten? Angst vor der Leere der Weihnachtsfeiertage? Es muss der Chef mit den Mitarbeitern weihnachtsfeiern, es muss die Agentur weihnachtsfeiern, die Bank muss weihnachtsfeiern (wobei: was feiern letztere eigentlich? Den Steuerzahler als Christkind?). Ja, auch die Restaurants, in denen die Weihnachtsfeiern ausgerichtet werden, müssen irgendwann und irgendwo weihnachtsfeiern. Der Hungrige indessen muss sich auf magere Zeiten einstellen. Er kann natürlich auf ein Schmalzbrot zu einer der vielen Punschstandeln gehen, die sie ihm jetzt zwischen Bregenzerwald und Burgenland hingestellt haben. Wie heißt es? "Ach, lass uns einen Punsch trinken gehen." (Über das Phänomen Punsch in Kürze mehr.) Vielleicht will er das aber nicht. Auch kann er sich mit Trüffel eindecken und zuhause ... vielleicht will er sich aber nicht die Pfannen schmutzig machen. Er könnte natürlich so tun, als gehöre er zu einer Weihnachtsfeier und einfach ins Lokal hineingehen und sich dazusetzen: "Hallo, ich bin der neue Kollege ... Übrigens: Haben Sie schon das Gerücht gehört? Der Direktor fickt die Assistentin, obwohl er eigentlich schwul ist ... Was haben Sie da im Glas?Prosecco?" Prosecco oder auch Hochriegl, was schlimmer ist, weiß man nicht genau. Denn das Geld geht den Unternehmen aus, die Weihnachtsfeiern finden statt, doch sie werden kärglich bestückt. Leberstreichwurst statt Gänseleber. Es wird lauter, der Zweigelt fließt und auch der Gespritzte hat wieder Saison. Die a-la-carte-Gäste drücken sich in ihre Marktnische, die sehr klein und eng ist zur Weihnachtszeit. Mit dem labbrigen Service und dem trockenen Braten finden sie sich immer ab zur selben Zeit. Selbst schuld, hätten sie nur rechtzeitig die Malediven gebucht.
(ar)

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Eineneurofünfzig!






Es schneit und schneit. Menschen versuchen verzweifelt, sich und ihre Angehörigen, also ihre Autos, aus den Schneemassen zu befreien. Es wird geschaufelt und geflucht. Ich blicke aus dem Fenster, das natürlich nicht vorschriftsmäßig klimaschützend gedichtet ist, und kriege Lust auf Schweinskotelett. Schwein, eh schon ein klassisches Winteressen, aber es hat es schwer zwischen der 3-Sterne-Schweinebauch-Gastronomie und dem klassischen Schweinebauch, der nichts anderes will als Billigfressen. Ich arbeite mich vor zum Fleischhauer des Ortes und mustere das Angebot. Tatsächlich: sie haben Schweinskotelett, frisch runter gehackt vom Ganzen. Ich sage ja zum österreichischen Schwein und dann sagt die pausbäckige Verkäuferin (sie ist es wirklich - pausbäckig): 1 Euro 50. Innehalten eins: Wie bitte? Ein Preis unter der Armutsgrenze. Da muss ich meine Bestellung noch ein wenig erweitern, sonst machen die kein Geschäft, also ein Stück Käse (Picandou) und - ja - eine kleine Scheibe von der Kalbsleber, weil man ja nie weiß ... Innehalten zwei: wie kann Fleisch so billig sein und kommen Sie mir jetzt nicht mit den Sozialhilfeempfängern, Hartz 4 oder Invaliditätspensionisten mit invaliden Pensionszahlungen. Denn die leben hier nicht. Also nochmals die Frage: wie kann das so billig sein. Das Schwein aus "Niederösterreich", wie die pausbäckige freundliche Verkäuferin sagt, hatte es ein gutes Leben? Ein halbwegs gutes Leben? Ich weiß es nicht, aber ich bezweifle es bei 1 Euro 50 für ein Kotelett. Vielleicht aber auch, dass die Schweinezüchter doch Ethik haben und einfach nicht gierig sind. Ich kann es nicht beurteilen. Also mache ich die Prüfung in Pfanne und Teller. Das Kotelett behandle ich nicht grob, sondern so zärtlich und nachhaltig (das Lieblingswort des Jahres, große Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ausbeuten und die Umwelt schädigen, lieben dieses Wort) wie - sagen wir - Redzepi eine Karotte. Ich erfrische es mit gehacktem Rosmarin und dünnen Scheiben Knoblauch sowie etwas Mehl. Dann lasse ich ihm eine halbe Stunde Zeit, sich an meine Küche zu gewöhnen. Nachdem ich die Beilage, in der Hand gequetschte Erdäpfeln, die in Butter gebraten werden, nach einer Anregung des großen Robouchon, bereit habe, brate ich das Kotelett in nicht zu heißer Butter an. Butter kann nie zu heiß werden, sonst flippt sie aus, flockt sie aus, wird braun, wollte ich sagen. Natürlich nehme ich Rohmilchbutter, das pasteurisierte Zeug sollten die Supermarktmanager selber essen. Das Kotelett gare ich in der Butter so an die sechs bis sieben Minuten bei niemals zuviel Hitze, gieße zwischendurch mit einem kleinen Schuß Weißwein auf (irgendwas, das gerade offen ist), füge am Ende noch etwas Butter hinzu und fertig. Kein Rezept, das für jemanden, der schon einmal ein Stück Fleisch gebraten hat, überraschend ist. Tut mir leid, aber wofür halten Sie mich? Für einen guten Koch? Haha. Allerdings ist doch weit mehr als der übliche mickrige Aufwand, der mit einem Kotelett um 1,50 betrieben wird, würde ich sagen. Und das Kotelett dankt die Mühe. Das Fleisch sieht gut aus und schmeckt knackig, mürb und einfach sehr, sehr gut. Und das gibt mir Rätseln auf: muss ich jetzt alle Koteletts selber braten um herauszufinden, wie weit sich teuer von billig auch in Geschmack und Qualität unterscheiden? Oder ist es einfach so, dass es ein paar Produzenten und Bauern gibt, die weder ihre Schweine malträtieren noch ihre Kunden abzocken, wie es heutzutage gerne heißt? (ar)