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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Dienstag, 26. März 2013

Was ein Leben wert ist

„Es riecht nach Schnee,“ sagt Max Stiegl. Die Sonne über dem Neusiedlersee zeigt sich an diesem Morgen nur andeutungsweise. Dafür ist es saukalt. Wir haben übrigens nicht November, sondern Ende März, Frühlingsbeginn, was dem Winter aber egal ist. Er hat beschlossen, noch ein wenig zu bleiben. Deshalb sind wir heute hier. Was zu erledigen ist, muss getan werden, bevor es schneit.

Es wartet eine Arbeit, die sich nicht nur in Österreich sehr wenige Haubenköche antun. Max Stiegl  trägt robuste Stiefel und einen ausgewaschenen Pullover. Mit dabei hat er seinen neuen Küchencommis aus dem Gut Purbach. Ebenfalls im alten Sweater und einer Army-Hose, die er kaum mehr trägt, weil sie „eh zu eng ist“. Für den Commis ist es das erste Mal, für Max Stiegl hingegen Routine. Es ist der Morgen, an dem die Ziegenkitze abgestochen werden.

Mit dem Messer ist Stiegl längst ein Routinier. Zuhause in Purbach am Neusiedlersee hat er  Lämmer Kaninchen,  Ziegen. Immer wieder sticht Stiegl eines davon ab, für den Lokalgebrauch. Lammleber, Lammhirn oder auch Kaninchennieren haben das Lokal im Besitz des Wiener Wirtschaftsanwalts Hans Bichler, der in Purbach auch Wein macht, über die Grenzen berühmt gemacht.

„In der Nacht waren die Ziegen schon unruhig,“ erzählt die Ziegenbäuerin. Das Zielein wird ungefähr zehn Kilo schwer sein und ist größer als ich dachte. Es ist ein Männchen. Das Kitz schweigt nicht auf dem Weg zur Einfahrt, wo der Bauer einen kleinen Traktor aufgestellt hat, mit einer Schaufel, aus der Zinken von einem halben Meter Länge ragen. Gleich werde ich wissen, wofür er gebraucht wird.

Max Stiegl drückt das Zicklein zu Boden. Er kniet dabei so über dem Tier, dass ein Teil des Tieres unter ihm zu liegen kommt, und es sich nicht bewegen kann. Ein rascher Schnitt. Das „Mäh“ des jungen Ziegenbocks wird leiser. Ich frage Stiegl, warum er das nicht mir einem Schlachtschussgerät erledigt. „Könnte man. Aber dann wäre das Hirn weg.“ Das Hirn des Kitzes zählt zu den Delikatessen für den Koch, der wirklich alles, was ein Tier hergibt, verwenden will. Getreu dem Vorsatz „From Nose to tail“, den der englische Küchenchef Fergus Henderson prägte, der in seinem Londoner „St.John“ alle Teile von Rind, Lamm und Schwein anbietet. Und damit berühmter geworden ist als alle englischen Sterne-Köche zusammen.

Jetzt hieven Max Stiegl und sein Küchengehilfe das Tier hoch, und hängen es an den Hinterbeinen an die Zinken der Schaufel. Wieder ein Schnitt, diesmal nicht an der Halsschlagader, sondern sauber geführt von oben nach unten. Nicht länger als eine halbe Minute braucht Max Stiegl, um mit Messer und Händen das Tier komplett auszunehmen. Zuerst kommen Magen und Darm, die in einem dafür bereitgestellten quadratischen Eimer landen. Es riecht jetzt auf einmal nicht mehr nach Schnee.
Ich habe auf Frühstück und Morgenkaffee verzichtet und warte gespannt auf einen Schwall von Übelkeit.

Die Ziegenbäuerin meint, dass sie das Abstechen der Tiere am liebsten Herrn Stiegl überlasse, denn der kenne sich am besten aus. Es wäre dann am schnellsten vorbei. Die Bäuerin liebt ihre Ziegen.
Der Bauer ist inzwischen verschwunden. „Wenn wir abstechen, hat er immer auf einmal viel zu tun,“ erklärt die Bäuerin. „Er kann es nicht anschauen.“ Viel Zeit zum Reden hat sie nicht. Zehn Kitze sind vorgesehen. Heran gezerrt an den Hörnern oder an einem Halsband. Die Kitze schreien. Es ist ihnen nicht gleichgültig.

„Da siehst du, was ein Leben wert ist,“ meint Stiegl lakonisch zwischen zwei Tieren. Er wollte wohl sagen: was ein Kitzbraten wert ist. Der nächste Schnitt. Diesmal wehrt sich das Kitz besonders kräftig. Es rudert mit den Hinterbeinen. „Die hat uns die ganze Zeit Probleme gemacht,“ erzählt die Bäuerin. „Sie wollte sich nicht in die Herde eingliedern.“ Vielleicht litt die junge Ziege auch darunter, dass sie ein Er war. Unter der Haut ertastet Stiegl die Hoden. „Es gibt wahnsinnig viele Zwitter.“ Das Tier ist fast zu schwer, um es auf die Zinken zu heben.

Ein Blick auf Hosen und Pullover von Max Stiegl und seinem Helfer und ich bin froh, dass ich nicht als Arbeitskraft eingeplant war. Die Kleidung der beiden ist voll von Blut.

Unter den Ziegen im Hof herrscht zunehmend Nervosität. Das Schreien und Jammern ist jetzt ein wenig lauter geworden. Es fällt den Ziegen auf, dass eine nach der anderen freundlich, aber bestimmt aus ihrem Biotop abgeführt wird. Ich weiß nicht, ob die paar Minuten, in denen die Tiere merken, dass sich gleich etwas für sie ändern wird, reichen, um das zarte Fleisch mit den Stresshormonen zu durchfluten, die Köche und Feinschmecker fürchten. Doch ich weiß, dass man es immer schon so gemacht hat, in der Zeit vor den großen Schlachthöfen und den Lebendtiertransporten.

Max Stiegl hat das Herz von Zicklein Nummer Sechs in der Hand. Es dampft in der Kälte und der Duft, der kurz in der Luft liegt, ist unvergleichlich. „Wenn ich das Herz jetzt salze, schlägt es noch Minuten lang weiter.“ In kleinen, weißen Plastikgeschirren werden Herz, Nieren, Hoden und Leber getrennt aufbewahrt. Max Stiegls Helfer macht jetzt einen noch blasseren Eindruck als zu Beginn der Abstech-Session. Doch er hält sich tapfer. Ich brauche ein Glas Wasser.

Winterlich harte Erde mischt sich mit dem Blut der Ziegen zu einem rot-braunen Gatsch. „Doch es gibt keine hygienischere Methode einer Schlachtung als auf der Wiese oder der Erde,“ erklärt Max Stiegl. Die Bäuerin ist auf der Suche nach dem letzten Kandidaten. „Ich kenne sie alle beim Namen.“ Schon lange vor dem Abstechen verdienen sich die Ziegen Essen und Logis. Mit Ziegenmilch, aus der Ziegenjoghurt und Käse gemacht werden, welche alle am Hof und auf einem lokalen Markt angeboten werden.

Ich habe nicht auf die Uhr geschaut. Doch ich schätze, dass Max Stiegl und sein Helfer nicht viel länger als eine Stunde gebraucht haben, um zehn Kitzerl abzustechen, perfekt auszunehmen und nebeneinander in Plastikbehältern aufzulegen. Sechs Tiere bekommt Stiegl für die Osterzeit und danach. Vier behält die Bäuerin. Das Kilo wird um 10 Euro an Freunde und Verwandte weiterverkauft.

Zeit für die Fütterung der Ziegen. Mit einem Plastikeimer, der mit Milch gefüllt ist, werden die jungen Ziegen versorgt. Für die Älteren gibt es Heu. Kein Kraftfutter, keine Chemie. Ein großer Ziegenbock mit Respekt gebietenden Hörnern und Bart tritt ins Freie und schaut um sich. Wo sind die Kleinen? Kein  Weinen, kein Klagen. Man wendet sich dem Heu zu. Max Stiegls Helfer wird am kommenden Mittag dem Dienst in der Küche fernbleiben. Entschuldigt.

Einen Tag darauf kriege ich im Gut Purbach eine Scheibe vom Herz serviert. Knackig und frisch, dazu ein erdennaher Cabernet-Sauvignon Merlot 2007 von Feiler Artinger. Doch ja, man kann dieses Fleisch genießen, obwohl man bei der Tötung des Tieres anwesend war. Ich esse das kleine, rosa gebratene Herzstück mit einem neuen, starken Gefühl. Respekt.

(ar)

Freitag, 22. März 2013

Wie gut muss Dummheit schmecken
















Die Sache mit den Light-Produkten. Mich selbst betrifft sie ja nur am Rande. Cola light geht mich nichts an, weil ich Coca Cola nur einmal im Jahr bei einem bestimmten Mondstand und einem festgelegten Grad der Alkoholisierung am Vorabend zu mir nehme und wenn, dann nur aus den kleinen, hübschen Original-Flaschen. Fleischpastete light hatte ich noch nie und Joghurt schmeckt nun mal nur mit Fett.

Doch die Menschen essen immer mehr von den so genannten fettreduzierten Sachen. Sie versagen sich den Geschmack in der Hoffnung auf weniger Kilos auf der Waage. Auffallend aber, dass sie trotzdem immer fetter werden.

Der Verdacht liegt also seit Jahrzehnten nahe, dass Light nichts hilft. Zumindest nicht soviel hilft, wie erwartet. Eine Studie, in Zürich, Wien und München durchgeführt, hat jetzt einen Hinweis gefunden, warum das so sein könnte. Aussage in Kürze: Fett macht satt und hilft also beim Abnehmen. Es kommt aber aufs Fett an. Nachzulesen im Online-Spiegel.

So leicht, wie das die Nahrungsmittelindustrie und ihre Werbeagenturen darstellen, funktioniert das mit dem Kaloriensparen nicht. Doch leider wollen die Leute nicht selbst nachdenken, sondern glauben, was ihnen die Lieferanten ihres nächstgelegenen Supermarktes auftischen.

Man könnte es Bequemlichkeit nennen, aber auch von schlichter Dummheit reden.

Jetzt haben wir Frühling. So wie die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird, tauchen auch immer wieder neue Diätvorschläge auf. Dabei wäre es doch so einfach: weniger, aber vom Guten. Doch dabei müsste man selbst denken und entscheiden, doch die grauen Zellen sind ja müde, von der Langeweile im Büro und da sie von der Industrienahrung mit Nährstoffen grundsätzlich unterversorgt sind.

Die Studie spricht unter anderem von den Vorzügen besonders der italienischen Olivenöle. Sie enthielten jene Aromenstoffe, die schneller das Gefühl aufkommen ließen, satt zu sein, so die Wissenschafter.

Aromen, hört der Schmecker, und sagt sich: Das ist gut, da fällt für mich auch etwas Vergnügliches ab. Und dann fällt ihm ein, wie selten er in Italien wohlbeleibte Menschen sah, als er letztes Mal hinfuhr. Dass in den Kühlschränken des Südens mehr frisches Obst und Gemüse sowie Olivenöl lagert anstelle von Light-Joghurt und Light-Konserve, darf vermutet werden.

Bleiben wir im Norden. Auffallend ist, dass es nicht nur bei Light-Produkten nicht eingehaltene Versprechen der Industrie gibt, sondern auch bei fast allem, was in den Supermarktregalen liegt. Sie haben ja während der letzten Wochen die Zeitungen gelesen.

Neben dem Würgen und Kotzen angesichts ständig neuer Unappetitlichkeiten aus dem Angebot der Nahrungsmittelindustrie fand man dann noch Zeit die Frage zu diskutieren, ob es nur die böse Industrie sei, die an den Skandalen Schuld trage oder ob man die Konsumenten nicht auch ein bisschen in die Pflicht nehmen könnte.

Knapp mehr als einen Euro für Tiefkühllasagne und niemand wird misstrauisch? Bio-Hühnereier zum Dauertiefstpreis und keinem fällt das auf?

Es erinnert ein bisschen an den blinden Glauben an die Versprechen einer anderen, ebenfalls hoch dubiösen Industrie, nämlich der der Banken und Versicherungen, die über zehn Jahre ebenfalls ohne viel Nachzudenken geglaubt wurden. 8 % Zinsen ohne Risiko? Aber bitte gerne. Aktien von Internet-Start-Ups, die keinen Cent Gewinn machen? Her damit!

Jetzt  spricht man von den sprichwörtlichen "kleinen Leuten", die sich um ihr Geld betrogen fühlen. Nicht nur auf der Insel, sondern auch bald in anderen europäischen Ländern werden sie merken, dass ihre Zusatzpensionskonten und Fondserträge immer schlanker werden.

Echt eine dumme Sache. Die einen glaubten den Versprechen der Light-Industrie und klagen weiterhin über die Fettpölster auf ihren Hüften. Die anderen glaubten den Verkündungen der Finanzindustrie und beklagen die zunehmend bedenkliche Verschlankung ihrer Brieftasche.

(ar)

mail@alexanderrabl.at