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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Samstag, 23. Juni 2012

Kollektives Wohlsein in San Daniele

Das Schinkenfest in San Daniele also. Es findet jedes Jahr und das seit 28 Jahren am letzten Wochenende des Juni statt. Wer sich ein elaboriertes Miteinander von Produzenten und ein paar freakigen Gourmets erwartet, soll hier gewarnt sein. Dies ist kein Slow Food-Convivium, sondern eine Münchner-Wiesen-artige Megaveranstaltung nach dem Motto: Prima la birra, poi il prosciutto. Auf liebenswürdig italienische Weise ist die Sache so organisiert, dass nur der Ortskundige den Weg auf die Parkplätze finden, damit sie sich später auf den Hügel schleppen können, wo das Fest stattfindet. Vorbei an Trash-Standeln, wo sie neben Tüchern und Limo auch Betten und Fenster anbieten, geht der Weg und der hungrige San Daniele-Besucher, der sich durch Kinderwägen und kurze Hosen zwängt und feiste Unterschenkel sieht, die leider nicht nach San Daniele-Schinken-Methode zubereitet sind, fragt sich, ob er vielleicht auf der falschen Veranstaltung ist. 400.000 sind es, die an diesem Wochenende durch die Straßen des kleinen Dorfes geschleust werden und Birra in Plastikbechern trinken und sich dazu perfekt aufgeschnittenen Prosciutto auf Papiertellern gönnen. Ist das jetzt schlecht? Man merkt immerhin, dass in Italien auch große Volksfeste nicht unter einem gewissen kulinarischen Level stattfinden läßt, dass schon Kleinkinder von einem der besten Produkte Europas kosten sollen und man es sich kollektiv gut gehen lässt, ohne dass die Gäste auch am späteren Abend über Alkoholleichen stolpern müssen. Dass Deutschland nahe ist, merken wir an den Paulaner-Sonnenschirmen und den Tischen, die - kein Witz - jedes Jahr vom Oktoberfest importiert werden. Eine ästhetische Niederlage. Die Dichte an Prosciutterias, so heißen die kleinen Läden, in denen zweifelsfrei der Schinken die Hauptrolle spielt, vermittelt mir inmitten der Menschenmassen ein Gefühl des Zuhauseseins. Der San Daniele-Schinken gilt auch seit dem EU-Betritt Österreichs, dem wir verdanken, dass man den Prosciutto nicht mehr unterm Winterpullover oder in der Karosserie des Wagens ins Land schmuggeln muss, als begehrenswerte Delikatesse. Und wie gut er immer wieder schmeckt, wenn er richtig mit der Berkel aufgeschnitten und sofort zum Verzehr angeboten wird. Auf einem kleinen Empfang des Schinkenkonsortiums arbeoitet ein Harry-Dean-Stanton-Lookalike mit stoischer Präszision an der Berkel und produziert dort drei Stunden lang Schinkenblatt für Schinkenblatt und als das Fest zu Ende ist, habe ich ihn gefühlte fünf Dutzend Mal aufgesucht. Dem San Daniele Schinken zu verfallen ist nicht schwer. Das Dort selbst allerdings ist an schinkenfestlosen Zeiten gewiß entspannter, allerdings trifft man dort dann auch nicht die Käse-, Bier- und Feigenmarmelademacher, die Dinge feilbieten, von denen man nördlich der Alpen gewiss noch nichts gehört hat. Empfehlung also: hinfahren und sich als Teil eines großen genussfreudigen Ganzen begreifen.

(ar)