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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Dienstag, 20. September 2011

Geniale Sorbets und auch sonst sehr fein

Das Wetter ist schlecht, das Wetter am Yppenmarkt ist gut. Peinlich ja für mich, dass ich noch nie dort war. Die Strahlkraft des Naschmarktes und des Wurstgreisslers dort hält mich ab, auf anderen Wiener Märkten zu grasen, obwohl ich mittlerweile schon weiß, dass es dort gutes Futter gibt. Nun also lud die bessere Hälfte von fooodie, Stefan Fuhrer, ins Wetter anläßlich einer kleinen Feier. Für den Wetter-Novizen, der ich war, ist das Lokal am Rand des Brunnenmarktes so etwas wie eine moderne Wiener Oase der Internationalität. Wiewohl die Küche, sie ist enger an eine Region gekoppelt schwer vorstellbar. Die Region heißt Apulien und das liegt in Italien, wie man weiß. Also Antipasti, also Pasta, also Secondi. Aber welche! Eine mit traumwandlerischer Sicherheit gewürzte Hühnerleberpaté, eine Panzanella mit hauchdünnen Brotscheiben, die überhaupt nichts von Erdenschwere hat, sondern ganz elegant in den Mund fliegt, alles umrandet von frischen Salaten und Kräutern. Sogar der Rucola, der Lollo Rosso der Nullerjahre, schmeckte.
Wir kosteten alle Vorspeisen und fanden keine einzige auch nur mittelmäßig, im Gegenteil. Große Portionen, natürlich. Weder in der Gegend um den Yppenmarkt und auch nicht in Apulien sind die Schlankheits-Esser daheim, die mehr aus Show als auch Genuss essen und sich darüber freuen, wenn wenig am Teller ist. Deftige Nudelteller also. Bei den Hauptgängen dann zwiespältige Eindrücke. Ein Kaninchen, großartig portioniert, mit Sellerie, Paradeisern und allem Möglichen geschmort, leider aber vollkommen versalzen. Pech, das nicht sein müßte. Kutteln gab es auch, aber mit einer Beigabe aus riesenhaften weißen Bohnen und allerlei anderem. Man hat den Eindruck: je mehr sie da in den Topf tun, desto besser. Die Meinung teile ich nur bedingt. Doch dann die Sorbets zum Abschluss: nicht verbesserbar. Eine grobe, eher an eine Granita erinnernde Mixtur aus Campari und Blutorangensaft. Frage mich, wie ich den Sommer überleben konnte, ohne das mindestens einmal täglich zu haben. Allerdings: es war ja gar kein richtiger Sommer. (ar)

Wetter, Payergasse 13, 1160 Wien, Tel.: 01 4060 775

Sonntag, 18. September 2011

Der E-Effekt

Warum lässt der Taubenkobel in Schützen regelmäßig viele Toplokale, auch die allerbesten, in Österreich ein bißchen alt aussehen? Es ist wohl wie in der Schule. Die einen tragen brav ihre hochgerüsteten Schultaschen, während die anderen lässig mit Rucksäcken oder Tragetaschen daherschlapfen. Letztere haben beim Flirten mit den Kameradinnen bessere Chancen. Kann man nichts machen. Walter und Eveline Eselböck waren nie die mit den Schultaschen und kleiden ihren Taubenkobel wie auch den Rest ihres kleinen, feinen Imperiums im Burgenland immer in den Farbtönen aus, die gerade international angesagt sind. Sie reisen viel und suchen sich mit treffsicherem Geschmack das aus, was längeren Bestand hat, vor allem aber zu ihrer Welt passt. Damit haben sie als Avantgarde-Gastronomen seit Jahrzehnten Erfolg. Unbestritten. Im vergangenen Frühjahr gab es einen kleinen Betriebsunfall, einen Supergau. Walter und Familie hatten es vor lauter Begeisterung übertrieben und dann kam Severin Corti und holte den Pracker heraus. Kein entspannter Frühling für ein Klasse-Restaurant. Walter Eselböck selbst war sicher auch schon mal relaxter, aber konsequent. Er hat jetzt nicht die Absicht, die Anregungen, die man auf Reisen halt so mitkriegt, nicht in seinem Lokal zu zitieren und warum sollte er das auch. Zum Beispiel der Trend, die Tische nicht mehr mit Tischtüchern zu decken. Eine Sache, die mit zum Charakter des Noma gehört, aber auch in der deutschen Überfahrt zu sehen ist und im Salzburger Ikarus. Im Taubenkobel-Garten saß ich jetzt auch auf wunderschönen Tischen, die mit nichts anderem als einer groben, aufgetürmten Leinenserviette dekoriert sind, unter der sich Holzteller und Messer befanden. Habe ich weniger Vergnügen an dieser kontra punktierten  Schlichtheit, bloß weil ich weiß, dass es das woanders auch schon gibt? Walter Eselböck teilt sich die Küche mit Alain Weißgerber. Beide sind Hochklasseköche, wenn auch so unterschiedlich in der Herangehensweise, wie Köche nur sein können. Der eine aus dem Kopf, der andere aus dem Bauch. Gemeinsam nicht einsam, sondern beträchtlich super. Immer noch hält man an der Idee fest, dem Gast keine fixe Speisenfolge, sondern ein der Saison und dem Einfall verpflichtetes Menü anzubieten. Wenn das auch vielleicht Show ist, so ist es eine  tolle Idee in einer bemerkenswert hochstehennden Umsetzung. Was bleibt in Erinnerung? Ein Amuse aus Seewinkler Wassermelone, eine Gänseleber (Bio, keine Stopfleber) als Terrine mit Feigen und einer cremeartigen Kreation aus Mais, geräucherter Aal mit einer Aromenbombe aus Paprika. Danach: Eine Miniature aus Ochsenschlepp, Erdäpfelpüree, Erdäpfelzipf, Ochsenmark und Sailbings-Kaviar. Wir lassen kein Molekül übrig und erfinden somit die Molekularküche 2011. Das war alles sehr gut. Richtig arg wird es aber mit den verschiedenen Stekovic-Paradeisern, unter denen knackig gegarte Gut-Dornau-Flußkrebse begraben sind. Ob ich in diesem Sommer ein besseres Paradeier-Gericht gegessen habe, die Frage neige ich eher mit Nein zu beantworten. (Genauso gut nur Thomas Dorfers Paradeiser mit Langustinos und ein Salat im Club 55 in Ramatuelle.) Können die Mannschaft um Alain das noch toppen? Nach der Papierform unmöglich. Dann kommt aber das Lamm am Fettrand gebraten, mit einem fettfreien, genialen Jus, einer gebackenen Miniatur-Zucchiniblüte, die eine Scrotum-artige Rundung  aufweist, frittierten Mini-Zucchini und wieder einem kleinen Aromenungeheuer aus Paradeiser. Das Lamm wird andächtig angeschnitten und verspeist. Langweile ich Sie, wenn ich sage, dass das alles super war? Gut. Ich streife den Käsegang (Spinatblätter von einem Urahn aus der Arche Noah und ein Schaf aus dem  Vorarlbergischen) und das Dessert (futuristische Rote-Rüben-Beeren-Kombi) mit Komplimenten. Kommen wir auf die Frage zurück, die wir zum Eingang gestellt haben. Eselböcks Restaurant hat immer noch den  Todschick-Faktor, ist aber mit den flachen It-Restaurants in Wien nicht zu vergleichen. Sechs Seiten für das Burgund (weiß) in der Weinkarte. Hier nimmt eine Familie ihr Geschäft mehr als ernst. (ar)



Samstag, 17. September 2011

Kein Telefon, kein Internet, aber Kutteln

Nizzareisende raunen sich den Namen mit begeistert verschwörerischer Miene zu, als wäre es der Eintrittscode zur Kunstsammlung in der Cote d'Azur-Villa von Abramovich (Hat er eine? Vermutlich, aber er weiß es nicht). La Merenda. Das Lokal ist kleiner als der Pass in den Küchen der Sterneköche an der blauen Küste, aber größer als ein Suppenlöffel. Winzige Tische. Die Gäste nehmen auf Hockern Platz. Wer reservieren will, muss höchstpersönlich vorbeischauen, was schwierig ist, wenn man dafür aus Wien anreisen müsste oder gar aus Moskau. Postkarten werden aber auch akzeptiert. Es liegt nicht daran, dass es in Nizza und Umgebung zu wenig gute Adressen gäbe, dass sich Eingeweihte hier so zahlreich zur Kulthandlung einfinden. Dominique Le Stanc heißt der Mann am Herd. Die grauen Haare zum Zopf zusammengebunden, steht der drahtige Koch jeden Tag in seiner winzigen Küche, in der jeder Zentimeter kenntnisreich genutzt wird. Seine Frau, die immer noch schön ist und vor zwanzig Jahren besonders schön gewesen sein muss, hilft ein bißchen mit. Das ist es. Le Stanc war selber einmal 2-Sterne-Koch in Monaco, dann machte ihm der Zirkus keinen Spaß mehr. Wie andere Stars an der Cote d'Azur zog er die Selbstbestimmung dem Michelinruhm vor und sperrte das eigene Lokal in der Nähe des Nizzaer Blumenmarktes auf, das seither ausgebucht ist. Ich habe Glück und bekomme einen der kleinen Tische. Es gibt Beignets, also frittierte Zucchiniblüten, eine Pizza als Vorspeise oder Schinken aus lokaler Produktion. Ich esse einen Salat aus Feigen, Oliven, Rucola und Frischkäse. Der Salat, weil es heiß ist in Nizza. Der Ober wundert sich vielleicht über meinen Durst, was mir egal sein muss, und schenkt das zweite Glas Roséwein ein. Im Sommer trinken sie überall Rosé an der Küste, manchmal auch gleich mit Eiswürfel, und keiner findet was daran. Denn bevor das Eis zu schmelzen beginnt, ist das Glas auch schon wieder ausgetrunken. Wegen des Salats bin ich aber nicht hier. Die Nachbarin hat die letzte Portion vom gekochten Kalbskopf mit Sauce Gribiche. Das verschafft mir einen kurzen Moment der Verstörung. Kutteln gibt es noch. Also Kutteln bestellt. Tripes à la nicoise. Sie kommen fast schmucklos in einem aromatischen Saft. Keine Tomaten, keine Oliven, keine Bohnen, nur etwas Parmesan im letzten Augenblick darüber gerieben. Dazu das köstliche Pain-Nice. Die Klimaanlage surrt. Kein Kuttelkrümel geht an die Küche zurück, denn diese spielen in der K-Oberliga mit, also im Dreieck aus Lyon, Florenz und dem Loibnerhof in Dürnstein. Jetzt kriege ich noch eine grobe Mousse vom weißen Pfirsich mit Himbeeren - Escoffier schaut herunter und freut sich. Am Nebentisch hat sich eine Gruppe Schweden niedergelassen und bestellt die Schiefertafel rauf und runter. Es wird laut werden diesen Nachmittag. (ar)

La Merenda, 4 rue raoul bosio (ex rue de la terrasse), 06000 Nice

Montag, 12. September 2011

Thorsten Probost geht seinen Weg

August in Oberlech. Die Bauarbeiten an und in den Hotels rund um das wunderbare Burgvital nerven ganz schön. Müssen die Österreicher ständig irgendwo irgendwas umbauen, aufbauen und die Bauindustrie aufpeppeln. Thorsten Probost, Spitzenkoch in einem der höchsten Spitzenlokale des Arlbergs, nimmt auf der Terrasse Platz. Eigentlich ist er nur noch ein halber Küchenchef. Ich muss also die Frage stellen (wir hatten gerade ein Glas und etwas Wundervolles von einem ein gefühltes und geschmecktes Jahrhundert lang gereiften Schinken): "Thorsten, wie hast du das gemacht mit dem Abnehmen?" Probost erzählt weniger von Sport und Bewegung, sondern verweist auf das Menü, das wir am Abend zu uns nehmen werden und dann erzählt er noch von einem Mehl, auf das ihn die Lektüre eines deutschen Wissenschafters Buch brachte. Ein Mehl, das sich auf den Metabolismus energieverbrauchssteigernd auswirkte, mit einfachen Worten: man isst davon und nimmt ab. Probost, einer der intelligentesten und sprachlich gewandtesten Köche, die wir haben, schildert das genau, aber leider merke ich mir nur ein Zehntel der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien. Jedenfalls erzählt er von den herrlichen Broten und auch von den Kässpätzle, die mit dem seltenen Getreideprodukt gemacht werden und dass er auch an eine größere Produktion denke. Man stellt sich das kurz vor: ein Brot mit, sagen wir Speck oder Butter, und man nimmt davon nicht zu, sondern eher ab. Probost, der Magier. Eigentlich ist er ja die männliche Kräuterhexe von Oberlech. Seine Kräuterliebe hat sich mittlerweile herumgesprochen. Im Sommer und also auch im Früh-Herbst pflückt und verwendet er, was gerade im Kräutergarten der Familie Lucian, kultivierte Gastgeber in Oberlech, oder auf den Almen wächst. Eine Kräuterwanderung wird vereinbart. Wir steigen also auf, allerdings mit dem Sessellift, ausgerüstet mit festem Schuhwerk und dem eisernen Willen, uns beim Abstieg durch die Kräuterwiesen nicht durch mangelnde Kondition lächerlich zu machen. Probost erzählt von seiner Lehrerin, der Frau Lucian senior, die bei einer Sennerin alles über die Wunderkräutlein auf den Almen erfahren hatte, und das Wissen an den neugierigen Koch weitergegeben hat. Wie sagte Frau Lucian: "Bei der ersten Wanderung schaust du dir die Gegend und die herrlichen Berge an. Dann schaust nur mehr auf den Boden."
Denn hier wachsen guter Heinrich, eine Art Spinat, wilder Thymian, Alm-Schnittlauch und allerlei kleine Pflanzen, die zu schade sind, einfach mit den Bergschuhen draufzutreten. Je nach Höhe reifen sie zu unterschiedlichen Zeiten. Wir blancieren zwischen Kuhkacke und Wasser, auf dem Weg durch das Naturschutzgebiet oberhalb von Oberlech, kosten Kräuter (nicht alle sind im rohen Zustand genießbar) und wie wir dann auf der Terrasse des Hotels sitzen, haben wir seit langem das Gefühl, ein Essen wirklich verdient zu haben. Probost kocht Rindssuppe mit Grießnockerl und streut minzbetonte Kräutermischungen drüber. Ähnlich macht er es auch mit den Kässpätzle aus dem Spezialmehl, die dunkler sind als die üblichen und natürlich wunderbar schmecken. Eigentlich nimmt die regionale Küche der Region im Repertoire des Meisters nur einen kleinen Raum ein, nicht viel größer als das Restaurant Griggeler Stube, das kulinarische Herzstück des Hauses. Da spielt der Wörther-Schüler seine Trumphe aus: Krebse mit Fenchel, ein genialer gesurter Tafelspitz mit Kren und gutem Heinrich, eine Gams mit Steinpilzen, am anderen Tag eine geniale Veltlinersuppe mit Flußkrebsen, das Tatar vom Juhu-Rind auf Zwiebeln, eine Kalbsstelze mit Bergrosmarin gebraten und Steinpilze, sowie einen Milchrahmstrudel, der so gut schmeckt, dass man jetzt lange keinen Milchrahmstrudel mehr essen kann. In jedem Gang (außer beim Milchrahmstrudel) spielt ein Kräutlein eine Hauptrolle, ohne dass es aber jemals vorlaut wird. Eine der spannendsten Küchen des Landes, vollkommen unbeeinflusst von den Moden und Märchen der Rankings und Copy-Paste-Rezepte der Zeitschriften und Starküchenchefs. Probost ist unheimlich fleißig. Wenn er nicht gerade Kräuter sucht oder einen Kochkurs gibt, bäckt er sein Brot oder kümmert sich um den Schinken vom  Schwein des Nachbarn auf der einige Kilometer entfernten Alm. Der wunderte sich einmal, dass er mit seinen köstlichen, trainierten Schweinen sogar ein bisschen Geld verdienen kann. Ein Koch als Entwicklungshelfer in hochalpinen Regionen. Bevor sie ihm in Lech das erste Verdienstkreuz überreichen, werden wir allerdings noch ein paarmal einkehren dort oben in Oberlech. (ar)