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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Sonntag, 14. April 2013

Was schmeckt der Comtesse?

Der Wienmarathon am heutigen Sonntag zum Beispiel wäre schon Grund genug, die Stadt schon am Samstag morgen zu verlassen und sich in einem mindestens eine Autostunde entfernten Ort vor den bunten, schwitzenden Massen in Sicherheit zu wähnen.

Ich wähle die Wachau in der Annahme, dass sich von den bunten Trikots keines so sehr aus der stadt aufs Land verlaufen wird, dass es mir auf meinen Sonntagsspaziergängen entgegen schwitzen könnte.

Auch ohne Marathonsonntag wäre allerdings die Reise in die wunderbare Weingegend angezeigt gewesen. Denn das Wachau Gourmet-Festival hatte am Samstagabend im Landhaus Bacher einen seiner vielen Höhepunkte, ein Essen, gekocht von Thomas Dorfer, begleitet von Weinen aus der Steiermark, sowie von älteren Jahrgängen der Weine "M" von F.X.Pichler und Singerriedel von Franz Hirtzberger.

Danach ein paar relevante Bordeaux aus interessanten Jahren. Nicht die Premier Crus. Das ist Klaus Wagner zu einfach. Den Gästen auch zu teuer. Er sieht sich lieber nach lohnenden Deuxièmes um. Es darf auch mal ein drittes oder viertes Gewächs sein. Wir sind keine Etikettentrinker.

Bewundernswert ist wieder einmal nicht nur die Leistung des Küchenteams rund um Thomas Dorfer (und Lisl Wagner Bacher, die wohl nicht ganz zufällig am Pass steht, obwohl sie die Leitung der Küche schon vor längerem an ihren Schwiegersohn abgegeben hat), die eine zunehmende Reife und Konzentriertheit aufweist.

Neben der Auswahl der Weine ist es vor allem die Routine in der Logistik und Ablaufplanung, mit der das Team unter Sommelier Andreas Rottensteiner beweist, dass große Wein-Diners im Landhaus Bacher seit Jahrzehnten zu den alljährlichen Gepflogenheiten zählen.

Sie, verehrte kulinarisch interessierte Leser, waren sicher schon öfter bei Abendessen, bei denen Weine eine über dem Üblichen ausgewiesene Rolle spielen.

Zu jedem Gericht gibt es dann vier Gläser, aus denen in ausreichender Menge rare Exemplare einer Sorte, eines Jahrgangs oder eines Weinguts platziert werden. Doch das wissen Sie, sonst würden Sie nicht hier sein.

Für den Service gleicht eine Veranstaltung dieser Art einem Marathon, allerdings müssen die Servicemitarbeiter dabei weder die Logos von Banken noch irgendwelche Nummern tragen. Nummeriert werden die Gläser, damit sich Einschenker und Gast zurechtfinden. Dann geht es ans Verkosten. Weine an sich, wenn wir nicht von der 2 Euro-Masse aus dem Supermarkt sprechen, sind ja eigenwillige Burschen.

Oder wie es ein Gast am vollkommen ausgebuchten Wachau-Bordeaux-Abend sagte: "Es gibt keine guten oder schlechten Jahrgänge, nur gute oder schlechte Flaschen."

Der  Wein, dieser sture Individualist, lässt sich nicht mal in Jahrgangs-Schemata pressen. Tatsache ist jedoch, dass die guten Wachauer Weißen aus den Jahren 2004 und 2005 zur Zeit in bemerkenswerter Form sind, wie ich bei mehreren Flaschen Riesling (Loibenberg, Schütt) vom Knoll angenehm feststellen durfte, und auch im Landhaus Bacher erlebte, wo sich der schlanke und perfekt balancierte "M" 2004 und der "Singerriedel" 2005 neben den Jahrgängen 2009 und 2003 als Gruppenbeste erwiesen. Eine Formsache. Applaus von den Gästen.

Die Winzer waren leider nicht anwesend und ließen sich diesen entgehen.

Perfekt choreografiert von der wunderbaren Johanna Stiefelbauer und Herrn Rottensteiner, lief das Einschenken, die Erläuterung der Weine im Glas, das Servieren, das Abservieren. Hunderte Gläser wurden gleichzeitig eingeschenkt, dann wieder gereinigt, um kurz darauf wieder vor den Gästen zu stehen. Breitwand-Kino, eine Spartacus-artige Inszenierung mit großer Statisterie.

Thomas Dorfer legt an diesem Abend wieder Spitzenteller hin. Eine Langoustine von unglaublicher, bisher eigentlich in Österreich undenkbarer Frische, einmal gebraten, dann als Tatar. Begleitet von sorgfältig arrangierten Gemüsen, Minisalaten, Avocado und Gurke.

Zum "M" hat er sich ein Gericht einfallen lassen, das ein neuer Klassiker im Landhaus werden könnte: in Entenfett geschmorte Entenmägen, -Herzen und Artischoken. Groß.

Zum "Singerriedel" gibt es Ramsauer Saibling, perfekt gegart und mit einer schönen Begleitung, in der Räucheraal und Kraut eine Rolle spielen.

Der erste Bordeaux-Flight aus dem letzten großen Jahr einer Serie - 1990: Vieux Chateaux Certan, Chateau Gruaud Larose, Chateau Grand Puy Lacoste und schließlich Chateau Lynch Bages. Letzterer erweist sich gerade als echter Marathon-Wein, der immer noch Frische, Strenge, Frucht und Stärke ausstrahlt, während der Grand Puy Lacoste, ebenfalls in sehr guter Form, beim Publikum den meisten Zuspruch fand.

Certan, ein Merlot aus dem Pomerol, wies schon deutliche Erschöpungserscheinungen auf. Der Gruaud Larose allerdings interessant - während der ersten Zeit ließ er den beiden Kollegen aus Pauillac den Vorsprung, zeigte sich verschlossen und müde, um dann im Finish noch einmal ordentlich aufzuzeigen. Mit einer Mischung aus Lakritze, Erdtönen, Kräutern, schwarzen Johannisbeeren und Kirsch.

Die wenigen Flaschen, die ich noch vom Gruaud Larose aus diesem Jahrgang besitze - ich werde sie noch hüten wie den Apfel vom Aug, ebenso wie den Lynch Bages aus dem selben Jahr.

Thomas Dorfer macht dazu ein Gericht aus Kalbszwerchfell, Perigordtrüffel und Zwiebel. Man kann nicht davon lassen, bis es aufgegessen ist.

Die Weine von Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande zählen nicht zu Unrecht zu den Lieblingen von Patron Klaus Wagner. Robert Parker unterstellt dem Wein aus Pauillac in manchen Jahrgängen sogar "Premier Cru-Qualität zu. Preislich liegt er deutlich unter den Moutons, Latours und Petrus und dann - wenn man sich im Zusammenhang mit diesen Weinen die Trivialität gestatten darf - der Name: Chateau Pichon Longueville Comtesse de Lalande. Opulenz und Hedonismus schon beim Lesen dieser Wortfolge.

Als Star des Abends wurde dann auch der 100-Parker-Punkte Comtesse aus dem an sich schon verherrlichten Jahr 1982 empfunden. Eine Extravaganz, zweifelsohne.

Und was schmeckt der Comtesse an diesem Abend? Markknochen! Gratiniert mit Kräutern, gereicht gemeinsam mit perfekt getoasteten Schwarzbrotscheiben (Plachutta, kommen Sie her und schauen Sie sich was ab!), zu einem Dry-Aged OX-Beef und anderen schönen Kleinigkeiten von unterhalb und oberhalb der Erde. Aber wie gesagt: Markknochen. Darüber in Kürze mehr.

Die Chance, dass ich diesen Wein noch ein zweites Mal im Leben trinken werde, schätze ich ungefähr so groß ein wie die Wahrscheinlichkeit beim nächsten Wiener Stadtmarathon im Schweiß der Massen mitzulaufen.

Von den anderen Weinen gefiel mir der 1989er Comtesse am besten. EIn Bordeaux klassischer Machart, Kaffee, Schokolade, Brombeeren und Kirsche. Das von Parker in seinen nützlichen Aufzeichnungen über Bordeaux erwähnte Toastbrot vergaß ich herauszuschmecken.

Nachspeise: ein Wurf, die neue Interpretation des Themas Scheiterhaufen. Schon ein paar Male gegessen, und bei jedem Mal wird es ein bisschen feiner, delikater.

Es gab dann noch Yquem 86, einen nur einem Insiderkreis bekannten Sauternes, angeblich ein Geheimtipp. Vielleicht, dass ich über einen Besuch auf dem Chateaux und die einem Thomas Mann-Roman gleichende Geschichte der Familie Lur Saluces ein anderes Mal berichte.

(ar)






Dienstag, 2. April 2013

Nachruf auf das Osterei






Ostern ist vorbei. Das hat gerade auch der großartige Wolfram Siebeck in seinem Blog festgestellt. Ihm gefällt das Fest nicht so recht, so las man darinm, denn es beschert ihm ein Wiedersehen mit Verwandten (die man sich bekanntlich nicht aussuchen kann) und deren Kindern (für die gleiches mit umso größerer Bestürzung zu verzeichnen ist).


Siebeck hat weniger ein Problem mit dem Thema Ei, sondern mit dem Ei-Phone, dem Ei-Pad und anderen Gadgets, welche die jungen Leute am Tisch vom Osterschmaus anhalten. Es piept, drückt leuchtet und auf den Bildschirmen der kleinen Dinger finden sich die Schlieren der kleinen Fingerchen, die gerade noch ein Butterbrot schmierten. Unmanierlich, aber leider keine Seltenheit.

Auch ich erinnere mich der fernen Zeiten, als ich vor gefühlten Jahrtausenden das Hören von Musik-Kassetten in Gesellschaft meiner Cousins und Cousinen im Autoradio des Onkels der Nachspeise beim Häupl vorgezogen habe. Gottlob war kein Siebeck mit den Eltern am Tisch, die hätten sich sonst was anhören können über die kulturelle Verwahrlosung ihrer Nachkommenschaft.

Ich selbst sehe die Aktivitäten der Nachkommenschaft von Freunden und Verwandten am Tisch eher entspannt, solange sie mich nicht zwingen, mein Essen und den Inhalt meines Glases vor dem Genuss auf Facebook zu posten und gleich auch zu liken und zu kommentieren.

Was mir eher Sorgen macht, ist die österliche Inflation des Eies.

Sie strebte einem Höhepunkt zu, als am Ostermontag nachmittag in einem burgenländischen Dorf die jugendhaften Vertreter der örtlichen ÖVP auftauchten, um ihren Vorrat an bemalten Eiern zu verteilen, eine Art Restl-Charity, gegen die jegliche Versteigerung einer alten Weinflasche auf e-bay wie eine kulinarische Liturgie wirkt.

Diese Ostereier, so dachte ich, waren auf der untersten Stufe der sozialen Ostereier-Hierarchie angelangt. Sie haben keinerlei Grund, sich über ihre Leidensgenossen, die mit Industriefarbe bemalt, etwa im billigen Plastikbehältnis im Supermarkt angeboten werden, zu mockieren.

Dass Eier weder ein Bewusstsein noch Schamgefühl besitzen, ist in diesem Fall ihr Glück.

Die Welt der Eier ist noch stärker von Ungerechtigkeit, Zufällen und Nepotismus geprägt als die des Menschen und gerade zu Ostern macht sich das besonders auffällig bemerkbar.

So wie Eltern für ihre Kinder hoffen, dass es ihnen einmal besonders gut beziehungsweise besser geht als ihnen, würden das auch Hühner tun, wenn man sie fragte.

"Ich möchte, dass aus meinen Kleinen etwas besonderes wird", würden die Fräulein und Damen Hühner über die Zukunftshoffnungen ihrer Hühnereier sagen, "also sie auf einem Bauernhof ein Bio-Semniar mit sehr gut abschließen, dass sie schließlich als Kaviar-Ei bei Lisl Wagner Bacher oder als Ei mit Perigord-Trüffel-Sauce in der Pariser L'Ambroisie auf den Teller kommen."

Und wenn schon Ostern: Wenigstens sollten sie auf dem Oster-Frühstücks-Tisch von Leuten landen, die sie mit Andacht schälen und danach mit Genuss und etwas Fleur de Sel verzehren. Und die dazu selbst gemachten französischen Salat und Schinken im Brotteig mit Kren nehmen. Und um Gottes Willen kein Trüffelöl.

Leider sieht die Wirklichkeit für 99,99% der Eier anders aus.

Trauriger Tiefpunkt ihres österlichen Kreuzwegs durch die Supermarktregale ist es, wenn sie in die Hände eines lebensweisen Oberlehrers geraten, der während er die letzten Reste der bunt bemalten Schale abzupft, allen erzählt, wie ungesund der Genuss von Eiern eigentlich sei.

Während er dann mit schmerzverzerrtem Grinsen den ersten Bissen vom Köstlichen nimmt, erwähnt er seine Blutwerte und dass er sich den Osterei-Genuss am Nachmittag sicher noch mit einem Waldlauf verdienen werde.

(ar)