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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Sonntag, 26. August 2012

Kochen gegen die Oberflächlichkeit

August 2012, Hangar 7. Der Monat gehört Roland Trettl und seinem Team. Falls Sie die letzten neun Jahre hinterm Mond verbracht haben, zur kurzen Erläuterung: Im Ikarus, dem kulinarischen High-Prestige-Projekt des Dietrich Mateschitz, ist jeden Monat einem so genannten Gastkoch gewidmet. Dessen Signature-Dishes werden in Form eines Menüs angeboten. Das bedeutet für die Küchenmannschaft Umstellung innerhalb weniger Stunden, totale Neuausrichtung der Karte, Arbeiten mit bislang vielleicht noch nie gekannten Methoden oder Produkten. Vor allem aber bedeutet es, die eigene Kreativität nicht einzubringen. (Wobei: es gibt jeden Monat auch ein Trettl-Menü.) Der Festspielmonat August ist den Ideen der Trettlschen Küche gewidmet und ist jedes Jahr einem Thema gewidmet. Heuer geht es um die Verbeugung vor den großen Chefs des vorigen Jahrhunderts und ihren Klassikern. Das Menü heißt kurz und bündig "Respekt". Ein guter Name, der einiges über Trettls Einstellung zu seinem Beruf verrät. Er kommt aus der Witzigmannschule, ein größeres Privileg kann man sich für einen Koch nicht vorstellen. Eckart Witzigmann ist es auch, der gemeinsam mit Trettl dem kulinarischen Projekt Ikarus vorsitzt. Dieses hat nun weltweit ebenso nichts vergleichbares wie manche Rezepte aus den Küchen der Herren Cesare Cardini, Paul Bocuse, Fernand Point, Auguste Escoffier oder auch Witzigmann. Roland Trettl hat sich mit der Interpretation von bekannten Klassikern der Cesars Salad, Walddorfsalat, Hummer à l'americaine auf ein schwieriges Terrain begeben. Doch der Gast sollte ihm unbedingt folgen. Denn mit den oft recht waghalsigen Interpretationen und Zitaten ist Trettl eine Speisenfolge von unglaublicher aromatischer Intensität und Dichte an Ideen gelungen. Es war ihm keinesfalls daran gelegen, einfach bekannte Rezepte nachzukochen. "Das ging schon einmal deswegen nicht, weil ich vor diesen Köchen und ihrem Schaffen zu viel Respekt habe, um mich einfach auf eine Art Battle mit ihnen einzulassen." Trettl ist wie kein anderer Koch mit der Küche der kulinarischen Moderne vertraut. Leute wie Redzepi und ihre Denkweise lernt er kennen, bevor die Restaurant-Rankings sie aufs Podest heben. Interessant, aber nicht überraschend, dass gerade so einer soviel Wert auf die Kenntnis der klassischen Verfahren (und den Respekt davor) legt. "Respekt ist etwas, was vielen Menschen fehlt." (Nicht nur, wenn es ums Kochen geht.) Viele junge Köche würden sich mit ihrem Beruf nur an der (visuellen) Oberfläche beschäftigen, der Geschmack ginge verloren. "Du musst erst mal einen Braten schmoren können, bevor du ein Alginat machen kannst." Vieles schmeckt dann außerordentlich gut, bei manchen hat das Ikarus-Team einfach ein paar Dinge, weggelassen, die den Charakter des Originals gerade prägten. Bei der Miniatur-Variante der Pizza aus Neapel sind es gerade die Rösttöne, die komplett fehlen und beim Cesar Salad das knusprige der Croutons. Vielleicht ging es beim Ausdenken auch darum, nicht zu früh alles Pulver zu verschießen. Knusprige und rauchige Elemente tauchen später im Menü auf. Als hauchdünne Tarte etwa, gemeinsam mit Spinat und Gänseleber, auf der eine Trompe l'oeil-Trüffel liegt, die mit Kalbsbries-Mousse gefüllt ist. Diese Mousse wurde nach einen Rezept aus der Witzigmann-Zeit zubereitet (Noilly Prat, Schalotten, Obers, großer Mmmh-Effekt) und ist Teil der Rekonstruktion eines Witzigmann-Klassikers aus den Siebzigern: Kalbsbries Rumohr. Zeitgeschichte auf dem Teller. Beim Hummer à l'Americaine tritt der Paradeiser in delikater Variation etwas zu sehr in den Vordergrund und  gibt dem Gericht etwas fast plakativ sommerliches. Gut schmecken tut es allemal. Trettl hat eine kleine Kalbskopf-Mischung in das Gericht geschmuggelt, die bei Escoffiers Original sicher nicht Teil des Spiels war, eher erinnert das an eine alte Haeberlin-Idee aus den guten alten Zeiten der Auberge de l'Ill.
Wie viel hier am Detail gearbeitet wurde! Auf einem herrlichen Black Cod, der mit einer Pasta aus Algen serviert wird und einem Gang vorsitzt, der an den großen Fernand Point gemahnen soll, kommt ein Würfel aus Butter, der mit Zitrone und Molke gefüllt ist. Die Butter und der Rest schmelzen und geben dem Fisch und den Algen Fett und Aroma. Extrem zugespitzte Aromenspielereien treffen auch im Laufe der nächsten Gänge ein. Ein Miteinander von Beeren und Eierschwammerl auf einem French Toast mit geschmortem Coq au vin. Oder die Tortelli aus geliertem Rotwein zum gebratenen Bressehuhn in einer Sauce aus Hühnerfond. Ungeheuer dicht und erfrischend delikat die Desserts. Und eine Weinbegleitung wie hier bekommt man in Österreich an den besten Häusern, zu denen das Ikarus ohne Zweifel zu zählen ist. Das Trettl-Menü gibt es den ganzen August 2012.

(ar)