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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Mittwoch, 20. November 2013

Verarmen in the City

Eine kleine Apanage für einen gewonnenen Auftrag. Wie gut es sich trifft, dass im Dezember, wenn diese ausbezahlt wird, auch die Sozialversicherungsanstalt (Was für ein Name!) zur Stelle sein wird, um ihre Forderungen einzutreiben. An sich ist es beruhigend, das verdiente Geld in guten Händen zu wissen. Man könnte sonst seiner Neigung zur Verschwendung nachgeben, nach Paris fliegen, Schuhe kaufen oder einen neuen Eiskasten.

Entspannt sehe ich meiner zunehmenden Verarmung entgegen, denn ich weiß jetzt auch, wo ich die prekärsten Jahre meines Lebens verbringen werde. Die Wiener Innenstadt bietet entgegen aller Vorurteile von wegen goldenes Quartier und Speisenkarten in Russisch auch Lokale wie den Reinthaler in der Gluckgasse. Lange vorbei spaziert, war ich jetzt endlich einmal drin.

Eine bunte Tischgesellschaft erwartete mich dort, allen voran Cosima Reif, die Autorin des wunderbaren Büchleins "Kamasutra des Kaufens", eine Predigt für Verschwendung und gegen das lächerliche Hüten des Spargroschens. Der Reinthaler aber, ein echtes Wiener Beisl, weist sich als Lokal für alle aus, die zwar nichts gegen ein verschwenderisches Leben haben, aber dennoch kein Geld im Beutel.

Hauptspeisen gibt es da in verschwenderischer Größe um die Siebenfünzig, die Teuerste davon (Schulterscherzl, Schmarrn und Dillfisolen immerhin) unter zehn Euro. Eine Bestellung von Grammelknödel (herzhaft, groß, gut) mit Saft (echt, gut) und Sauerkraut als Vorspeise wird von der Küche nicht als solche wahrgenommen, nach dem Motto: Bei uns gibt es solche Kinkerlitzchen wie Vorspeisen nicht. Also  Grammelknödel und den gebackenen Kalbskopf mit Erdapfelsalat gleichzeitig.

Wenn ich als armer Gast ins Reinthaler gehe, werde ich wissen, dass mehrgängige Essen und dergleichen liebenswerte, aber endgültige Vergangenheit sind. Ich werde mir den Bauch voll schlagen mit Wurstknödel (Wurstlknödel!), mit Augsburgern und Dillfisolen, mit gebackener oder gerösteter Leber, mit gerösteten Nieren oder auch mit Zwiefelrostbraten. Eine Portion wird für den Tag reichen. Vielleicht noch ein Kaiserschmarrn oder Palatschinken danach, an hohen Feiertagen, an denen der Reinthaler in der Gluckgasse aber geschlossen hat. (Touristen werden ans Schwesterlokal gegenüber dem Trzeniewski verwiesen, wo es weniger schön, aber auch ganz gut ist.)

Wein werde ich nicht dann nicht mehr viel trinken, Bier auch nicht, denn beide sind beim Reinthaler nicht besonders gut (Gösser!). Der Getränkeanteil an meiner Konsumation wird entsprechend gemäßigt ausfallen. Gut. So gesehen kann man der sich langsam annähernden Armut beruhigt ins Auge blicken.

Reinthaler, Gluckgasse 5, 1010 Wien, Telefon: 01 512 33 66

(ar)

Montag, 11. November 2013

Magnum Force

Am Sonntag um die spätere Mittagszeit ist mir klar: eine Ganslsuppe muss her. Bald. Im wunderbaren Landwirtshaus und Hotel zur Linde in Mistelbach ist das Ganslbuffet schon ziemlich gegessen, also breche ich gegen Schützen auf. Am Vorabend war hat es etwas länger gedauert. Der bemerkenswerte Winzer Fritz "Weinrieder" Rieder hatte Familie und Freunde zu einer Magnumparty in die Linde geladen. Ich durfte dabeisein. Magnum nicht nur die Gebinde, sondern auch die Inhalte.

Fritz Rieder ist mir schon seit Jahrzehnten wegen seiner weinviertler TBAs und Eisweine bekannt. Dass er auch im trockenen Bereich so gut aufgestellt ist, war mir weniger bewusst. Wobei ich seine Weine sicher schon öfter einmal serviert bekam, in einem meiner Lieblingsrestaurants in Werfen zum Beispiel, dessen Sommelier Alexander Koblinger zu den großen Fans des Weinrieders zählt. Rieders Weine machen sich gut mit wirklich guter Küche. Weswegen, man muss es leider sagen, diese auch auf keiner einzigen Weinkarte eines weinviertler Gasthauses zu finden sind. Erzählt zumindest der Weinrieder, ich habe das selbst nicht nachgeprüft.



Der Weinrieder ist kein Mensch der Zurückgezogenheit. Er erzählt gerne und wer ihn als Tischnachbarn hat, was ich hatte, erfährt so einiges über den Weinbau im Weinviertel, den hohen Exportanteil des Weinguts, über falsche und richtige Gebinde und den Trieb des Winzers zum Überschreiten der Grenzen. Er meint damit nicht nur Lesezeitpunkte im Februar, wenn die Weinviertler Winzerkollegen gerade vom Karibikurlaub zurückkommen, sondern auch Abende wie diesen.

Denn zur Magnumparty hatte sich Rieder als Gastkoch Alexander Fankhauser gewunschen und bekommen, einen der wirklich besten Chefs des Landes, der nicht gerade für seinen leeren Terminkalender bekannt ist. Alexander Fankhauser und sein Souschef kamen, sahen und kochten. Gemeinsam mit Karl Polak, dem gestandenen 13-Punkte-Patron der Linde, stellten sie ein paar Teller auf die Tische der Gäste, welche diese tatsächlich die Ohren anlegen ließen. Rieder und Fankhauser hatten die Weine und die Speisen am Telefon abgestimmt und das Ergebnis war nicht nur in Anbetracht dieser Tatsache wuchtig. Ein cremiger Veltliner Reserve zu Ham & Eggs mit Albazeugs sowie ein absolut nicht der Norm entsprechender Weißburgunder zur Waller-Wurzelgemüse-Kren-Blunzengröstl-Kombi waren nicht die einzigen Paarungen, die in ihrer Fastvollendung nachdenklich machten. So gut kann Weinviertel sein, so gut ist der nur von Unwissenden als Fernsehkoch denunzierte Herr Fankhauser.

Es wurde dann spät und immer herzlicher. Man rückte zusammen und sah zu, dass die Weine in den Gläsern nicht zu warm wurden. Ich ging zwischendurch vor den monumentartigen Rieslingen des Weinrieders hinter einem Zipferbier in Deckung, obwohl ich Zipfer hasse, und blies gegen halb fünf zum Abzug. Allein, niemand wollte mir folgen.

Der Martinigansl-Bannstrahl zieht den Esser zuerst einmal ins Burgenland. Wohin sonst? Erschöpft zwar von den Strapazen der Aufnahme der frühmorgendlichen Eierspeise mit Speck und Ziefel made by Karl Pollak, aber konsequent und hungrig. Sogar Fahnen haben sie für mich hinausgestellt, denke ich, bis mir klar wird, dass der Martinstag im Burgenland ein Landesfeiertag ist, an dem Schulkinder und Beamte frei haben. Ein  Jahr ohne Gansl bei den Eselböcks erscheint mir noch weniger vorstellbar als die Budgetrede eines österreichischen Finanzministers ohne Flunkerei und falsche Zahlen.



Natürlich schmeckt das dort außerordentlich gut und wenn Alain Weissgerber noch etwas in Gänsefett konfierten Gänsemagen hinzufügt sowie gefüllten Gänsehals ist meine Welt einen Schmaus lange sehr in Ordnung.

(ar)

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Kein Topfen, dieses Haluschka

Im wunderschön gestalteten Garten des Weinguts Jamek treffe ich den neuen Winzer der Familie. Herwig Jamek wird sich um den Wein kümmern, seinen Arztberuf in Krems aber nicht ganz an den Nagel hängen. Ein Oberarzt als Winzer. Klingt wie ein Fernsehdrehbuch, aber diese Familie nimmt die Sache ernst. Auch im Restaurant sind die Jungen gerade dabei, die Verantwortung zu übernehmen. Die wichtigste Frage des Gastes muss an dieser Stelle lauten: Haluschka, Sulz, Beuschl und Hechtnockerl wird es das auch weiterhin geben?

Diese Sachen nämlich haben damals, unter der kochenden Regie von Edeltraud Jamek, den Ruf des Hauses begründet. In einer Zeit, in der in Österreich kulinarische Steppe herrschte, ging man dorthin, aß bürgerlich hervorragend, trank aus Riedelgläsern die schlanken, naturbelassenen Rieslinge aus der Riede Schütt oder die Veltliner vom Achleiten und hatte eine Ahnung, wie es sein könnte und dreißig Jahre später in weiten Teilen Österreichs auch geworden ist. Kultiviert.

Sulz, Hechtnockerl mit Petersiliensauce und Topfenhaluschka werden auch 2013 vom Küchenchef König, den es ebenfalls schon ewig gibt, nach gewohnter Manier zubereitet. Wenig Würze, viel Geschmack, einfache, bescheiden anmutende Darbietung, das Haluschka mit Grammeln und Gurkensalat ein einziger kultiger Traum. Ich trinke dazu einiges aus dem Jahrgang 2012, mein Lieblingswein aber an diesem Mittag wird der Klaus Smaragd aus dem Jahr 2011 sein. Ein kleines Bömbchen an Extrakt, Honig, Pfirsich.




Hans Altmann, der mit Jutta (geborene Jamek) seit 96 das Restaurant und das Weingut führt, hat nach einer Krankheit ein wenig von seiner Robustheit eingebüßt, dafür aber an herzlichem Schmäh gewonnen. Es fällt ihm merkbar ein Stein vom Herzen, jetzt, wo er weiß, dass das Haus und das Weingut weiterhin in den guten Händen der Familie bleibt.

Und die Antwort übrigens, ob es die alten Klassiker neben einer von so manchem überraschenden Einfall geprägten Tageskarte weiterhin geben wird, ob wir das auch in Zukunft haben werden dürfen, ist ein Ja.

(ar)

Mittwoch, 2. Oktober 2013

Nichts mit Aussicht

Schon beim Eingang ins Hauses des Meeres ist mir klar: Du bist hier nicht Teil der Zielgruppe. Stofftierchen - Fische? Ich hab nicht genau geschaut - ine ordentliche Truhe mit Schleckeis. Hier ist der Ort, an dem die Kinder der Wiener, der Stadt mit dem geringsten Fischverbrauch überhaupt, die Möglichkeit haben, Meeresbewohner nicht als panierte Rechtecke kennenzulernen.

Kleines Gedankenexperiment: Würde man den Omas und Opas, Muttis und Vatis, die hier mit den Kleinen das Wochenende totschlagen und nichts verstörendes an den engen Habitaten der Haie und Riesenkrabben finden, im neuen Restaurant lebende Hummer anbieten, sie wären vor die Köpfe gestossen. Doch da besteht zur Zeit keine Sorge, denn das neue Lokal am Dach des Meereshauses ist ein echtes Stück Altwien. Das so genannte Magistrat hat hier ganze Arbeit geleistet.

Pfannen haben hier, wie ich hörte, Lokalverbot. Das Magistrat hatte Angst vor dem Feuer. Ins Freie, um eine der tollsten Aussichten zu genießen, derer man in Wien habhaft werden kann, darf man nur mit einem Plastikbecher. Das Magistrat hatte Befürchtungen, Kinder könnten Gläser über die Glaswand in die Tiefe werfen. Die Pächterin des Lokals, welches gerade vor kurzem fertigstellt wurde, hat sich arrangiert. Ihr Angebot ist nicht der Rede wert.

Natürlich wäre der Platz für einen Gastronomen, der mehr als das Mindeste bieten will, ein gefundenes Fressen gewesen. Man stelle sich vor: Meeresfrüchte am Dach des Haus des Meeres. Oder einfach eine Bar, in dem es den besten Lachs der Stadt gibt. Vielleicht auch einfach Sushi und Sake. Lustig auch Fish & Chips für die Kinder - und mich. Könnte funktionieren, aber solche Ideen gegen die allgegenwärtige Wiener Bürokratie durchzuziehen gleicht der Existenz eines Hammerhais in einem Bassin im Haus des Meeres.

(ar)


Dienstag, 1. Oktober 2013

36 Stunden Samos

Auf Samos begegne ich einer Küche, um die ich bisher einen weiten Bogen gemacht habe. Und muss zerknirscht eingestehen, dass ich der griechischen Inselküche vielleicht bisher unrecht getan habe.





Es war allem war es die Angst vor dem Verhungern, würde man sich nicht mit fetten Moussakas und totgebratenen Tintenfischen vergiften wollen, die mich bisher von den griechischen Inseln fernhielt. Bizzar fand ich  immer der Wiener Faible für griechische Restaurants, während das Essen in der griechischen Klischee-Landschaft aus Langsamkeit, Wetter und Meer der einzige Wermutstropfen ist.



Auf der Nordseite der Insel Samos aß ich in einer Taverne in einem winzigen Bergdorf mit dem unmerkbaren Namen Vourliotes. Erstes Zusammentreffen mit Schafskäse bester Qualität, eine beeindruckende Scheibe balancierte auf groß geschnittenen Stücken von Gurken und Paradeisern, Prachtexemplare, die nach der Ernte im Garten während der letzten Sonnenstrahlen schmeckten.

Ein Moussaka schmeckte wie es aussah. Weniger gut. Prächtig dann ein mit Reis und Gewürzen (ich schätze es waren Nüsse, Mandeln darunter, vielleicht auch Honig) gefülltes und gegrilltes Hendl, ein reiner Genuss und meine Vermutung, dass sie hier die Hühner nicht so malträtieren wie wir in Mitteleuropa, stimmt hoffentlich. Herrlicher Honig mit zuckrigen Kirschen als Nachtisch.

Die Krise ist den Menschen nicht auf den ersten Blick anzumerken. Sie bewahren Fassung und Lässigkeit. Einige  sind von den Firmen, die sie freigesetzt haben, in die familieneigenen Weingärten zurückgekehrt und arbeiten dort gemeinsam für einen karten Lohn. Weinbau auf Samos ist Familiensache. Viele Häuser aber - sie stehen nicht den ersten Sommer halbverputzt oder überhaupt nicht fertig gebaut in Nachbarschaft von aufgelassenen Geschäften. Tristesse im Hinterland, schicke Ressorts am Strand. Da ist Samos, ein ausgesetztes Stück Europa etwa fünf Kilometer vor dem asiatischen Teil der Türkei  keine Ausnahme.

In einer einfachsten Taverne direkt am Wasser dann ein weiteres Aha-Erebnis. Fisch, zubereitet in einem kleinen Familienbetrieb, wie man es aus Italien oder Spanien zu kennen glaubt. Die Zutaten, aus denen in George Pyrgiotis Fischtaverne gekocht sind, wurden mit Bedacht ausgewählt. Und manchen erfasst am Tisch während des Essens Wehmut beim Gedanken, dass er das lange nicht mehr haben wird. Joghurt, Salate, Pasten, gebackene Teigbällchen mit Fisch oder mit Ziegenkäse, Sardinen, kleine Stockfische, es wird serviert und nachserviert bis wir erschöpft Stopp rufen. Und ich lerne die griechische Version des Baba au rhum kennen. Die Biskuitmasse schmeckt verflucht ähnlich der, die man aus Süditalien kennt. Aber statt Rum gibt es Metaxa.


Restaurant Ireon Vouros, George Pyrgiotis, Tel.: +30 22730.95464

The Blue Chair Tavern, Vourliotes Square, Tel.: +30 22730 93311



Herr Pilz

Steinpilzzeit ist. Eigentlich hatte niemand von uns mehr damit gerechnet. Doch bevor die Natur sich für die kommenden Monate in Eis, Schnee und Neben hüllt, hat sie offenbar beschlossen, den Menschen noch ein wenig Freude zu machen. Der Steinpilz ist der Herr unter den Pilzen, deshalb auch sein Vulgo-Name Herrenpilz.

Aber in einem Land, in dem gerade eine Partei bei den Wahlen mit Erfolg bedacht wurde, die das Herrenhafte in ihrem Menschenbild trägt, hat das Wort Herrenpilz einen bitter-modrigen Beigeschmack. Solange haben wir schon auf die nach Wald duftenden Pilze verzichten müssen, da darf es niemanden wundern, wenn wir vergessen haben, wie man diese eigentlich zubereitet.

Eine kurze Umfrage am Naschmarkt ergab, dass sich die Fans des Steinpilzes in zwei Lager teilen lassen: die Anhänger des Gebackenen fühlen sich hier von den Anhängern des Steinpilz à la nature mißverstanden, werfen ihnen diese doch vor, durch die blonde Panier und das Backen in Fett dem Pilz seine Finesse zu rauben. Wobei: in Häusern wie dem Meixner, dem Eckel oder dem Jamek werden die Pilze doch auf hervorragend gute Weise paniert, auch die Sauce Trara schmeckt und mit einem Spritzer Zitrone wird daraus ein herbstlich-erfreuliches Essen. Natürlich kann man sich dem Pilz auch raffinierter nähern.

Der viel zu selten in der Öffentlichkeit aufkochende Xandi Müller wies mich in diesem Zusammenhang bei einem raren Koch-trifft-Esser-Ereignis im neuen Wiener Theatercafé (Müller hospitierte dort einige Tage) auf seinen Trick hin. Er macht aus den Abschnitten der Steinpilze mit Weißwein und etwas Wasser einen aromatischen Fond. Dieser dient zu nichts anderem, als die in der Pfanne bratenden Pilze etwas zu befeuchten, während diese ohne diesen Schuss Flüssigkeit (niemals reines Wasser verwenden, macht die Sache tödlich fad) dann doch leicht trocken geraten. So werden die Pilze herrlich schlatzig, ein Ei darauf, kurz warten, zweimal umrühren, Petersilie dazu, fertig.

Der großartige Alberto Stefanelli in seinem Bacco in Wien Margarethen hingegen macht die Steinpilze am besten roh. Er hobelt sie hauchdünn, serviert sie auf einer großen Platte, ebenfalls gehobelter Parmesan darauf sowie einige (wichtig) Spritzer Zitrone und einiges vom besten toskanischen Olivenöl aller Zeiten. Dieses Gemälde von einem Essen wird serviert, dann aber von Alberto mittels zweier Gabeln zu einem leicht unansehnlichen Gatsch vermischt. Aber wie gut der schmeckt!

(ar)

Donnerstag, 19. September 2013

Rot werden im Salon

Ein Zusammentreffen mit Costas Raptis, dem liebenswerten Kellermeister von Metaxa (große Entdeckungen) führt mich nach Jahren wieder einmal in den Roten Salon des Sacher. Ein Ort, der beim Restaurantkritiker ungefähr so viel Interresse hervorruft wie der Schützner Stein beim Hochalpinisten. Doch wie der Schützner Stein seinen Wein hat, bietet neben dem sehr ordentlich gemachten Tafelspitz samit vorzüglichen Beilagen und Rindsuppe auch dieser schon etwas abgetakelte und daher ernstzunehmende Salon seine Vorzüge. Diese liegen nicht so sehr an der Aussicht auf das Jessye-Norman-artige Hinterteil der Staatsoper, sondern in der Betrachtung der Mitgäste. Da sitzt hinter einem goldenen Schild, welches seinen Namen trägt, der Kommerzialrat. Sein grimmiger Blick will uns etwas sagen, aber was? Ein vierfacher Klarer zum Abschluss der Mahlzeit wird ohne Umstände serviert. Wohlsein, Kommerzialrat. Zwei Tische weiter ist man viel beredter. Wir hören, dass es Mittags Schwammerl gab. Ein phantastisch gecastetes älteres Ehepaar bespricht den Fettgehalt der Sauce und während er den Ober wissen lässt: "Wenn Sie das nächste Mal Schwammerl haben, sagen Sie's mir vorher, dann mach ich sie selber." Keine großen Dialoge, aber für ein kleines Kammerspiel im Vestibül des Burgtheaters würde es reichen. Später im Laufe des Nachmittags ändert sich die Zusammensetzung der Gäste radikal. Ein Gast betrachtet mich, als würde ich aussehen wie einer, der ihm gleich sein Schnitzel vom Teller reißt. Seit der Betrieb auch nachmittags aufrecht ist, verirren sich auch Touristen hier her, bestellen Backhendl wie beim Heurigen und die alte Frau Sacher selig kann froh sein, dass sie das nicht sehen muss. Sie hätte dann wohl einen weiteren Schuss von Metaxas AEN gebraucht. Wir auch.

(ar)


Donnerstag, 1. August 2013

Über Grafen, Weinlöcher und Kuhmägen


Der Conte hieß mit vollem Namen Commito Luigi Manfredo Maria Negroni und ihn als wohlhabend zu bezeichnen wäre eine starke Untertreibung. Negroni wurde Mitte des 19. Jahrhunderts in Fiesole geboren, dem Vorort, den die reichen Florentiner während der Sommermonate der Hitze in der Stadt vorzogen. Er ging in die USA und brachte es dort als Pferdezüchter zu erklecklicher Wohlfahrt. Als er wieder nach Italien zurückkehrte, war der erste Weltkrieg noch neun Jahre entfernt und Negroni, nunmehr verheiratet, führte das Leben eines Angehörigen der Oberschicht. Man traf sich im noblem Bolgheri an der toskanischen Küste, man wohnte in den besten Hotels, besaß Stammplätze in den angesagten Bars.

Zu seinen Freunden zählten viele Künstler, darunter auch der Komponist Puccini. In Conte Negronis Ausweisdokumenten wurde über seinen beruflichen Status der Name notiert, den wir alle gerne für uns in Anspruch nehmen würden: Benestate, heißt soviel wie Privatier. Eine der Lieblingsbars des Grafen war damals das Café Casoni. Dort verkehrte er regelmäßig und trank einen seiner Lieblingsdrinks, den Americano aus einer Unze Campari Bitter, 1 Unze roten Wermut, aufgegossen mit Soda, garniert mit einer Scheibe Zitrone und Orange.

Das Casoni war in Florenz so etwas wie das Sacher für die Wiener. Der Bartender dort hörte auf den Namen Fosco Bruno Sabatino Corselli und es darf angenommen werden, dass er zu seinem Stammgast ein herzliches Verhältnis pflegte. Widmete Corselli dem Conte Negroni doch seine neue Cocktailkreation, der als einer der berühmtesten Drinks der Welt gilt und florentinische Lebenskultur im Glas ist.

Der Negroni besteht aus einer Unze Londion Dry Gin, 1 Unze Campari bitter und 1 Unze italienischem roten Wermut. Angeblich soll ein Freund um die Gesundheit des Conte besorgt gewesen sein und ihm geschrieben haben: „Du solltest bitte nicht mehr als 20 Negronis am Tag trinken.“ Fosco Scorselli war später Gründungsmitglied der Italian Bartender Association. Einer seiner Nachfolger im Geiste und im Handwerk ist Luca Picchi, der im Café Rivoire arbeitet, wo es Negronis und andere Stärkungen gibt, mit Blick auf den Palast, in dem früher die Machthaber von Florenz wohnten, auf den David von Michelangelo, der allerdings ein Fake ist, denn das Original gibt es in der Akademie zu bewundern, Tauben und andere Dinge hatten die Oberfläche des Wunderwerks zu stark strapaziert.

Luca Picchi ist ein Bartender der alten Schule. Er hat selbst einige Rezepte weiterentwickelt, zum Beispiel eine Variante des Negroni erfunden, die mit wesentlich mehr Zutaten auskommt als das Original, darunter Ginger Ale und Orangenlikör, was den Cocktail etwas süßer macht. Dem Conte hätte das wohl weniger gefallen, genauso wie der Umstand, dass es in wenigen Städten ein derartiges Nebeneinander zwischen absoluter Schönheit und Hässlichkeit gibt.

Für die Hässlichkeit sind die Touristen zuständig, deren Outfits man als Ausdruck der Verachtung der Schönheiten der Städte Italiens deuten könnte, welche sie bereisen. Ein starker Schluck vom doppelten Negroni. Es ist Mittagszeit, und alles wird besser, schöner. Man könnte schon den Tag mit einem Glas begonnen haben, doch das empfiehlt sich nicht einmal im hedonistischen Italien. Klüger und besser, man startet den Tag auf einem der Florentiner Märkte, zum Beispiel San Lorenzo. Das Frühstück im Hotel sollte nicht zu üppig ausgefallen sein, würde der Conte empfohlen haben, denn nach dem ersten Ristretto mit Blick auf die Stände mit dem muskulös-fetten Geflügel, Fischen und den wunderbarsten Gemüsen wird es richtig ernst.

„Lampredotto“ nennt sich der lokale Snack, der Name stammt daher, dass der gesottene Labmagen des Rindes im Aussehen an das Neunauge, eine im Arno vorkommende Art des Aales erinnert. Der Lampredotto, welcher besonders zart ist, wird in einer Suppe mit Paradeisern und vielen Kräutern gekocht. Man isst ihn in einem Weißbrotwecken, vielleicht mit etwas grüner Sauce. Pfeffer und Olivenöl. Das erste Bicchiere mit säurebetontem Sangiovese des Tages wäre hiermit gerechtfertigt, falls es dafür überhaupt eine Rechtfertigung braucht. In San Lorenzo ist die kulinarische Hochkultur von Florenz und der Toskana versammelt. Hier wundert es den Spaziergänger überhaupt nicht, wenn an einem Marktstand alle Jahrgänge von Gaja angeboten werden, die Supertuscans sowieso, daneben edle Taschenmesser. Und in der Vitrine jedes Fleischhauers trohnt das Trumm von T-Bone-Steak, welches vom Chianina-Rind kommt, dem T-Rex unter den Fleischrindern. Darüber später mehr.

Man probiert noch ein wenig von den Pecorinos unterschiedlicher Reife, trinkt Rosso di Montalcino aus dem Plastikbecher und dann ist es für die, die keinen Lampredotto haben, Zeit für eine spätvormittägliche Pizza. Einer der besten Pizzaläden der Stadt liegt gleich nebenan und hört auf den vielversprechenden Namen Rosso Pomodoro (Piazza del Mercato Centrale, 17, 50123 Firenze, Italien
Telefon:+39 055 211131). Die einfache und schmucklose Einrichtung des Lokals erinnert an das Mekka der Pizzafans, das Michele im Mafiaviertel in Neapel. Aus Neapel, wo sie die Pizza Margarita erfunden haben, kommt auch der junge Pizzaiolo. Er erzählt ein bisschen etwas, worauf es beim Pizzamachen ankomme, bevor der Besucher in eine Pizza beißt, wie es sie in unseren Breiten einfach nicht gibt. Viele Pizzaköche, so erfährt er vom Besitzer des Rosso, würden das Teiggemisch mit der Germ nicht lange genug gehen lassen. (Ideal: 24 bis 36 Stunden.) Der Magen des Pizzagastes reagiere darauf mit Völle, signalisiere Durst, was nicht erfreulich ist, wenn gerade keine Bar in der Nähe ist. Was eine gute Pizza neben Zeit auch braucht, war in diesem Magazin schon oft zu lesen, kann aber zum Zwecke der Aufklärung nicht oft genug wiederholt werden: Ein Holz-Ofen mit an die 450 Grad Hitze muss her. Nur wenige Minuten benötigt der mit Paradeiserpüree, Mozzarella und Basilikum veredelte Teigfladen, bis er im Ofen an den Rändern aufgeht wie ein Soufflé und Brandblasen wirft. Der Rand sollte beim Ausdünnen des Teigs auf einer bemehlten Marmorplatte auch nicht berührt worden sein, sonst bleibt er am Boden.

Es ist jetzt gegen elf und Florenz beginnt zu atmen. Kleine Läden sperren auf, aus ihnen duftet es nach Braten, nach Porchetta, nach dem Sud, in dem die Kutteln kochen. Touristenfallen unterscheidet der Spaziergänger oft erst auf den zweiten Blick von den wirklich guten Plätzen. Das Cibreo wäre zu erwähnen und immer zu besuchen. Von der Enoteca Pinchiorri hört man Horrorgeschichten, was die Rechnungen anbelangt.

Einer der neuen Stars unter den Küchenchefs ist Marco Stabile. Er besitzt ein kleines Restaurant in einer schmalen Gasse hinter den Uffizien. Das Ora d’Aria empfängt die Gäste mit einem Schild der „Jeunes Restaurateurs d’Europe“. Erstere sind somit darüber aufgeklärt, dass sie es mit einem der besseren Köche zu tun haben. Stabile ist ein Riesenteddybär von Mann, mit Bauch und Bart und von überaus freundlichem Wesen. Vollkommen frei von dekorativen Klischees ist sein Lokal, im Erdgeschoss eingerichtet wie ein modernes Bistro, während im Souterrain immerhin die Tische weiß gedeckt sind. Ein besonders witziger Tisch für zwei befindet sich weiter unten im Weinkeller, direkt neben den Weinregalen. Marco Stabile hat bei einigen Größen seiner Profession gearbeitet, unter anderem auch im wunderbaren Arnolfo bei Siena.

Er bietet den Mittagsgästen Tapa-Portionen zu an diesem Ort der Stadt fast konkurrenzlosen Preisen. Auch die besten Restaurants müssen in Italien zur Zeit um Gäste werben. Das Menü mit Fisch kostet 75 Euro, was ebenfalls viel ist. Eine Vorspeise aus sizilianischen Garnelen und einem Fisch aus dem thyrennischen Meer, der dem Thunfisch ähnelt, ist perfekt. Doch warum serviert die Küche danach banale Jakobsmuscheln, noch dazu mit Kaviar und einem Püree von Karotten? Immerhin fein dazu die Crumbles aus Zitrone. In einer Suppe mit Bohnen und Weißbrot, gelungenes Zitat der italienischen Cucina povera, schwimmen Mini-Tintenfische, von denen einige etwas zu lange an der Luft gestanden waren. Die Pasta mit Stockfisch hätte den Kaviar aus schwarzen Trüffeln sowas von nicht gebraucht. Molekularer Schmäh, blöder. Dann das beste Gericht des Menüs: Seeteufel-Bäckchen in schwarzer Hülle, die aus getrockneter Tintenfischsauce, Kohlpulver und Ähnlichem zubereitet wurde. Das schmeckt sehr, sehr gut und sogar die Frage, warum es dazu schon wieder Karottenpüree gibt, kann den ausgezeichneten Gesamteindruck nicht schmälern. Marco Stabile hat seit zwei Jahren den ersten Michelin-Stern. Bei diesem einen muss es nicht bleiben, wenn er sich entschließt, nie mehr solche Gerichte zu servieren wie einen zähen Oktopus mit Salsiccia. Liebenswürdig und kompetent kümmert sich der Sommelier um die Befüllung der Weingläser der Gäste. Nach dem Mittagessen ist etwas Ruhe am Pool willkommen, in Fiesole vielleicht, wo der Conte Negroni geboren wurde, und wo jetzt einige der schöneren und hemmungslos überteuerten Hotels Italiens stehen.

Zum Beispiel die Villa Salviatino, Ort des Rückzugs auf Niveau. Hier tankt der Gast vornehmer oder oligarchischer Herkunft Kraft fürs Abendprogramm. Er könnte dieses auf einer der schönsten Terrassen der Stadt eröffnen, jener des Hotels Excelsior, welche im sechsten Stock des Hauses liegt und den Blick frei gibt auf Arno, Kirchen, Kuppeln, Hügel und Sonne. Sie passt so gut zum Bellini, der mit venezianischer Delikatesse und Frische im Glas posiert. Man hebt das Glas auf das gegenüberliegende, ebenso exzellent geführte St. Regis, dessen Lobby zu den bevorzugten Aufenthaltsorten des Conte zählte. Er würde auch heute noch gerne in den bequemen Fauteuils sitzen, vielleicht sich ein Glas vom Hauschampagner (Pommery) genehmigen und wie selbstverständlich zur Kenntnis nehmen, mit welcher Liebenswürdigkeit und Qualität in dieser Bar mit dem Gast umgegangen wird. Darf es ein kleiner Appetizer sein? So fragt der livrierte Ober und serviert schon zwei perfekte Austern, Lachscanapés mit Kaviar, kleine Pizzen, Parmesan und Grissini mit Prosciutto. Auch wenn man keine gräfliche Erziehung genossen hat, weiß man, dass es sich jetzt nicht wirklich ziemt, eine Gier an den Tag zu legen, die verraten könnte, dass man nicht zu den Privilegierten zählt, die jeden Tag mit einem Drink in einer Bar von der Klasse des St. Regis beenden.

So verlässt der Gast die Bar des St. Regis mit gesegnetem Appetit und strebt dem ein paar Gassen weiter Richtung Stadtzentrum gelegenen Buca Lapi zu, welches im Souterrain des Stadtpalazzos der Familie Antinori Platz gefunden hat. Neben dem Eingang eine kleine Wandöffnung mit der Aufschrift „Vino“. Loch und Aufschrift erinnern an die lange vergangene Zeit, in welcher die Besitzer der vornehmen Stadtpalais Wein (und Olivenöl) von ihren Landsitzen nach Florenz brachten und dort verkauften. Die Familie Antinori, die gerade einen edlen Weinkeller im Chianti eröffnet hat, gehörte ohne Zweifel immer schon zu den reichen Patrizierfamilien.

Das Buca Lapi darf man dann übrigens durchaus als Touristenfalle bezeichnen, wenn auch seine Zielgruppe nicht die Rucksackträger sind. Wetten wir um zehn Negronis bei Luca Picchi, dass Sie nirgendwo in dieser Stadt eine bessere Bistecca Fiorentina auftreiben werden. Außen fast verkohlt vom Holzkohlengrill, innen gerade einmal warm und zart wie Butter.

Mein Essen am Eifelturm


Vor 126 Jahren haben sie begonnen, den Eiffelturm zu bauen. Die Wartezeiten auf einen Tisch im Restaurant Jules Verne, betrieben von der Groupe Alain Ducasse, sind nicht ganz so lange, aber beträchtlich. Zumindest waren sie das, als ich die Gelegenheit hatte, dort zu Mittag zu essen. Welches Privileg das ist, wird dem Parisbesucher klar, lange bevor er die Speisenkarte in die Hand gedrückt bekommt. Denn am Platz unter dem Turm gibt es zwei Kategorien von Menschen. Die einen warten bis zu einer Stunde vor der Kassa und dem Aufzug, um irgendwann tatsächlich den Weg nach oben zu schaffen. Da kannst du Mensdorff-pouilly heißen oder Vranitzky und mit dem österreichischen Diplomatenpass wacheln, es gibt kein Vorgelassenwerden. Die andere Kategorie der Gäste findet sich in einem überschaubaren Grüppchen vor einem Extralift ein, der ins Mittelgeschoss führt, direkt zum Empfang des Restaurants.
Ein livrierter Herr am Einlass. "On a une reservation pour …" und schon ist man drin und während die Eiffelturmbesucher der ersten Kategorie immer noch warten, wird man oben bereits vor dem Hauptgang sitzen. Denn das Tempo, mit dem die gut geschulte Servicemannschaft im Jules Verne zu Gange ist, raubt einem fast den Atem. Offenbar wollen sie die Tische nicht nur einmal, sondern dreimal drehen an diesem Mittag. Mir auch recht. Der Hunger ist ohnehin nicht allzu groß. Vielleicht macht das die Höhenluft. Als hätte ich ihn schon im Lift bestellt, steht der Champagner auf dem Tisch. Eine Ausnahmeerscheinung. Die Gäste, die genauso wenig in Paris wohnhaft sind wie ich, leiden wohl alle an einer Alkoholunverträglichkeit, denn soviel Cola und Evian wird in keinem anderen Restaurant der Alain-Ducasse-Kette konsumiert wie hier.

Es amerikanert sehr. Es russelt auch ein bisserl. Die Bekleidung vieler Gäste schrammt an diesem Mittag knapp am Lokalverweis vorbei und ich bemühe mich, meinen Blick von den Kniekehlen einer Mittfünfzigerin abzuwenden und mich auf den Ausblick zu konzentrieren. Dieser ist phantastisch, was aber in diesem Zusammenhang nur am Rande erwähnt werden muss. Mit Überschallgeschwindigkeit wird das Essen serviert, sodass ich erst beim Hauptgang soweit zur Ruhe komme, um überhaupt wahrzunehmen, was ich da esse. Ein Klassiker von Alain Ducasse, für den man in einer etwas feineren Ausführung im Plaza Athenée das Dreifache bezahlt. (Das Jules Verne ist übrigens nicht unverschämt teuer, nur teuer, wie fast alles an der Seine.)

Es ist ein Frikassée vom Bressehuhn mit Flußkrebsen und verschiedenen, sehr jugendlichen Gemüsen, und es ist selbstverständlich delikat.

Weil dem Sommelier an diesem Mittag unerträglich fad ist, um nicht zu sagen, dass er an der Sinnhaftigkeit seiner Existenz zweifeln muss, trinke ich zum Hendl ein kleines Fläschchen aus der Loire. Kaffee, Petit Fours, ob es außerdem noch ein Dessert gab? Doch ja, etwas mit Schokolade und Birne, sehr gut. Ein Höhepunkt ist die Küche im Jules Verne allerdings nicht, aber zum Beispiel im Donauturm in Wien könnten sie sich noch was abschauen.

Runter geht es schneller als nach oben, man kann also durchaus was fürs Leben lernen am Eiffelturm.

Ich steige aus dem Lift aus und bin froh, vorhin nicht Ente oder Boeuf Bourguignon gehabt zu haben. Täusche ich mich - oder stehen die Menschen von vorhin hier immer noch an?

Mittwoch, 31. Juli 2013

Keta-Kaviar in St.Moritz

Keta-Kaviar, also das orange Zeug, das es auch beim Billa und beim Merkur gibt, ist eigentlich genau genommen für das mondäne Alpen-Monaco namens St.Moritz ein No-Go. Der Snob denkt dabei sofort an einen #Aufschrei und hält sich an der Krawatte mit dem Dracula-Club-Logo fest.

Dennoch gab es  Ketakügelchen als Vorspeise zu einem rohen Thunfisch mit Avocado. Nicht vielleicht im Stehinbiss einer Liftstation. Im Talvo by Dalsass gab es das, dem mittlerweile doch recht berühmten Restaurant im Nachbarort Champfèr. Es schmeckte brav und nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Die Sache mit dem Keta-Kaviar ließ mir keine Ruhe. Muss Martin Dalsass, dessen Lokal sicher eher zu den Kostpieligeren des Oberen Engadins zählt, auf einmal bei den Produkten sparen? Findet sich im Sommer niemand mehr, der für einen Löffel Oscietra 100 Franken oder mehr hinlegt?

Hat ihn am Ende die Lust an der Demokratisierung übermannt, so in der Art: Auch Krisenverlierer aus Italien, Hartz V Reisende oder Blogger sollen sich mein Restaurant leisten können, weshalb ich statt Störkaviar den Billigstdorfer wähle? (Die günstige Variante gibt es um 48 CHF, also die mit den orangen Kügelchen.)

Ansonsten ist das Essen im Talvo sehr in Ordnung, ein rosa gebratener Maibock mit einem Kräutermäntelchen exzellent (warum es Ende Juli noch Maibock heißt, konnte man mir nicht erklären, versicherte aber, dass es sich um keine Tiefkühlware handelte.) Die Sauce dazu, aus Rotwein mit Ribisel und somit von idealer Säure möchte ich auch gerne können. Witzig die Minigemüslein, herrlich das Kartoffelpürée, ein Dalsass-Klassiker.


Was gibt es sonst noch zu berichten? Ich genoss einige Tage die Gastlichkeit des Dorfes St.Moritz, stellte fest, dass die im Palace herrliche Champagner-Drinks hinkriegen (besonders gut: der Rossini mit Erdbeeren), dass mein Zimmer im Monopol gleich hinter dem Palace zwar klein war, aber eine herrliche Aussicht besaß (Nummer wird hier selbstverständlich nicht verraten, ich will wiederkommen), und dass es nicht auf jeder Alm Bündnerfleisch und Capuns (hiesige Spezialität aus Spätzleteig und Mangold, in Milchwasser gekocht) gibt.

Diese gehören allerdings zu den unbedingt probierenswerten Spezialitäten der Region, die sich im Sommer ihrer Engadiner Tradition des gemeinsamen Feste feierns besinnt. Während des Winters sind zu viele Fremde da.

Die Sache mit dem Keta-Kaviar ist schon okay, denn im Sommer bemüht sich St.Moritz auch um den Gast, der nicht im Lamborghini vorfährt. Manche vielleicht an der Grenze zum Too-filthy rich-Niveau angesiedelte Lokale wie das Nobu haben gleich gar nicht offen. Dafür ist in den Zigarrenlounges genug Platz.

Diese verdienen übrigens ihre Namen wirklich und sind mit dem, was es in Österreich oder Italien für rauchende Zeitgenießer im Angebot gibt, nicht in einem Atemzug zu nennen.

Weil Sie gerade fragen: Natürlich gibt es in St.Moritz einen Davidoff-Laden. Er alleine ist die Reise ins Engadin bereits wert.

(ar)

Montag, 22. Juli 2013

Wein und Bergkräuter am Libellensee

Der Libellensee liegt in einem Wäldchen in Oberlech. Er ist kleiner als der Bodensee, aber größer als die Badewanne in meinem Hotelzimmer. Den Namen hat er von den vielen schönen Libellen, welche oberhalb des Wassers ihre Runden fliegen, während derer es auch manchmal zu einer Paarungssituation kommen kann.

Die Libellen, so erzählt die Sage, seien nicht zufällig hier. Sie würden den Geist bewachen, der unter der Wasseroberfläche des Libellensees wohnt. Ob es ein guter oder ein böser Geist ist, weiß man eigentlich nicht, aber sicher ist sicher.

Wenn die Libellen ihre Kreise fliegen, wundern sie sich bisweilen. Eine Gruppe von Menschen taucht auf, lässt sich am Ufer des kleinen Sees nieder. Sie haben Weinflaschen und Gläser dabei, was bei den Libellen nicht weiter komisch vorkommt. Sie wissen, dass intelligente Menschen oft Gläser und Weinflaschen mit sich führen.

Doch einer von den Seebesuchern hat einen Korb dabei, gefüllt mit gerade gesammelten Bergkräutern. Kräuter sind nicht so die Sache der Libellen, sie würden es verstehen, wenn man den Wein zum Käse serviert, aber das mit den Bergkräutern - seltsam sind sie doch, die Menschen.

Sommelière Tanja Gohrke und Küchenchef Thorsten Probost vom Burg Vital Hotel haben sich die Sache einfallen lassen. Probost darf sich als ausgewiesener Fachmann im Gebiet der Kräuter bezeichnen lassen. Er kennt wirklich jedes Gewächs in den Oberlecher Bergen, weiß um seine gesundheitliche Wirkung und um die perfekte Dosierung. "Sauerklee", sagt er zum Beispiel, "kann in großen Dorsierungen giftig wirken." Er ist ein großer Fan des Bergschnittlauchs, verwendet guten Heinrich statt Spinat und sagt: "Wenn der Stengel einer Pflanze mehr als fünf Ecken hat, ist sie wahrscheinlich nicht genießbar."

Wußte ich zum Beispiel nicht. Sie?

Tanja Gohrke fand die Idee, Wein zu Kräutern zu degustieren und auf die Wirkung zu überprüfen, interessanter als das schon lange durchgekaute Thema Wein und Käse. Egal, was die Libellen am Libellensee davon halten, öffnet Tanja erst einmal einen Sauvignon Constantia Glen aus Südafrika. Es ist ein 2011er und noch sehr jung, mit weniger agressiver Frucht als zum Beispiel eine steirische Klassik. Mit Leimkraut funktioniert der Wein erst einmal gar nicht, es wird bitter im Mund. Mit wildem Kümmel gefällt die Frucht des Sauvignons schon eher.

Der nächste Wein: Riesling Smaragd 2007, Alzinger, ist in jedem Fall ein Genuss. Gewagt, den Wein mit wilder Minze zusammen zu bringen, doch das Petrol der Minze macht sich exzellent mit dem reifen Wachauer Riesling. Schließlich öffnet Tanja einen wuchtigen, holzbetonten Chardonnay von Löwengang 2009 von Alois Lageder aus Südtirol. Ein Wein, der den Trinker unter einer Holzlawine begräbt.

Doch Kräuter wie Sauerklee oder andere eher säuerliche Pflanzen geben dem Wein den richtigen Kick.  Es wirkt mit seiner Frische gegen die Üppigkeit des noch sehr jungen Weins. Detto Zahnlavendel und Quendel.

"Wenn ich also merke, ich habe einen Wein, der nicht hundertprozentig zum Essen passt oder mir einfach einen Tick zu heftig ist, kann ich ihm mit ein passenden Wildkräutern eine andere geschmackliche Richtung geben."

Wir trinken aus, die Libellen drehen weiter ihre Runden. Der Geist des Libellensees, oft muss er schrecklichen Durst haben.

www.burgvitalressort.com


Freitag, 19. Juli 2013

Gelangweilt unter dem Rewebogen

Fällt uns etwas auf, wenn wir durch die Innenstädte von Florenz, Paris, Bordeaux oder Amsterdam spazieren und dann durch den ersten Bezirk in Wien? Nirgendwo ist die Dominanz zweier so genannten Lebensmittelketten so sichtbar wie in den teuersten Gegenden Österreichs.

Am Neuen Markt, am Hohen Markt: sie machen sich breit im Auge des Betrachters mit ihren Riesenlogos und Preisschildern, der sich, bevor er sich mit Grauen abwendet, fragt, warum das eigentlich so sein muss.

In Florenz ein kleiner Delikatessenladen neben dem anderen, wo es Gemüse und Wurst oder Wein aus der Toskana gibt, in Paris winzige Geschäfte für Käse, Wein oder Brot, legendär gut sortierte Charcuteries mit locker einem halben Dutzend verschiedener Geflügelsorten. In jedem Bezirk winzige Märkte mit Topware aus dem Meer.

In Wien Billa und Spar. Dass wir von denen nach kürzlich veröffentlichten Studien auch noch richtig abgezockt werden, passt ins Bild. Denn wo ein Monopol ist, darf sich der Kunde keinen Preisvorteil erwarten.

Warum lassen die Österreicher, die Wiener sich diesen langweiligen Einheitsbrei aus Industrieprodukten und camouflage-artig aufgetragenen so genannten "Delikatessen" und Bio-Lebensmittel (wieder aus Massenproduktion) gefallen. Schmeckt ihnen das oder ist es ihnen egal.

Dass bei den Deutschen nur zehn Prozent essen, um zu genießen, während die anderen Neunzig einfach irgendwas reinhauen, um bloß satt zu werden, dieses ernüchternde Ergebnis über die Essgewohnheiten in einer der reichsten Nationen der Welt, lässt sich auf Österreich bedingt umlegen.

Vielleicht sind es bei uns 15 oder 20%. Der Rest schlucht, was ihnen im Supermarkt aufgetischt wird.

Seit einem halben Jahr haben wir in Wien einen Merkurmarkt, der sich, wie es hieß, anschickte, dem Meinl am Graben Konkurrenz zu machen. Um sicher nicht wenig Geld wurde die Kultköchin Kim eingekauft, die seither dort ein kleines Restaurant führt. Ich hatte nie Gelegenheit, beim Merkur am hohen Markt hineinzuschauen. Vor kurzem war ich dort.

Die Eindrücke, Sie werden jetzt nicht überrascht sein, unterboten meine Erwartungen. Viel Gemüse, wenig davon, das sich von der üblichen Massenware unterscheidet. Das Käseangebot eine Lächerlichkeit, die Fischtheke einen geschätzten halben Meter breit, das Fleischsortiment erbärmlich. Zwei Hendeln liegen da: eines trägt ein Schild: "Premium". Und sonst?

Meterweise Softdrinks, Müslis, Fertigpizzen, Abgepacktes, Zelofaniertes.

Gallerie Lafayette, Alsterhaus, Harrods sind Namen, von denen man in Wien nur träumen kann. Statt ihrer machen sich Lebensmittelketten in den teuersten Immobilien der Innenstadt sowie Umgebung breit, weil es für sie in Anbetracht des volatilen Aktienmarktes die beste Anlageform ist.

Samstag, 13. Juli 2013

AUA!

Warum erscheint in unserem kulinarischen Vergnügungsblog eine Geschichte über den mieserablem Kundenservice der AUA? Weil es erstens den Blog "Die schlechtesten Fluglinien der Welt" noch nicht gibt (ich überlege mir allerdings sehr, diesen in Kürze ins Leben zu rufen) und weil wir wissen, dass, wer gut essen will, viel reisen muss.

So landet er dann irgendwann am Flughafen Roissy Charles de Gaulle, einem der häßlichsten Flughäfen Europas.

Hier sitzt er und sagt sich: "Du kannst froh sein. Snowdon sitzt auch auf einem Flughafen fest, doch dieser befindet sich  in Moskau und nicht vor den Toren von Paris. Snowdon ist also schon schlechter dran als du, auch wenn der französische Präseident dir noch keine Bedingungen für ein Asyl gestellt hat. Du brauchst auch kein Asyl in Frankreich.

Denn du wirst nicht von der mächtigsten und gerade ihren Ruf vollkommen torpendierenden Nation mit dem Einsperren oder gar dem Tod bedroht. Es geht dir gut. Du hast nur ein Pech: du bist Passagier der Austrian Airlines."

Wobei es richtigerweise heißen muss: Du hättest Passagier der Austrian Airlines sein sollen. Flug von Bordeaux nach Paris (Sie merken, es geht beim Reisen auch ums Essen und Trinken, denn was tut der Mensch sonst in Bordeaux?). Dann weiter nach Wien. Ein Flug von einer Großstadt zur anderen, einfache Sache, möchte man sagen. Nicht mit den Austrian Airlines.

Erst am Gate erfahre ich, dass der Flug um 20.15 Uhr nach Wien annuliert worden ist. Technisches Gebrechen oder so. Mein Gepäck, darin Medikamente, das letzte frische Hemd sowie ein flüssiges Geschenk der grißartigen Firma Lillet, ist gerade auf dem Weg nach ... wohin eigentlich?

Die Dame am Austrian Airlines-Schalter in 2D (Terminal 2, Abteilung D) schaut mich nicht einmal an, als ich ihr mein Ticket vorlege, dem nun kein Flug gegenübersteht. Man möge sich an die Air France wenden.

15 Minuten Fußmarsch später erfahre ich am Air France-Ticketschalter nach weiteren 15 Minuten , dass ich mich an den Costumer-Service der Air France wenden muss. Dort würde man mich gerne wieder zu den Austrian Airlines zurückschicken. Generell besteht Übercforderung und die Gefahr, dass mir das wunderbare Mittagessen, welches ich in Bordeaux vor ein paar Stunden hatte, hockommt, während das Mädchen hinter der Glaswand vergeblich versucht, einen Alternativ-Flug zu organisieren.

Die AUA, die eigentlich für die Passagiere, die sie aus irgendwelchen Gründen nicht fliegen können, zuständig sind, was tun sie?

Sie tun nichts. Da ist niemand. Die Fluglinie der Österreicher zieht sich aus derAffäre, indem sie einen Flug annulliert. Mehr macht die AUA nicht. Ich erwarte mir keine Sänfte, keine Canapés, keine kleinen Erfrischungen oder einen Aperitif, während ich zwei Stunden am Schalter des so genannten Kundenservices warte.

Ich erwarte eigentlich gar nichts. Die AUA bietet noch weniger. Selbstverständlich ist der Flieger am kommenden Tag um die Zeit ausgebucht. Und selbstverständlich werde ich nicht an mein Gepäck kommen. Denn das ist irgendwo im Nirgendwo zwischen den Terminals des Bösen abgetaucht.

Keine Tabletten - Sie wollen wissen wüfür? Ich verrate es nicht.  Kein Lillet - ich werde Ersatz finden in St.Germain. Kein frisches Hemd - welches Hemd trage ich morgen zu Mittag, wenn die Franzosen den 14.Juli feiern?

Den Austrian Airlines ist das egal.

Am Wiener Telefon höre ich: "Wir sind erst morgen wieder für Sie persönlich erreichbar." Man bietet mir an, es doch unter aua.com zu probieren. Ich lach mich tot, irgendwie.

Das Niveau österreichischer Dienstleistungsunternehmen (von Selbstbedienungstankstellen bis zu Telekom-Providern) hat einen neuen Tiefpunkt erreicht.




Sonntag, 14. April 2013

Was schmeckt der Comtesse?

Der Wienmarathon am heutigen Sonntag zum Beispiel wäre schon Grund genug, die Stadt schon am Samstag morgen zu verlassen und sich in einem mindestens eine Autostunde entfernten Ort vor den bunten, schwitzenden Massen in Sicherheit zu wähnen.

Ich wähle die Wachau in der Annahme, dass sich von den bunten Trikots keines so sehr aus der stadt aufs Land verlaufen wird, dass es mir auf meinen Sonntagsspaziergängen entgegen schwitzen könnte.

Auch ohne Marathonsonntag wäre allerdings die Reise in die wunderbare Weingegend angezeigt gewesen. Denn das Wachau Gourmet-Festival hatte am Samstagabend im Landhaus Bacher einen seiner vielen Höhepunkte, ein Essen, gekocht von Thomas Dorfer, begleitet von Weinen aus der Steiermark, sowie von älteren Jahrgängen der Weine "M" von F.X.Pichler und Singerriedel von Franz Hirtzberger.

Danach ein paar relevante Bordeaux aus interessanten Jahren. Nicht die Premier Crus. Das ist Klaus Wagner zu einfach. Den Gästen auch zu teuer. Er sieht sich lieber nach lohnenden Deuxièmes um. Es darf auch mal ein drittes oder viertes Gewächs sein. Wir sind keine Etikettentrinker.

Bewundernswert ist wieder einmal nicht nur die Leistung des Küchenteams rund um Thomas Dorfer (und Lisl Wagner Bacher, die wohl nicht ganz zufällig am Pass steht, obwohl sie die Leitung der Küche schon vor längerem an ihren Schwiegersohn abgegeben hat), die eine zunehmende Reife und Konzentriertheit aufweist.

Neben der Auswahl der Weine ist es vor allem die Routine in der Logistik und Ablaufplanung, mit der das Team unter Sommelier Andreas Rottensteiner beweist, dass große Wein-Diners im Landhaus Bacher seit Jahrzehnten zu den alljährlichen Gepflogenheiten zählen.

Sie, verehrte kulinarisch interessierte Leser, waren sicher schon öfter bei Abendessen, bei denen Weine eine über dem Üblichen ausgewiesene Rolle spielen.

Zu jedem Gericht gibt es dann vier Gläser, aus denen in ausreichender Menge rare Exemplare einer Sorte, eines Jahrgangs oder eines Weinguts platziert werden. Doch das wissen Sie, sonst würden Sie nicht hier sein.

Für den Service gleicht eine Veranstaltung dieser Art einem Marathon, allerdings müssen die Servicemitarbeiter dabei weder die Logos von Banken noch irgendwelche Nummern tragen. Nummeriert werden die Gläser, damit sich Einschenker und Gast zurechtfinden. Dann geht es ans Verkosten. Weine an sich, wenn wir nicht von der 2 Euro-Masse aus dem Supermarkt sprechen, sind ja eigenwillige Burschen.

Oder wie es ein Gast am vollkommen ausgebuchten Wachau-Bordeaux-Abend sagte: "Es gibt keine guten oder schlechten Jahrgänge, nur gute oder schlechte Flaschen."

Der  Wein, dieser sture Individualist, lässt sich nicht mal in Jahrgangs-Schemata pressen. Tatsache ist jedoch, dass die guten Wachauer Weißen aus den Jahren 2004 und 2005 zur Zeit in bemerkenswerter Form sind, wie ich bei mehreren Flaschen Riesling (Loibenberg, Schütt) vom Knoll angenehm feststellen durfte, und auch im Landhaus Bacher erlebte, wo sich der schlanke und perfekt balancierte "M" 2004 und der "Singerriedel" 2005 neben den Jahrgängen 2009 und 2003 als Gruppenbeste erwiesen. Eine Formsache. Applaus von den Gästen.

Die Winzer waren leider nicht anwesend und ließen sich diesen entgehen.

Perfekt choreografiert von der wunderbaren Johanna Stiefelbauer und Herrn Rottensteiner, lief das Einschenken, die Erläuterung der Weine im Glas, das Servieren, das Abservieren. Hunderte Gläser wurden gleichzeitig eingeschenkt, dann wieder gereinigt, um kurz darauf wieder vor den Gästen zu stehen. Breitwand-Kino, eine Spartacus-artige Inszenierung mit großer Statisterie.

Thomas Dorfer legt an diesem Abend wieder Spitzenteller hin. Eine Langoustine von unglaublicher, bisher eigentlich in Österreich undenkbarer Frische, einmal gebraten, dann als Tatar. Begleitet von sorgfältig arrangierten Gemüsen, Minisalaten, Avocado und Gurke.

Zum "M" hat er sich ein Gericht einfallen lassen, das ein neuer Klassiker im Landhaus werden könnte: in Entenfett geschmorte Entenmägen, -Herzen und Artischoken. Groß.

Zum "Singerriedel" gibt es Ramsauer Saibling, perfekt gegart und mit einer schönen Begleitung, in der Räucheraal und Kraut eine Rolle spielen.

Der erste Bordeaux-Flight aus dem letzten großen Jahr einer Serie - 1990: Vieux Chateaux Certan, Chateau Gruaud Larose, Chateau Grand Puy Lacoste und schließlich Chateau Lynch Bages. Letzterer erweist sich gerade als echter Marathon-Wein, der immer noch Frische, Strenge, Frucht und Stärke ausstrahlt, während der Grand Puy Lacoste, ebenfalls in sehr guter Form, beim Publikum den meisten Zuspruch fand.

Certan, ein Merlot aus dem Pomerol, wies schon deutliche Erschöpungserscheinungen auf. Der Gruaud Larose allerdings interessant - während der ersten Zeit ließ er den beiden Kollegen aus Pauillac den Vorsprung, zeigte sich verschlossen und müde, um dann im Finish noch einmal ordentlich aufzuzeigen. Mit einer Mischung aus Lakritze, Erdtönen, Kräutern, schwarzen Johannisbeeren und Kirsch.

Die wenigen Flaschen, die ich noch vom Gruaud Larose aus diesem Jahrgang besitze - ich werde sie noch hüten wie den Apfel vom Aug, ebenso wie den Lynch Bages aus dem selben Jahr.

Thomas Dorfer macht dazu ein Gericht aus Kalbszwerchfell, Perigordtrüffel und Zwiebel. Man kann nicht davon lassen, bis es aufgegessen ist.

Die Weine von Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande zählen nicht zu Unrecht zu den Lieblingen von Patron Klaus Wagner. Robert Parker unterstellt dem Wein aus Pauillac in manchen Jahrgängen sogar "Premier Cru-Qualität zu. Preislich liegt er deutlich unter den Moutons, Latours und Petrus und dann - wenn man sich im Zusammenhang mit diesen Weinen die Trivialität gestatten darf - der Name: Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande. Opulenz und Hedonismus schon beim Lesen dieser Wortfolge.

Als Star des Abends wurde dann auch der 100-Parker-Punkte Comtesse aus dem an sich schon verherrlichten Jahr 1982 empfunden. Eine Extravaganz, zweifelsohne.

Und was schmeckt der Comtesse an diesem Abend? Markknochen! Gratiniert mit Kräutern, gereicht gemeinsam mit perfekt getoasteten Schwarzbrotscheiben (Plachutta, kommen Sie her und schauen Sie sich was ab!), zu einem Dry-Aged OX-Beef und anderen schönen Kleinigkeiten von unterhalb und oberhalb der Erde. Aber wie gesagt: Markknochen. Darüber in Kürze mehr.

Die Chance, dass ich diesen Wein noch ein zweites Mal im Leben trinken werde, schätze ich ungefähr so groß ein wie die Wahrscheinlichkeit beim nächsten Wiener Stadtmarathon im Schweiß der Massen mitzulaufen.

Von den anderen Weinen gefiel mir der 1989er Comtesse am besten. EIn Bordeaux klassischer Machart, Kaffee, Schokolade, Brombeeren und Kirsche. Das von Parker in seinen nützlichen Aufzeichnungen über Bordeaux erwähnte Toastbrot vergaß ich herauszuschmecken.

Nachspeise: ein Wurf, die neue Interpretation des Themas Scheiterhaufen. Schon ein paar Male gegessen, und bei jedem Mal wird es ein bisschen feiner, delikater.

Es gab dann noch Yquem 86, einen nur einem Insiderkreis bekannten Sauternes, angeblich ein Geheimtipp. Vielleicht, dass ich über einen Besuch auf dem Chateaux und die einem Thomas Mann-Roman gleichende Geschichte der Familie Lur Saluces ein anderes Mal berichte.

(ar)






Dienstag, 2. April 2013

Nachruf auf das Osterei






Ostern ist vorbei. Das hat gerade auch der großartige Wolfram Siebeck in seinem Blog festgestellt. Ihm gefällt das Fest nicht so recht, so las man darinm, denn es beschert ihm ein Wiedersehen mit Verwandten (die man sich bekanntlich nicht aussuchen kann) und deren Kindern (für die gleiches mit umso größerer Bestürzung zu verzeichnen ist).


Siebeck hat weniger ein Problem mit dem Thema Ei, sondern mit dem Ei-Phone, dem Ei-Pad und anderen Gadgets, welche die jungen Leute am Tisch vom Osterschmaus anhalten. Es piept, drückt leuchtet und auf den Bildschirmen der kleinen Dinger finden sich die Schlieren der kleinen Fingerchen, die gerade noch ein Butterbrot schmierten. Unmanierlich, aber leider keine Seltenheit.

Auch ich erinnere mich der fernen Zeiten, als ich vor gefühlten Jahrtausenden das Hören von Musik-Kassetten in Gesellschaft meiner Cousins und Cousinen im Autoradio des Onkels der Nachspeise beim Häupl vorgezogen habe. Gottlob war kein Siebeck mit den Eltern am Tisch, die hätten sich sonst was anhören können über die kulturelle Verwahrlosung ihrer Nachkommenschaft.

Ich selbst sehe die Aktivitäten der Nachkommenschaft von Freunden und Verwandten am Tisch eher entspannt, solange sie mich nicht zwingen, mein Essen und den Inhalt meines Glases vor dem Genuss auf Facebook zu posten und gleich auch zu liken und zu kommentieren.

Was mir eher Sorgen macht, ist die österliche Inflation des Eies.

Sie strebte einem Höhepunkt zu, als am Ostermontag nachmittag in einem burgenländischen Dorf die jugendhaften Vertreter der örtlichen ÖVP auftauchten, um ihren Vorrat an bemalten Eiern zu verteilen, eine Art Restl-Charity, gegen die jegliche Versteigerung einer alten Weinflasche auf e-bay wie eine kulinarische Liturgie wirkt.

Diese Ostereier, so dachte ich, waren auf der untersten Stufe der sozialen Ostereier-Hierarchie angelangt. Sie haben keinerlei Grund, sich über ihre Leidensgenossen, die mit Industriefarbe bemalt, etwa im billigen Plastikbehältnis im Supermarkt angeboten werden, zu mockieren.

Dass Eier weder ein Bewusstsein noch Schamgefühl besitzen, ist in diesem Fall ihr Glück.

Die Welt der Eier ist noch stärker von Ungerechtigkeit, Zufällen und Nepotismus geprägt als die des Menschen und gerade zu Ostern macht sich das besonders auffällig bemerkbar.

So wie Eltern für ihre Kinder hoffen, dass es ihnen einmal besonders gut beziehungsweise besser geht als ihnen, würden das auch Hühner tun, wenn man sie fragte.

"Ich möchte, dass aus meinen Kleinen etwas besonderes wird", würden die Fräulein und Damen Hühner über die Zukunftshoffnungen ihrer Hühnereier sagen, "also sie auf einem Bauernhof ein Bio-Semniar mit sehr gut abschließen, dass sie schließlich als Kaviar-Ei bei Lisl Wagner Bacher oder als Ei mit Perigord-Trüffel-Sauce in der Pariser L'Ambroisie auf den Teller kommen."

Und wenn schon Ostern: Wenigstens sollten sie auf dem Oster-Frühstücks-Tisch von Leuten landen, die sie mit Andacht schälen und danach mit Genuss und etwas Fleur de Sel verzehren. Und die dazu selbst gemachten französischen Salat und Schinken im Brotteig mit Kren nehmen. Und um Gottes Willen kein Trüffelöl.

Leider sieht die Wirklichkeit für 99,99% der Eier anders aus.

Trauriger Tiefpunkt ihres österlichen Kreuzwegs durch die Supermarktregale ist es, wenn sie in die Hände eines lebensweisen Oberlehrers geraten, der während er die letzten Reste der bunt bemalten Schale abzupft, allen erzählt, wie ungesund der Genuss von Eiern eigentlich sei.

Während er dann mit schmerzverzerrtem Grinsen den ersten Bissen vom Köstlichen nimmt, erwähnt er seine Blutwerte und dass er sich den Osterei-Genuss am Nachmittag sicher noch mit einem Waldlauf verdienen werde.

(ar)




Dienstag, 26. März 2013

Was ein Leben wert ist

„Es riecht nach Schnee,“ sagt Max Stiegl. Die Sonne über dem Neusiedlersee zeigt sich an diesem Morgen nur andeutungsweise. Dafür ist es saukalt. Wir haben übrigens nicht November, sondern Ende März, Frühlingsbeginn, was dem Winter aber egal ist. Er hat beschlossen, noch ein wenig zu bleiben. Deshalb sind wir heute hier. Was zu erledigen ist, muss getan werden, bevor es schneit.

Es wartet eine Arbeit, die sich nicht nur in Österreich sehr wenige Haubenköche antun. Max Stiegl  trägt robuste Stiefel und einen ausgewaschenen Pullover. Mit dabei hat er seinen neuen Küchencommis aus dem Gut Purbach. Ebenfalls im alten Sweater und einer Army-Hose, die er kaum mehr trägt, weil sie „eh zu eng ist“. Für den Commis ist es das erste Mal, für Max Stiegl hingegen Routine. Es ist der Morgen, an dem die Ziegenkitze abgestochen werden.

Mit dem Messer ist Stiegl längst ein Routinier. Zuhause in Purbach am Neusiedlersee hat er  Lämmer Kaninchen,  Ziegen. Immer wieder sticht Stiegl eines davon ab, für den Lokalgebrauch. Lammleber, Lammhirn oder auch Kaninchennieren haben das Lokal im Besitz des Wiener Wirtschaftsanwalts Hans Bichler, der in Purbach auch Wein macht, über die Grenzen berühmt gemacht.

„In der Nacht waren die Ziegen schon unruhig,“ erzählt die Ziegenbäuerin. Das Zielein wird ungefähr zehn Kilo schwer sein und ist größer als ich dachte. Es ist ein Männchen. Das Kitz schweigt nicht auf dem Weg zur Einfahrt, wo der Bauer einen kleinen Traktor aufgestellt hat, mit einer Schaufel, aus der Zinken von einem halben Meter Länge ragen. Gleich werde ich wissen, wofür er gebraucht wird.

Max Stiegl drückt das Zicklein zu Boden. Er kniet dabei so über dem Tier, dass ein Teil des Tieres unter ihm zu liegen kommt, und es sich nicht bewegen kann. Ein rascher Schnitt. Das „Mäh“ des jungen Ziegenbocks wird leiser. Ich frage Stiegl, warum er das nicht mir einem Schlachtschussgerät erledigt. „Könnte man. Aber dann wäre das Hirn weg.“ Das Hirn des Kitzes zählt zu den Delikatessen für den Koch, der wirklich alles, was ein Tier hergibt, verwenden will. Getreu dem Vorsatz „From Nose to tail“, den der englische Küchenchef Fergus Henderson prägte, der in seinem Londoner „St.John“ alle Teile von Rind, Lamm und Schwein anbietet. Und damit berühmter geworden ist als alle englischen Sterne-Köche zusammen.

Jetzt hieven Max Stiegl und sein Küchengehilfe das Tier hoch, und hängen es an den Hinterbeinen an die Zinken der Schaufel. Wieder ein Schnitt, diesmal nicht an der Halsschlagader, sondern sauber geführt von oben nach unten. Nicht länger als eine halbe Minute braucht Max Stiegl, um mit Messer und Händen das Tier komplett auszunehmen. Zuerst kommen Magen und Darm, die in einem dafür bereitgestellten quadratischen Eimer landen. Es riecht jetzt auf einmal nicht mehr nach Schnee.
Ich habe auf Frühstück und Morgenkaffee verzichtet und warte gespannt auf einen Schwall von Übelkeit.

Die Ziegenbäuerin meint, dass sie das Abstechen der Tiere am liebsten Herrn Stiegl überlasse, denn der kenne sich am besten aus. Es wäre dann am schnellsten vorbei. Die Bäuerin liebt ihre Ziegen.
Der Bauer ist inzwischen verschwunden. „Wenn wir abstechen, hat er immer auf einmal viel zu tun,“ erklärt die Bäuerin. „Er kann es nicht anschauen.“ Viel Zeit zum Reden hat sie nicht. Zehn Kitze sind vorgesehen. Heran gezerrt an den Hörnern oder an einem Halsband. Die Kitze schreien. Es ist ihnen nicht gleichgültig.

„Da siehst du, was ein Leben wert ist,“ meint Stiegl lakonisch zwischen zwei Tieren. Er wollte wohl sagen: was ein Kitzbraten wert ist. Der nächste Schnitt. Diesmal wehrt sich das Kitz besonders kräftig. Es rudert mit den Hinterbeinen. „Die hat uns die ganze Zeit Probleme gemacht,“ erzählt die Bäuerin. „Sie wollte sich nicht in die Herde eingliedern.“ Vielleicht litt die junge Ziege auch darunter, dass sie ein Er war. Unter der Haut ertastet Stiegl die Hoden. „Es gibt wahnsinnig viele Zwitter.“ Das Tier ist fast zu schwer, um es auf die Zinken zu heben.

Ein Blick auf Hosen und Pullover von Max Stiegl und seinem Helfer und ich bin froh, dass ich nicht als Arbeitskraft eingeplant war. Die Kleidung der beiden ist voll von Blut.

Unter den Ziegen im Hof herrscht zunehmend Nervosität. Das Schreien und Jammern ist jetzt ein wenig lauter geworden. Es fällt den Ziegen auf, dass eine nach der anderen freundlich, aber bestimmt aus ihrem Biotop abgeführt wird. Ich weiß nicht, ob die paar Minuten, in denen die Tiere merken, dass sich gleich etwas für sie ändern wird, reichen, um das zarte Fleisch mit den Stresshormonen zu durchfluten, die Köche und Feinschmecker fürchten. Doch ich weiß, dass man es immer schon so gemacht hat, in der Zeit vor den großen Schlachthöfen und den Lebendtiertransporten.

Max Stiegl hat das Herz von Zicklein Nummer Sechs in der Hand. Es dampft in der Kälte und der Duft, der kurz in der Luft liegt, ist unvergleichlich. „Wenn ich das Herz jetzt salze, schlägt es noch Minuten lang weiter.“ In kleinen, weißen Plastikgeschirren werden Herz, Nieren, Hoden und Leber getrennt aufbewahrt. Max Stiegls Helfer macht jetzt einen noch blasseren Eindruck als zu Beginn der Abstech-Session. Doch er hält sich tapfer. Ich brauche ein Glas Wasser.

Winterlich harte Erde mischt sich mit dem Blut der Ziegen zu einem rot-braunen Gatsch. „Doch es gibt keine hygienischere Methode einer Schlachtung als auf der Wiese oder der Erde,“ erklärt Max Stiegl. Die Bäuerin ist auf der Suche nach dem letzten Kandidaten. „Ich kenne sie alle beim Namen.“ Schon lange vor dem Abstechen verdienen sich die Ziegen Essen und Logis. Mit Ziegenmilch, aus der Ziegenjoghurt und Käse gemacht werden, welche alle am Hof und auf einem lokalen Markt angeboten werden.

Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Doch ich schätze, dass Max Stiegl und sein Helfer nicht viel länger als eine Stunde gebraucht haben, um zehn Kitzerl abzustechen, perfekt auszunehmen und nebeneinander in Plastikbehältern aufzulegen. Sechs Tiere bekommt Stiegl für die Osterzeit und danach. Vier behält die Bäuerin. Das Kilo wird um 10 Euro an Freunde und Verwandte weiterverkauft.

Zeit für die Fütterung der Ziegen. Mit einem Plastikeimer, der mit Milch gefüllt ist, werden die jungen Ziegen versorgt. Für die Älteren gibt es Heu. Kein Kraftfutter, keine Chemie. Ein großer Ziegenbock mit Respekt gebietenden Hörnern und Bart tritt ins Freie und schaut um sich. Wo sind die Kleinen? Kein  Weinen, kein Klagen. Man wendet sich dem Heu zu. Max Stiegls Helfer wird am kommenden Mittag dem Dienst in der Küche fernbleiben. Entschuldigt.

Einen Tag darauf kriege ich im Gut Purbach eine Scheibe vom Herz serviert. Knackig und frisch, dazu ein erdennaher Cabernet-Sauvignon Merlot 2007 von Feiler Artinger. Doch ja, man kann dieses Fleisch genießen, obwohl man bei der Tötung des Tieres anwesend war. Ich esse das kleine, rosa gebratene Herzstück mit einem neuen, starken Gefühl. Respekt.

(ar)

Freitag, 22. März 2013

Wie gut muss Dummheit schmecken
















Die Sache mit den Light-Produkten. Mich selbst betrifft sie ja nur am Rande. Cola light geht mich nichts an, weil ich Coca Cola nur einmal im Jahr bei einem bestimmten Mondstand und einem festgelegten Grad der Alkoholisierung am Vorabend zu mir nehme und wenn, dann nur aus den kleinen, hübschen Original-Flaschen. Fleischpastete light hatte ich noch nie und Joghurt schmeckt nun mal nur mit Fett.

Doch die Menschen essen immer mehr von den so genannten fettreduzierten Sachen. Sie versagen sich den Geschmack in der Hoffnung auf weniger Kilos auf der Waage. Auffallend aber, dass sie trotzdem immer fetter werden.

Der Verdacht liegt also seit Jahrzehnten nahe, dass Light nichts hilft. Zumindest nicht soviel hilft, wie erwartet. Eine Studie, in Zürich, Wien und München durchgeführt, hat jetzt einen Hinweis gefunden, warum das so sein könnte. Aussage in Kürze: Fett macht satt und hilft also beim Abnehmen. Es kommt aber aufs Fett an. Nachzulesen im Online-Spiegel.

So leicht, wie das die Nahrungsmittelindustrie und ihre Werbeagenturen darstellen, funktioniert das mit dem Kaloriensparen nicht. Doch leider wollen die Leute nicht selbst nachdenken, sondern glauben, was ihnen die Lieferanten ihres nächstgelegenen Supermarktes auftischen.

Man könnte es Bequemlichkeit nennen, aber auch von schlichter Dummheit reden.

Jetzt haben wir Frühling. So wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird, tauchen auch immer wieder neue Diätvorschläge auf. Dabei wäre es doch so einfach: weniger, aber vom Guten. Doch dabei müsste man selbst denken und entscheiden, doch die grauen Zellen sind ja müde, von der Langeweile im Büro und da sie von der Industrienahrung mit Nährstoffen grundsätzlich unterversorgt sind.

Die Studie spricht unter anderem von den Vorzügen besonders der italienischen Olivenöle. Sie enthielten jene Aromenstoffe, die schneller das Gefühl aufkommen ließen, satt zu sein, so die Wissenschafter.

Aromen, hört der Schmecker, und sagt sich: Das ist gut, da fällt für mich auch etwas Vergnügliches ab. Und dann fällt ihm ein, wie selten er in Italien wohlbeleibte Menschen sah, als er letztes Mal hinfuhr. Dass in den Kühlschränken des Südens mehr frisches Obst und Gemüse sowie Olivenöl lagert anstelle von Light-Joghurt und Light-Konserve, darf vermutet werden.

Bleiben wir im Norden. Auffallend ist, dass es nicht nur bei Light-Produkten nicht eingehaltene Versprechen der Industrie gibt, sondern auch bei fast allem, was in den Supermarktregalen liegt. Sie haben ja während der letzten Wochen die Zeitungen gelesen.

Neben dem Würgen und Kotzen angesichts ständig neuer Unappetitlichkeiten aus dem Angebot der Nahrungsmittelindustrie fand man dann noch Zeit die Frage zu diskutieren, ob es nur die böse Industrie sei, die an den Skandalen Schuld trage oder ob man die Konsumenten nicht auch ein bisschen in die Pflicht nehmen könnte.

Knapp mehr als einen Euro für Tiefkühllasagne und niemand wird misstrauisch? Bio-Hühnereier zum Dauertiefstpreis und keinem fällt das auf?

Es erinnert ein bisschen an den blinden Glauben an die Versprechen einer anderen, ebenfalls hoch dubiösen Industrie, nämlich der der Banken und Versicherungen, die über zehn Jahre ebenfalls ohne viel Nachzudenken geglaubt wurden. 8 % Zinsen ohne Risiko? Aber bitte gerne. Aktien von Internet-Start-Ups, die keinen Cent Gewinn machen? Her damit!

Jetzt  spricht man von den sprichwörtlichen "kleinen Leuten", die sich um ihr Geld betrogen fühlen. Nicht nur auf der Insel, sondern auch bald in anderen europäischen Ländern werden sie merken, dass ihre Zusatzpensionskonten und Fondserträge immer schlanker werden.

Echt eine dumme Sache. Die einen glaubten den Versprechen der Light-Industrie und klagen weiterhin über die Fettpölster auf ihren Hüften. Die anderen glaubten den Verkündungen der Finanzindustrie und beklagen die zunehmend bedenkliche Verschlankung ihrer Brieftasche.

(ar)

mail@alexanderrabl.at


Montag, 21. Januar 2013

Method-Cooking

Es gibt da diese Geschichte von den Dreharbeiten zu "Der Marathonmann", in dem Dustin Hoffman und Sir Laurence Olivier spielten. Dustin Hoffmann verbrachte mehrere Nächte ohne Schlaf, weil er so den Part des erschöpften und fälschlicherweise von einem Naziartz gejagten Studenten besser zu spielen hoffte. Als Laurence Olivier das hörte, nahm er den jungen Dustin zur Seite und fragte ihn: "Why don't you try acting?"

Wenn die Geschichte nicht wahr ist, so ist sie zumindest gut erfunden. Einige Küchenchefs, bei denen ich letzter Zeit aß, hätten auch Bedarf nach einem erfahrenen Laurence Oliver der Kochkunst. Er müßte Ihnen dann raten: "Why don't you try cooking?"

Welche Mühe sie sich machen, welchen Aufwand sie betreiben. Saucen werden zubereitet, dann getrocknet, dann in Brösel gemahlen. Zuletzt verlieren sie sich als Teil einer Deko oder als Zutat Nummer 5 eines Tellers, der nach der falsch verstandenen Methode Pierre Gagnaire zubereitet ist. Oder der Methode Adriá oder auch nach dem Redzepi-Rezept. Den Part des erschöpften Dustin Hoffman spielt in diesem Stück der Gast. Er fühlt sich gehetzt von den immer neuen Methoden des Gefrierens, Bröselns, Trocknens und Darüberstreuens.

Ist das die Avantgarde, fragt er sich, während sich die Kombination von Karfiol, Gänseleber und Schokolade wie ein Zahnbohrer in seine Geschmacksnerven bohrt. Vielleicht kommt er dann zu dem Schluss, dass diese Methoden des Garens und Kombinierens die Welt des Kochens auf den Kopf stellen werden und also so etwas wie Avantgarde sind. Bei vielen der jungen (und talentierten) Köche hat man den Eindruck. Die Zukunft des Essens auf dem Teller.

Bei der absoluten Mehrheit allerdings beschlicht ihn, den Gast der Verdacht, dass da von Avantgarde keine Spur ist. Ja, nicht einmal von Mode. Denn wenn einer in der Frühlingssaison blau sagt und in einem Jahr später sagen alle blau, ist das nicht Mode, schon gar nicht modern, vielleicht auch modisch, auf jedenfall aber gekupfert und somit alles andere als die Vorhut der Neuerung. Viele der Guten am Herd wollen das nicht so sehen. Sie schauen statt in die Zukunft lieber auf die websites der Sergio Hermans und Johann  Wisslers. Dann arbeiten sie einen Tag lang an den Vorbereitungen eines Gerichts, das schon an den Originalorten nicht für ein volles Lokal sorgt.

Das Spannende am Stehen am Herd lassen sie sich vollkommen entgehen. Auf den Applaus der Gäste warten sie vergeblich.

(ar)


Mayday am Terminal 3

Natürlich fährt man nicht auf den Flughafen, um dort vorzüglich zu essen. Das haben sich vor allem die Leute bei Meinl gedacht, die den Meinl Food Court einrichteten. Ort der Ausspesung: Terminal 3, nach dem Handgepäcks-Check. Klug, wer in diesem eine Dose Kaviar und eine halbe Flasche Bollinger mit sich führt. Oder in einem Feinkostladen seines Vertrauens (die Auswahl in Wien ist endenwollend) ein paar Sandwiches einpacken hat lassen. So ferne diese nicht mit Feuerwerkskörpern oder entflammbaren Flüssigkeiten gefüllt sind, wird der Sicherheitscheck Ihnen keine Schwierigkeiten machen und "Guten Appetit" wünschen.

Ohne Kaviar und Sandwich-Verpflegung landen Sie im Food-Court des Meinl, das den Raum gemeinsam mit einer anspruchslosen Weinbar und einer Sandwichbude einnimmt. Es sieht aus wie die billige Version einer Schihütte. Jede österreichische Autobahnraststätte weist zumindest architektonisch mehr Charme auf. Statt mit schweren Schischuhen stapfen die Gäste mit Handgepäcksköfferchen durch den Raum, was sich auch gleich als Handicap erweist.

Denn beim Meinl herrscht Selbstbedienung. Das Gepäck vor der Essensbesorgung an einem Platz abzustellen, wäre keine gute Idee. Es könnte gestohlen werden. Zumindest aber von Sicherheitspersonal konfisziert, wenn es zu lange alleine herumsteht. Was passieren kann, denn zu den Essenszeiten steht man schon einmal ein paar Minuten an bei Salat, Brathendl, Pizza und Bier. Nichts sieht besonders verlockend aus. Caprese im Winter keine gute Idee. Gute Sachen, die man beim Meinl am Graben bekommt, wird man hier vergeblich suchen. Sich die Wartezeit auf den Flug mit etwas Lachs, Austern, Kaviar oder Canapés zu vertreiben, wie das auf anderen Flughäfen möglich ist, erweist sich im Terminal 3 als unmöglich.

Also entscheide ich mich für Sacherwürstel in der Annahme, dass der Meinl da nichts falsch machen kann. Doch der Service entdeckt die kleinen Schwächen dieser Kreation und nutzt sie mit beeindruckender Treffsicherheit aus. Die Würstel sind lauwarm, weil offenbar seit Stunden im Wasser. Der Kren ist alles andere als frisch. Der mäßig interessierte Mann an der Selbstbedienungsbudel schafft es auch, den Kren auf den Senf zu häufen statt daneben, wodurch sich ein unerquickliches Amalgam ergibt, mit dem man den einen oder anden Baumangel des neuen Terminals beheben könnte. Auf das Budweiser muss man warten, weil der Herr, der es abzapfen sollte, gerade irgendwo ist. Servietten sind aus.

Genial nur noch die Preisgestaltung, die wiederum wirklich an das Niveau des Grabenmeinls erinnert: 5,50 für die Selbstbedienungs-Sacher-Würstel; 2,50 für die Selbstbedienungsbreze; 3,50 für das kleine Selbstbedienungs-Bier. Im Sacher kostet es nur unerheblich mehr. Dafür kann man dort aber auch nicht die Abflugzeiten lesen.
(ar)