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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Sonntag, 25. Dezember 2011

Der Sturm vor der Ruhe

Weihnachten ist und es ist gut so. Mit Weihnachten endet die Vorweihnachtszeit, die uns Einblicke ins Menschsein beschwert, die sich keiner am Wunschzettel ans Christkind notiert hat. Einsamer Höhepunkt: die Weihnachtsfeier sechs dort noch nie gesichteter Gäste in einer Enoteka. Sie fallen wenig auf, bis zu dem Zeitpunkt, als sich der Häuptling der Männerrunde dem Padrone der Enoteca nähert mit der Weihnachtsbotschaft, dass gerade etwas passiert sei. Kurze Zeit später sehen alle, was.

Einer aus der Runde steht mitten in dem wohnzimmerartig dimensionierten Lokal und zeigt den anderen Gästen seine vollgekotzten Hosen, sein angespiebenes Hemd, während in dem Eck, wo er herkommt, sich etwas rührt. Tische werden beiseite geschoben, der Ober der Enoteka eilt mit Kübel und Besen herbei. Die Herren trinken ruhig weiter, niemand eilt dem Ober zu Hilfe. Währenddessen geht der Angespiebene seine Kotze im Lokal spazieren tragen. Streift damit die Gewänder der anderen Gäste, die sich erst später über den eigenartigen Fremdgeruch am Sakko wundern werden.

Macht da jemand Anstalten, vielleicht ein Taxi zu rufen und das Angekotzte wohin zu expedieren? Ich bitte Sie, wir haben damit nichts zu tun. Zwei trinken in aller Ruhe den Tignanello aus, prosten vielleicht darauf, dass sie der Strahl des Halbverdauten nicht erfasst hat. Geselliger Advent, ein Ausnahmezustand.

Beim Imbiss in einer Greisslerei pöbelt ein kleingewachsener Rabauke den Gast an, der sein Rotweinglas nicht schnell genug leert, um sich vom Rabauken einschenken zu lassen, von dem er sich aber nicht einschenken lassen will. Eskalation. Zur Rauferei und zum Bauchstich kommt es nicht, weil der eine dem anderen das Feld überlässt. In der dunklen Jahreszeit haben die Narren Narrenfreiheit.

In der Stadt erkennt der Spaziergänger die bekannten Plätze nicht wieder. Lokale werden von durstigen Runden in einer Art okkupiert, als gäbe es ab dem nächsten Tag nichts mehr zu essen oder zu trinken. Köche erleben den Rand des Nervenzusammenbruchs, verbraten die Reste der nicht mehr ganz frischen Ware, alles muss raus, bevor die Weihnachtstage sich über alles legen wie eine kuschelige Kameelhaardecke.

Die Rabauken und die Speiber, mit einem Mal haben sie keine Bühne. (ar)

Dienstag, 20. Dezember 2011

Über die Jurassic-Park-Austern des Herrn Gillardeau


Im Gegensatz zum Hummer, für den jetzt in der Vorweihnachtszeit horrende Summen verlangt werden, die den roten Mantel des kleinen Weihnachtsmannes erblassen lassen, haben Austern jetzt wirklich Saison. Im Binnenland Österreich haben sich die Muscheln, denen man so viele Wirkungen nachsagt, nicht wirklich durchgesetzt. Aber es wird langsam. Angeblich muss man sich ans Austernessen gewöhnen, erzählen wissende Esser. Lächerlich. Entweder es schmeckt gleich oder man lässt es. Wenn man mir erzählen würde, ich könnte mich sogar an Hundefutter gewöhnen, wenn ich einfach ein paar Dosen auslöffeln würde, würde ich das trotzdem nicht tun. Das Glück: mir haben die glitschigen kalten Dinger gleich beim ersten Versuch geschmeckt. Dutzende Dutzend später kann ich sagen, dass sie immer noch schmecken. Allerdings hat sich ein gewisser Widerwillen gegen die Auster außerhalb ihrer Heimat gebildet. Austern schmecken am besten frisch aus dem Meer, also an den Küsten des Atlantiks oder der Nordsee. Austern in Cancale in der Bretagne, keine älter als ein paar Stunden, purer Duft nach Meer, der Geschmack leicht und frisch, gegessen von einem Pappteller, das Dutzend um zwei Euro, das ist es. Das Meerwasser sabbert in die Hemdsärmeln, dann hinauf die Stiegen zum erstbesten Café und einen halben Liter Cidre. Doch, Cidre passt sehr gut zu Austern. Bei uns trinken sie noch Champagner, denn das Austern schlürfen ist für den Österreicher nicht nur (hoffentlich) ein genussreicher, sondern vor allem ein festlicher Akt. Muss er auch sein, bei den Preisen. In Wien, aber auch in Salzburg und in ehrgeizigen Restaurants am Land findet man hauptsächlich Fines de Claires, das sind Austern, die ziemlich oft geklärt wurden, was ihre Qualität bestimmt. Selten findet die flache und teurere Belon-Austern zu uns, meistens ist es die Sorte Portugaises, von der es wiederum mehrere Größen gibt. Französische Freunde lächeln milde, wenn sie die Austernstände in Wien oder das Angebot in den einschlägigen Delikatessengeschäften besichtigen. In Österreich hat man eine Vorliebe für große fleischige Austern, während die Franzosen bei sich zuhause eher die kleinen, filigranen Muscheln bevorzugen. Finesse statt Grobschlächtigkeit. In Frankreich bestellt man gerne Portugaises No 4, die sind auch meine Favoriten. In den letzten Jahren fällt auf, dass für Austern das Umgekehrte von dem gilt, was bei Mobiltelefonen gefragt ist. Letztere werden immer kleiner, während erstere immer größer werden. Die State-of-the-Art-Austern kommt von Herrn Gillardeau aus Frankreich, nachdem eine eigene Züchtung bekannt ist. Kaum ein Küchenchef, kaum ein Fischhändler, der meint, auf Gillardeaus Muscheln verzichten zu können. Die Gillardeau-Austern kommen aus der Gegend von LaRochelle. Eine bestimmte Algensorte lässt sie besonders groß und fleischig werden. Gillardeaus werden besonders oft gereinigt, was ihr Aroma klarer hervortreten lässt, manche sagen aber auch langweilig dazu. Irgendwann kam einer auf die Idee, Gillardeau-Austern mit grünem Apfel zu kombinieren. Seither tummeln sich auf den Tellern der Meisterköche Austern und Äpfel in gemeinsamer Zubereitung. Das kann ganz köstlich schmecken. Ein gewisser „Wear-Out“-Effekt ist dieser Kombination aber zweifellos zu eigen. Warum die Gillardeau-Auster so gerne gedämpft oder gekocht wird? Eine Erklärung könnte lauten, dass sie zum Schlürfen einfach zu groß geraten ist. Nur der protzende Oligarch haut sich vor dem Essen ein Dutzend dieser Jurassic-Park-Austern rein, die vielleicht wertvoller, aber sicher nicht delikater sind als ihre kleineren Verwandten aus der Bretagne, aus Irland oder aus Sylt. Gegart wird das Austernaroma der Gillardeau verstärkt, was es in manchen Fällen penetrant wirken lässt. Es bleibt noch lange am Gaumen, zu lange. Die Gillardeau-Auster ist in den Restaurants heute, was das Geliermittel Xantax vor fünf Jahren war - in den meisten Fällen verzichtbar.(ar)