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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Dienstag, 24. Juli 2012

Wie schmeckt's bei der Nummer 11?

Es ist  eher Zufall, dass ich schon fast ein Jahr lange nicht im Steirereck im Stadtpark essen war. Schon ja, man kriegte die Entwicklungen irgendwie dennoch mit. Den famosen Saibling, der in Wachs gegart wird, gab Heinz Reitbauer auf der vorletzten Trophée Gourmet. Eine Bachforelle und die gegrillten Erdfrüchte (wow!) aß ich zu einer anderen Gelegenheit im Stehen nach einer Pressekonferenz.Privileg des Ess-Schreibers, bei den wichtigen Adressen halbwegs auf dem Laufenden zu sein. Eine Mahlzeit im Steirereck können Probehappen, im Stehen genommen,  aber nicht ersetzen. Denn diese ist die Summe aller Teile, also weit mehr als bloß eine Aneinanderreihung von Heinz Reitbauers und seiner Crew neu geschaffenen Kreationen. Nun hat das Haus auch in der San Pellegrino-Liste, die in der Ranking-verknallten Zeit unserer Zeit alle anderen Fress-Führer an Wichtigkeit hinter sich gelassen hat, den ehrenwerten Platz 11. Die von Nestlé bezahlte Liste muss nicht jedem sympathisch sein. (Mir ist sie es nicht.) Ihre Bedeutung für die moderen Gastronomie steht jedenfalls außer Zweifel. Sie fordert den Leser und später Gast in den hochgerankten Restaurants, sich mit dem Neuen und Unbekannten auseinanderzusetzen. Ein Noma wäre ohne diese Liste nur einem kleinsten Kreis von Ess-Verrückten bekannt. Und dort isst man wirklich gut. Dass es in Wien mit dem Steirereck ein Restaurant gibt, das jetzt fast unter die zehn besten Lokale der Welt gewählt wurde, darf uns alle freuen. Es hilft der Wiener und der österreichischen Gastronomie, die hierzulande mit den schmalen Geldbörsen, aber viel mehr mit dem Konservativismus der Gäste zu kämpfen hat. Die sagen sich: Wos brauch ma des. Eine breite Diskussion über kulinarische Neuerungen finden in diesem Land nicht statt. Was Heinz Reitbauer zum Beispiel wirklich Phänomenales zum Thema Gemüse einfällt, wird nirgendwo reflektiert. Wie er sich um die Erhaltung oder Wiederentdeckung längst vergessener Sorten bemüht, war auch Slow Food Großbritannien eine Auszeichnung wert, die vielleicht sogar mehr wiegt als die San Pellegrino-Liste. Doch in Leberkäs-Country wird das nicht so sehr zur Kenntnis genommen. Macht nichts. Heinz Reitbauer auf die Frage, ob die Preise für das Restaurant etwas verändert hätten: "Ausgebucht waren wir ja schon vorher. Aber es kommen jetzt mehr Gäste, die auch zu Mittag das große Menü essen." Der Fooodie nimmt sich am liebsten zu Mittag die Zeit, wenn er ein wirklich spannendes Essen plant. Dass es in Wien jetzt mit dem Palais Coburg einen weiteren Mitstreiter auf 2-Michelin-Sterne-Niveau gibt, freut Reitbauer sogar: "Je mehr, desto besser. Dann kommen auch mehr Gäste des guten Essens wegen nach Wien." Denn machen wir uns nichts vor: kulinarisch ist der Ruf unseres lieben kleinen Landls, wenn man von den deutschen Nachbarn absieht ungefähr so wie der der Spanier beim Schifahren. Die Frage, ob man jetzt im Steirereck isst wie im elftbesten Lokal der Welt, dem zehntbesten oder dem zwöltbesten, ist müssig. Es beginnt mit einer geräucherten Gänseleber, umhüllt von in Nussbutter confierten Mairüben und in grünem Apfelsaft marinierten Cioggia- und Goldrübenscheiben, mit Champigons, einer Apfel-Estragon-Marinade und in Estragon und Balsamessig mariniertem Pilzkraut. Abgerundet mit Sanddorn-Saft. Falls sich einer der wenigen Leser dieses blogs jetzt fragt, ob der Rabl plötzlich mithilfe eines noch unbekannten südamerikanischen Krauts zu einer Verzehnfachung seines Fress-Gedächtnisses gekommen ist - nein, es ist das Kärtchen, auf dem die Zutaten und mancherlei seltenes Verfahren aufgelistet sind. Es wird dem Gast zugesteckt, wenn der Teller serviert wird. Wichtiger als die Liste der Rüben, Kräuter und Essige ist ja die Frage, ob das denn auch schmeckt. Und ja, das tut es. Mittlerlweile bin ich der Meinung, dass die große Klasse der großen Klasse der Reitbauerschen Küche ohnehin nicht im Fleischlichen liegt, wahrscheinlich auch, weil es da einfach nicht mehr soviel zu entdecken gibt. Die gebratene Taube mit Petersilie, Amaranth, Hirse und Sesan ist natürlich besonders gut, besonders der mit Taubenklein, Gänseleber und Champignon gefüllte Butterteig ist ein Gericht, über das ich mich in einem Pariser 3-Sterne-Restaurant überhaupt nicht wundern würde. Doch wirklich sensationell ist dann schon der Sommerkürbis mti Süßerdäpfeln, Paradeiser, Mandeln und Lavendel. Ein Ganzes aus knackigen, fruchtig-sauer-süßen und vor allem noch nie in dieser Komposition verkosteten Komponenten. Da unterbricht man das Tischgespräch, da stochert man nach, da schmeckt man aufmerksam dahinter. Wenn ein Essen dem Gast überraschen soll, dann passiert das in diesem Restaurant. Weiteres Beispiel: Steinpilze mit gelbem Paprika und Butterhäuptelsalat. Ein Waller mit junger Kokosnuss und Wasserkastanien war da noch sowie ein köstliches Dessert aus Walderdbeeren und Windgebäck. Ein Menü bei Reitbauers gleicht einem botanischen Dissertantenseminar, aber den Gelehrten möchte ich sehen, der seinen Studenten das Fach so überzeugend, so unterhaltsam und so nachhaltig darlegt. Eine Bachforelle unter den Vorspeisen bleibt ebenfalls in Erinnerung. Inmitten dieser Leichtigkeit, sehr filigraner Kompositionen und Speisen, die auf die schweren, buttrigen Saucen der guten alten Nouvelle Cuiseine vollkommen verzichten, wirkt der Brotwagen als Anachronismus aus der opulenten Zeit der Neuentdeckung des feinen Essens. Soll man ihn deswegen entfernen? Ich votiere dagegen, wenn mich einer fragte, schon alleine wegen der bühnenreifen Präsentation durch den Brot-Andi (so sein Nickname), der später auch noch mit dem Teewagen wieder auffährt. Vielleicht habe ich einfach eine Schwäche für aufwändig bestückte Fuhrparks in Restaurants, auch wenn es absolut nicht dem nordisch-calvinistischen Purismus entspricht, der gerade angesagt ist. Auch der Käsewagen ist ja ein solcher Anachronismus, aber würde man darauf verzichten wollen, könnte man gleich auch eine der besten Weinkarten des Landes in Frage stellen, die zwar eher konservativ gehalten, aber doch exzellent bestückt ist, und wo die Weine so kalkuliert sind, dass wir gerne noch eine zweite Flasche trinken, oder eine dritte oder eine vierte ...

(ar)

Montag, 16. Juli 2012