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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Dienstag, 20. Dezember 2011

Über die Jurassic-Park-Austern des Herrn Gillardeau


Im Gegensatz zum Hummer, für den jetzt in der Vorweihnachtszeit horrende Summen verlangt werden, die den roten Mantel des kleinen Weihnachtsmannes erblassen lassen, haben Austern jetzt wirklich Saison. Im Binnenland Österreich haben sich die Muscheln, denen man so viele Wirkungen nachsagt, nicht wirklich durchgesetzt. Aber es wird langsam. Angeblich muss man sich ans Austernessen gewöhnen, erzählen wissende Esser. Lächerlich. Entweder es schmeckt gleich oder man lässt es. Wenn man mir erzählen würde, ich könnte mich sogar an Hundefutter gewöhnen, wenn ich einfach ein paar Dosen auslöffeln würde, würde ich das trotzdem nicht tun. Das Glück: mir haben die glitschigen kalten Dinger gleich beim ersten Versuch geschmeckt. Dutzende Dutzend später kann ich sagen, dass sie immer noch schmecken. Allerdings hat sich ein gewisser Widerwillen gegen die Auster außerhalb ihrer Heimat gebildet. Austern schmecken am besten frisch aus dem Meer, also an den Küsten des Atlantiks oder der Nordsee. Austern in Cancale in der Bretagne, keine älter als ein paar Stunden, purer Duft nach Meer, der Geschmack leicht und frisch, gegessen von einem Pappteller, das Dutzend um zwei Euro, das ist es. Das Meerwasser sabbert in die Hemdsärmeln, dann hinauf die Stiegen zum erstbesten Café und einen halben Liter Cidre. Doch, Cidre passt sehr gut zu Austern. Bei uns trinken sie noch Champagner, denn das Austern schlürfen ist für den Österreicher nicht nur (hoffentlich) ein genussreicher, sondern vor allem ein festlicher Akt. Muss er auch sein, bei den Preisen. In Wien, aber auch in Salzburg und in ehrgeizigen Restaurants am Land findet man hauptsächlich Fines de Claires, das sind Austern, die ziemlich oft geklärt wurden, was ihre Qualität bestimmt. Selten findet die flache und teurere Belon-Austern zu uns, meistens ist es die Sorte Portugaises, von der es wiederum mehrere Größen gibt. Französische Freunde lächeln milde, wenn sie die Austernstände in Wien oder das Angebot in den einschlägigen Delikatessengeschäften besichtigen. In Österreich hat man eine Vorliebe für große fleischige Austern, während die Franzosen bei sich zuhause eher die kleinen, filigranen Muscheln bevorzugen. Finesse statt Grobschlächtigkeit. In Frankreich bestellt man gerne Portugaises No 4, die sind auch meine Favoriten. In den letzten Jahren fällt auf, dass für Austern das Umgekehrte von dem gilt, was bei Mobiltelefonen gefragt ist. Letztere werden immer kleiner, während erstere immer größer werden. Die State-of-the-Art-Austern kommt von Herrn Gillardeau aus Frankreich, nachdem eine eigene Züchtung bekannt ist. Kaum ein Küchenchef, kaum ein Fischhändler, der meint, auf Gillardeaus Muscheln verzichten zu können. Die Gillardeau-Austern kommen aus der Gegend von LaRochelle. Eine bestimmte Algensorte lässt sie besonders groß und fleischig werden. Gillardeaus werden besonders oft gereinigt, was ihr Aroma klarer hervortreten lässt, manche sagen aber auch langweilig dazu. Irgendwann kam einer auf die Idee, Gillardeau-Austern mit grünem Apfel zu kombinieren. Seither tummeln sich auf den Tellern der Meisterköche Austern und Äpfel in gemeinsamer Zubereitung. Das kann ganz köstlich schmecken. Ein gewisser „Wear-Out“-Effekt ist dieser Kombination aber zweifellos zu eigen. Warum die Gillardeau-Auster so gerne gedämpft oder gekocht wird? Eine Erklärung könnte lauten, dass sie zum Schlürfen einfach zu groß geraten ist. Nur der protzende Oligarch haut sich vor dem Essen ein Dutzend dieser Jurassic-Park-Austern rein, die vielleicht wertvoller, aber sicher nicht delikater sind als ihre kleineren Verwandten aus der Bretagne, aus Irland oder aus Sylt. Gegart wird das Austernaroma der Gillardeau verstärkt, was es in manchen Fällen penetrant wirken lässt. Es bleibt noch lange am Gaumen, zu lange. Die Gillardeau-Auster ist in den Restaurants heute, was das Geliermittel Xantax vor fünf Jahren war - in den meisten Fällen verzichtbar.(ar)

1 Kommentar:

  1. Hallo, ich finde den Bericht sehr ehrlich und amüsant. Kompliment! Was allerdings zu bezweifeln ist, ist der Hinweis, das hauptsächlich "Portugaises" ausgeliefert werden. In den allermeisten Fällen handelt es sich um die pazifische Felsenauster (crassostrea gigas) und nicht um die Portugieser (crassostrea angulata). Diese wurde durch mehrere Seuchen in früherer Zeit sehr stark dezimiert, worauf man die Widerstandfähigere "pazifische Felsenauster" importierte. Der Name hatte sich allerdings so gefestigt, das vielerorts noch von den "Portugaise" gesprochen wird. :-)

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