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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Donnerstag, 20. November 2014

Stalking Jaques Chibois

Köche Stalking gehört zu meinen Steckenpferden. Besonders gerne pflege ich dieses Hobby bei großen Treffen von Spitzenköchen, der Topliga Europas und der Welt, wie beispielsweise den Kongressen oder anderen Treffen der honorigen Gruppe der "Relais & Chateaus"-Mitglieder.

Das letzte fand vor kurzem in Paris statt und sie waren alle da. Darunter ist auch immer wieder Jaques Chibois aus Grasse, ein verlässlicher Kongressteilnehmer und ich lasse es mir nicht nehmen, Chibois stets aufs neue mit meinem mangelhaften Französisch anzubrabbeln und ihm über das formidable Kalbsbries (mit Tapinade aus schwarzen Trüffel oder waren es Oliven?) zu erzählen, das ich mal in seiner "Bastide de St.Antoine" gegessen habe.

Chibois, mittlerweile ein würdevoller älterer Herr, lächelt jedesmal, vermutlich, ohne mich jemals wieder zu erkennen und dann verabreden wir, dass ich ihn bald wieder einmal besuchen werde. Dieses Ritual pflege ich seit einigen Jahren. Jaques-Chibois-Stalking mit anschließendem Besuchsversprechen. Er hat das Gespräch wohl vergessen, während es noch stattfindet. Einfach, weil es - ich - ihm egal bin. Égalité total.

Das erste Mal aß ich bei Jaques Chibois im Jahr 1993. Er kochte damals im "Royal Gray" in Cannes und war einer der Höhenflieger an der Côte d'Azur. Ich war in Cannes als Jungtexter während der Golden Lions und während die anderen Junioren auf eine Pizza gingen, bildete ich eine Koalition der Willigen und ging mit drei Werberkolleginnen zu Chibois. Das Essen war natürlich einmalig gut. Es gab unter anderem etwas mit Ei und Kaviar. An den Rest erinnere ich mich nicht. Es hat irgendwann am Strand geendet.

Als ich das nächste Mal bei Chibois aß, kochte er bereits in seiner Bastide in Grasse, einem wunderbar duftenden Ort, und er kochte wieder sehr gut. Klassisch südfranzösisch ohne einen Hauch von Avantgarde, denn die ist nicht seins. Bei Jaques Chibois gab es jedesmal eine sonnige, ländlich elegante Küche, ein Essen der ruhigen, aber beständigen Art. Es begeisterte mich in seiner konsequenten Qualität und auch wegen des Ambientes gehe ich gerne hin.

Bin selbst gespannt, ob ich es nächstes Jahr schaffe und ob Chibois, wenn er mich zu sehen kriegt, einen Lach- oder Weinanfall bekommt oder ob es einfach bloß so gut schmecken wird wie bei den letzten Malen. Und auch interessiert es mich, ob sie im Hotelshop noch diese herrlichen Stoffbären verkaufen, von denen ich beim  letzten Mal zwei mitnehmen musste.

(ar)

Freitag, 17. Oktober 2014

Grado

Ich irre eine Stunde und damit einen gefühlten Tag durch Grado auf der Suche nach dem Hotel, in dem ich ein Zimmer bestellt habe, weil erstens das Navi nicht funktioniert, zweitens ich nicht funktioniere und während  ein zusätzliches anstrengendes Telefongespräch führe. Während meines sinnlosen und genau genommen zweckfreien Cruisings durch immerwährend gleiche Gässchen mache ich mir ein Bild: dieses Städtchen ist grenzenlos langweilig und noch schlimmer als seine inhärente Fadesse sind nur die Gäste, die es bevölkern. Warum bin ich hier?

Es war die Neugierde, das Begehren nach Licht und Sonne nach drei Wochen Regen und Flut in Istrien und Dino und die Tatsache, dass die Ville Bianchi doch tatsächlich ein Zimmer hatten für den spontanen Gast. Diese so genannten Ville Bianchi sind, um es gelinge auszudrücken, ein Kulturschock für alle, die nicht unbedingt in Gesellschaft von deutschen und österreichischen Anwälten, Ärzten und ihresgleichen im höheren Alter logieren, trotz Sonne im Inneren frühstücken und weder Messing noch Kirschholzmöbel am Zimmer wollen. Dennoch würde ich das Hotel empfehlen.

Dies nicht zuletzt wegen seiner Lage in unmittelbarer Nähe zu den bewirtschafteten und also gepflegten Stränden, aber vor allem wegen seines Service, der den schwierigen Gast erkennt und weiß, wie man mit seinesgleichen umgeht. Zum Beispiel lacht da niemand an der Rezeption, wenn der Gast auf die Idee kommt, am gleichen Abend noch einen Tisch bei Toni reservieren zu lassen, dem scheinbar berühmtesten und vermutlich besten Fischlokal in der hübsch herausgeputztenAltstadt.

Toni ist ein gepflegtes Restaurant in der gastronomischen Meile Grados, welches zu einer Vereinigung von der Tradition der gradenser Lagune verpflichteten Betrieben gehört, sonst nicht viel hermacht, allerdings unter allen, ausnahmslos allen Grado-Besuchern als beste Adresse der Stadt gehandelt wird. Man kann sich also auch als mit wenig Phantasie geplagter Mensch vorstellen, welches Gries  hier um die Tische gemacht wird. Wie durch ein Wunder, vielleicht auch bloß Glück, oder einen noch nicht bekannten mächtigen Förderer im Hintergrund bekomme ich ohne weiteres einen Tisch auf der Terrasse. Und ein wirklich gutes Essen.

Gutes Essen heißt in Grado und bei Toni zarten Tintenfisch, herrliche Spaghetti mit einer lokalen Muschelsorte, gekochte Goldbrasse mit Paradeisern und Erdäpfeln, frittierte kleine Fische aus der Lagune und ein überirdisch gutes Tiramisu. Dazu trinke ich Felluga und das auch am zweiten Abend, weil mir zu Toni keine Alternative einfällt und auch keiner meiner Informanten mit einer solchen aufwarten kann.

Erst am Ruhetag des Toni, der ein Mittwoch ist, lande ich in der legendären Androna, die seit zehn Jahren neu übernommen wurde und seither auf nobel unterwegs ist. Das nicht übertrieben große Lokal ist besonders schön, denn die Verbindung aus buntem Glaswerk und Gemälden mit dem schlichten Holz der Logen hat ihren Reiz. Hier esse ich die beste Frittura, ausgesucht gute Minifische, Sprotten, Seezunge oder Sardinen aus der Lagune, Garnelen nicht größer als drei oder vier Millimeter, das alles ohne Fettgeschmack oder anderem banalem Beiwerk, und bin begeistert ob der Qualität und schlichten Inszenierung.

Kleiner Wermutstropfen: Obwohl Italien, ist es schwierig, in Grado eine gute Bar zu finden, wo man einen anständigen Aperitif bekommen könnte. Offenbar hat man sich diesbezüglich schon zu sehr an die Gäste aus Österreich und Deutschland angepasst, für die ein Aperò maximal in einem Glas Bier besteht. Die Bellini-Kultur ist nicht einmal hundert Kilometer von Harry's Bar nicht anders als jämmerlich. Immerhin gibt es ein paar Leute hinterm Tresen, die einen erträglichen Negroni hinkriegen. In Florenz schmeckt er aber um Lichtjahre besser.

www.androna.it

www.trattoriadetoni.it

www.villebianchi.it

(ar)


Montag, 14. Juli 2014

Das war mein 14. Juli in Paris

Am 14. Juli gedenken wir Frankreichs. Weil mir heute nicht das Glück beschieden ist, in Frankreich oder besser noch in Paris zu weilen, erinnere ich mich an letztes Jahr. Der Austrian, einer Fluglinie mit interessanter Einstellung zum Thema Kundenbetreuung, verdankte ich einen Sonntag in Paris.

Man hatte - vermutlich wegen zu weniger Passagiere, so wie sie es immer machen  - kurzerhand den Samstag-Abend-Flug von Paris nach Wien storniert. Wir Passagiere, von Bordeaux kommend, standen verloren am Gate herum. Niemand da, sich um uns zu kümmern.

Eine Stunde später immer noch am Flughafen, im Besitz meiner Wut, aber nicht meines Gepäcks, und hungrig, fasste ich den Entschluss, das Beste aus der Situation zu machen. In Paris festzuhängen ist ja nicht grundsätzlich eine Tragödie, zumindest nicht für jemanden, der gerne isst.

Die Hotelgutscheine für ein 4-Sterne-Grab in CDG nicht einmal in Erwägung gezogen, kofferlos im Taxi in mein Pariser Lieblingshotel, das Lenox in St.Germain, wo der Zufall eine Juniorsuite für mich reserviert hatte.

Gegen Mitternacht  Saumon Fumé und eine Flasche Champagner im Flore, wozu es Toastbrote von göttlicher Wuchtigkeit gab. Letzter Gast. Ein letzter Champagner (Deutz, gut) in dem letzten Lokal auf dem Platz neben der Kirche. Letzter Gast. Dann Schlaf.

Am Morgen gegen elf vom Lärm der Militärflugzeuge geweckt, ins Hemd vom Vortag geschlüpft, welches keinerlei Spuren der Strapazen der vergangenen 24 Stunden zeigte, die wichtige Entscheidung des Tages getroffen.

Sollte man der Grande Nation die Ehre geben und zur Parade auf die Champs Elysees gehen? Oder doch eher tun, was in Frankreich nicht nur am 14. Juli erste Bürgerpflicht ist, nämlich ein exzellentes Mittagessen einnehmen?

Das Lenox mag ich vor allem wegen seiner Lage, die Zimmer sind so lala. Es sind von dort nur ein paar Gehminuten zum Atelier de Robuchon, dem Urmeter aller Ateliers, in dem ich noch nie schlecht gegessen habe.

Die Kampfflieger zogen weiter ihre Runden über der Stadt, ich nahm meinen ersten Schluck Champagner, strich Butter (herrlich) auf das Brot (ideal).

Wie man sich diesem und anderen relevanten Lokalen in Paris grundsätzlich nähert: Weder untertänig noch arrogant, denn nicht nur im Bois de Boulogne gilt, dass es aus dem Wald so zurückruft, wie man hineingerufen hat. Als nützlich hingegen erweist sich der freundlich bestimmter Blick im Sinne von: Ich werde heute hier essen und trinken und Sie, verehrter Maitre, wissen das, und ich weiß, dass Sie es wissen und Sie wissen, dass ich es weiß.

Perfektes Gericht aus Paradeisern verschiedener Sorten, kunstvoll mit Blüten und Schnittlauch arrangiert, allerdings ohne Sphärenkläge, Espumas oder anderen Lustigkeiten. Robuchons Statement: ein Messer reicht als Küchengerät vollkommen.

Dann rohe Anchovis und eingelegter roter Paprika, nebeneinander aufgeschichtet, eine frische Angelegenheit an einem heißen Julimittag. Dann eines der besten Lammgerichte des Universums, gebratene Koteletts vom Pyrenäen-Agneau de lâit, dazu Thymian und Robuchons Erdäpfelpüree. Die Militärflieger hatten das Lärmen mittlerweile aufgegeben. Die Sommeliere schenkte nach. Burgunder und nicht Bordeaux.

Eine Schokoladen-Dessert von besonderer Güte ist mir in Erinnerung, allerdings nicht in seinen Details.

Der Flug von Paris nach Wien am späten Nachmittag des 14. Juli verlief im übrigen reibungslos. Die Austrian hatte ausreichend Passagiere zusammengekriegt.

Mir selbst wäre ja ein 15. Juli in Paris als erfreuliche Möglichkeit erschienen.









(ar)


Dienstag, 1. Juli 2014

Das Beste ist für sie ganz normal

Besuch in einem der besseren Restaurants in Brüssel, dem Chalet de la Foret, welches wirklich mitten im Wald liegt. Es hat zwei Sterne. An einem Montag ist mittags der wunderbare Gastgarten des Chalets bis auf den letzten Platz gebucht. Man denkt sich: bei uns undenkbar. Ja, vielleicht das Steirereck in Wien. Aber auch dort sieht man um vier Uhr nachmittags keine gut gelaunten Gäste, die sich gerade die vierte oder fünfte Flasche Wein servieren lassen. Von sich selbst und ihrer Tischgesellschaft gelangweilte Businessluncher, die mittags nur Wasser konsumieren, wird man im Chalet vergebens suchen.

Der Küchenchef des Chalets hat bei Roger Souvereyns gearbeitet, einer Ikone der belgischen Küche. Er hat den Tisch und das Lokal ausgesucht. Souveräns wirkt mit 75 noch wie ein junger Mann. Den Schalk im Nacken trägt er wie ein gut geschnittenes Sakko. In seinem Scholteshof hat unter anderen auch Silvio Nikol gearbeitet. Die beiden verbindet eine Freundschaft in ewigem Respekt. Arbeiten in der Küche sowie moderater Genuss der Weine aus dem Medoc halten Souvereyns fit, wie er erzählt.

Dass er in seinem Restaurant schon vor dreißig Jahren die Kultur des Eigenanbaus pflegte und sich fast über das ganze Jahr lang mit eigenem Gemüse versorgte, brachte ihm bei den Inspektoren des Michelin manche Rüge ein. "Sie müssen schon mit französischen Zutaten kochen, gell" so in etwa haben ihn die Inspektoren auf die Voraussetzungen für 3-Sterne damals hingewiesen. "Ich koche mit dem, was ich will", so ungefähr hat Souvereyns ihnen geantwortet. Damals. Heute ist der eigene Garten für ein Restaurant, das auf sich hält, wichtiger als der Weinkeller.

Wir essen fantastisch. Ein wunderbares Dejeuner, bestehend aus sechs Gängen plus Dessert. In Belgien   ist man gutes, durchaus auch mit einer Prise Dekadenz versehenes Essen gewöhnt. Ganz anders zu Österreich, wo es hauptsächlich viel am Teller sein muss und nicht zu teuer. Das Billig-Gen werden den Österreichern auch die besten Restaurants nicht austreiben können. Die Wirte haben hier die Rechnung ohne den Gast gemacht.

Es gibt Makrele mit kleinen, fermentierten Gemüsen, der Fisch von fantastischer Konsistenz und Frische. Dann Seh-Ohren mit etwas Grünem. Die auch Animone genannte Schneckenart ist ein ganz außergewöhnliches Bissvergnügen. Gegrillte Bar de Ligne mit Trüffelsauce (wunderbar) wird gefolgt von pochierter Entenleber mit knackigem Rhabarber und einem Stück Aal, was gemeinsam eine echt gute Figur macht. Auf Pünktchen und Pinzettenclownesken verzichtet die Küche indessen ganz, was Herrn Souvereyns unter anderem zur Wahl des Chalets veranlasst haben mag.

Zum Hauptgang ein ordentliches Stück Fleisch aus Kastilien, wo die besten Steaks herkommen. Es hat Biss und ist weder Wagyu noch Dry Aged, sondern einfach bloß sehr gut. Dazu reicht die Küche einen Salat mit Sommertrüffel vom Durchmesser einer fliegenden Untertasse. Wir trinken einfache Mittagsweine, vornehmlich aus dem französischen Südwesten und haben es fein.

Auch bei den Nachspeisen zeigt die Küche, dass sie es nicht mit den Moden hat. Allerdings ist das Kakao-Granité, das zum Schokoteller gereicht wird, von ausnehmender Güte.

Es ist nicht zum ersten Mal, dass ich die Belgier um ihre Gastronomie beneide.

Und sagen muss, dass die österreichischen Gastronomen ihre belgischen Kollegen auch um ihre Gäste beneiden können.

Wobei ich nicht herausfinden konnte, wie viele von den verwöhnten Mittagsgästen eventuell zu den Mitarbeitern der EU-Kommission zählen, die sich gerade von amerikanischen Lobbyisten den TIFF-Vertrag schmackhaft machen lassen.









(ar)

Freitag, 9. Mai 2014

A la minute

Franz Gruber, Patron des Wiener Vincent, hat es auch nicht leicht. Bevor er am Morgen in sein Restaurant fährt, muss er bei der Gärtnerin Evi Bach vorbei schauen, frisches Gemüse holen. Einmal soll er seinen Küchenchef Alexander Mayer gefragt haben, ob man nicht vielleicht an einem Tag den Vorrat für mehrere Tage besorgen könnte.

Mayer soll seinen Patron liebevoll, aber etwas streng angeschaut haben. Seither ist die Sache kein Thema mehr.

Alexander Mayer gehört zu den Groupies der Gärtnerin Evi Bach, zu deren Kunden auch Heinz Reitbauer und andere Spitzenkönner zählen. Jetzt, wo die kleinen Rüben, die Kohlrabis, die Radieschen und der Mangold aus dem Boden schießen, kann er sein Glück kaum fassen. Auf seinen Tellern schmeckt man die Qualität von Gemüse, nicht älter als ein paar Stunden.

Ein zarter, mit dem Fischmesser zu zerteilender Minikohlrabi, ein perfekt knackiger und mit brauner Butter gewürzter Blattspinat, Erbsen von hoher aromatischer Konzentration, dazu ein Stück vom Waller, blütenweißes Fleisch, das beim Abtupfen mit dem Besteck in seine lamellenartigen Teile zerfällt.

Es muss das schiere Vergnügen sein, mit den Produkten zu arbeiten, die Mayer für seine Gäste besorgt. Die Mieraltaube, deren Brust so wunderbar schmeckt und deren Haxerl leicht gegrillt wurden, wird auf einer Sauce aus Himbeeren, Kirschen und Senf serviert. Eine kleine, vor gefühlten fünf Minuten aus der Erde geholte rote Rübe begleitet das Ganze.

Auch Flußkrebse lässt Mayer von seinen Köchen (vier bis fünf sind es, Souschef gibt es keinen, Mayer checkt alles selbst) pünktlich auf die Minute zubereiten. "Es dient der Qualität", sagt er. Flußkrebse also ins kochende Wasser, kaum eine Minute später heraus, ausbrechen und servieren. Zum Beispiel mit Artischocken und einem farbprächtigen Jus aus den Krebsenschalen und Innereien.

Er unterhalte fast jahrzehntelange Beziehungen zu seinen Lieferanten, oft kleine Produzenten. Sie erweisen ihm als Dankeschön für seine Loyalität gerne einmal den einen oder anderen Gefallen, wenn es um ausgefallene Wünsche geht. Die Rehleber zum Sago aus Rehschlögel und Schulter, gemeinsam mit Rhabarber zu den butterzarten Nudeln gereicht, war so ein Wunsch.

Die Qualität und Frische, die im Vincent zur Zeit angeboten wird, war den Michelin-Testern im neuen Europa Städteführer einen Stern wert und sie haben sich damit als Leute mit Kompetenz erwiesen.

Wenn schon älter, dann darf es außer Käse nur der Wein sein, den Mario Raaber zum Essen serviert. Gerade noch am Gaumen und in der Nase spüre ich den 2007er Zieregg von Zement oder den 2003er Cavernet Merlot vom Pöckl. Zwei Weine, die einem das patriotische Trinken einmal wirklich leicht machen.

(ar)

Freitag, 4. April 2014

Die Elite ist da

Das Leben sei keine Generalprobe, sagen die Hobby-Philosophen, nicht aber Theater- oder Opernregisseure. Gemeint ist damit, der Mensch solle liebe sein ganzes Dasein lang vom Besten, Richtigen und Passenden nehmen, ob es sich dabei um Menschen, Beruf oder Küchenmesser handelt, damit er nicht gegen Ende der Vorstellung etwas zu bereuen hat.

Beim Champagner sind die Landsleute diesem Ansatz nicht gefolgt. Der Verbrauch in Österreich ist beschämend, ja bemitleidenswert niedrig.


Am 5.April gibt es in Mautern die wie alle zwei Jahre Möglichkeit, einiges an Versäumnissen nachzuholen. Beim Champagnerdiner, zu dem Thomas Dorfer kocht, werden einige Schätze eingeschenkt, darunter Jahrgänge, die es eigentlich nicht mehr gibt. Ich durfte bei der Generalprobe des Diners zu Gast sein. Schauen, Riechen und Schmecken, wie der alte Meister des guten Trinkens, Klaus Wagner, den passenden Wein zu den Entwürfen von Dorfer und seiner Küchencrew aussuchte. Das macht sich nicht im Handumdrehen, so ein wirklich gutes Essen mit den passenden Weinen.

Champagner trinken ist einfacher als sich mit Champagner auskennen

Die Gerichte, die im Landhaus Bacher zu diesem und ähnlichen Anlässen serviert werden, sind Unikate. Es gibt sie nur zu diesem Anlass, vorher nicht, und nachher auch nicht.

Am Tisch: Lisl Wagner Bacher, der Markenbotschafter eines namhaften Champagnerhauses, Klaus Wagner, meine Wenigkeit.

Der erste Gang bringt ein Pavé von der Foie Gras von der Ente, welche delikat zubereitet ist, mit eingekochten Marillen und Maccadamianüssen serviert wird, sowie mit einer wunderbaren, in Kakaobutter gebratenen Scheibe Brioche. Im Glas: die beiden Jahrgänge 2004 und 2006 von Moet Chandon sowie der Imperial (Jeroboam) von ebenda. Mir selbst gefällt anfänglich der 2006er am besten, er wird sich aber im Laufe der kommenden 5 Minuten als vielleicht doch etwas zu frisch als Begleiter zu diesem Gericht erweisen.


Wie auch im Laufe der Vierzehntage zwischen Probe und dem eigentlichen Diner aus der Wachauer Marille ein Wachauer Herbstpfirsich werden wird. Kurze Einigung auf den Vintage 2004,  ein sehr gutes Jahr, drei von vier Tischgenossen sind sich einig. Klaus Wagner wird dann die Entscheidung treffen: es wird der Imperial, welcher zur Vorspeise gereicht wird. Weinentscheidungen werden im Landhaus Bacher nicht demokratisch, sondern von dem getroffen, der sich am besten und längsten auskennt.

Weinentscheidung ist keine res publica

Der kommende Gang ist pure große Decadence, eine Verbeugung vor dem russischen Borschtsch, demnächst ja auch das Lieblingsgericht der Bevölkerung auf der Halbinsel Krim. Dorfer ließ sich die beste Ware kommen, die unter dem Titel "Langoustino" zu haben ist. Allerdings belässt er die wertvollen Meeresbewohner nicht in ihrer Form, sondern hackt sie roh in Würfel. Diese werden mit dem Saft von roten Rüben gebeizt. Wie er das macht, dass sie trotzdem ihren Geschmack behalten, für den Esser gerne ein kleines Vermögen bezahlen, hat Dorfer leider nicht verraten. Zu den Rüben-Langoustinos gibt es noch Tapioka aus Nussbutter, welche dem Gericht eine gewisse Mächtigkeit verleiht. Kaviar (natürlich Imperial-Kaviar) darf nicht fehlen. Mütterchen Russland wäre sonst beleidigt.


Am Tisch stecken wir unsere Nasen abwechselnd in die zwei verdeckt servierten Rosé-Champagner. Der eine, den wir (und auch ich) für den besseren halten und also für den 2002er Dom Perignon, erweist sich schließlich als de Moet Rosé aus dem gleichen Jahrgang, nicht unbedingt ein schlechter Wein. Nach Klaus Wagner aber eindeutig nicht die erste Wahl.

An die Demütigung der eigenen Geschmackskenntnis, die ja nicht unvermutet kommt, wird man sich gewöhnen müssen. Jammern auf niedrigerem Niveau möchte ich bitte nicht haben. Zum Trost gibt es zum nächsten Gang einen Hit. Alpsaibling aus der Ramsau (liegt übrigens nicht am Dachstein) mit Blutorangengelée, jungen Erbsen und Erbsensprossen. Dazu eine Champagner Beurre Blanc und man glaubt, man befindet sich bei Michel Guerard in den schönen Siebzigern. Butter bei die Fisch!

Zu dieser herrlichen Schmeckerei ist der Dom Perignon 2003 aus der Magnum vorgesehen. Da es nur einen Champagner zu diesem Gang zu probieren gibt, ersparen die Tischgenossen und ich uns die degustatorische Blamage vor dem Hausherrn.


Dom oder Dom ist die Frage

Mit dem Kalbsbutterschnitzel, das mit Trüffel und Bries serviert wird, ist der Küche wieder ein Volltreffer gelungen. Maisbouillon gab es zu dieser Kombination noch selten. Ein jetzt schon zum Klassiker zu adelnder Gang, zu dem es dann halt auch das Angemessene im Gang gibt. Dom Perignon Oenothek und Dom Perignon, beide aus dem Jahr 1996 und beide herausragend gut.

Zum Bavette vom OX, welches sehr gut, aber auch ziemlich geräuchert ist, aber von der dazu servierten Prinzregententorte gnadenlos geschlagen wird, ist wie immer in diesem Haus, nicht mit Champagner zu rechnen. Es wird Bordeaux geben, ein Figeac 1992 aus der Jeroboam hat sich angesagt.

Eine Nachspeise aus Kokos, Briochekrokant und Vanille wird bei der Generalprobe von einem Moet Chandon Nectar Imperial begleitet. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist, weiß ich nicht mehr. Könnte aber sein, dass die Gäste des Champagnerdiners am 5. April da und dort noch eine Überraschung erleben. Bloß, falls Sie sich gerade fragen: Das Diner ist ausverkauft. Die derzeit grassierende Erkältungswelle könnte aber noch Möglichkeiten ergeben.

http://www.landhaus-bacher.at

Sonntag, 2. März 2014

Ich sage ja zu Josephs Bistro

Einmal sperrte er auf, dann wieder zu. Seit einiger Zeit gibt es das Josephs Bistro auf der Landstraße wieder und ich war jetzt einmal dort, um zu frühstücken. Joseph, der geniale Bäcker, hat im dritten zum einen mit dem hartnäckigem Vorurteil der Ortsansässigen zu kämpfen, die ihm vorwerfen, er würde die Bobos aus dem Zweiten und dem Siebenten jetzt in den geliebt grindigen Dritten ziehen. Mit Kapuzenpullis und Turnschuhen bewaffnete Menschen sind gegenüber dem räudigen Kinocenter tatsächlich etwas häufiger zu sehen. Und? Mich stören sie nicht.

Auch die Preise von Joseph Brot stehen immer gerne im Mittelpunkt scharfer Kritik. Natürlich ist es hier teuer. Vielleicht sogar sehr, sehr teuer. Doch der reflexartige Vorwurf ist nicht nachvollziehbar. In Wien gibt es keine großflächige Hungersnot. Wenn Brot auch aus früheren Zeiten als Grundnahrungsmittel galt (Brotpreisbindung), ist es nicht einzusehen, warum es nicht 2014 dem nützlichen Prinzip von Angebot und Nachfrage folgen darf.

Bei Joseph setzen sie Preise auf einem mutigen Niveau fest, die Leute stehen dennoch Schlange. Wo ist das Problem?

Lokalaugenschein: Der Service zieht zuerst langsam, dann aber kräftig an. Natürlich ist bei vollem Haus eine Wartezeit einzuplanen. Presto ist das alles nicht. Aber die Frage, ob sich das Warten lohnt, beantwortet sich für den Gast mit einem eindeutigen Ja. Herliches Spiegelei auf leicht getoastetem und mit Klasse-Bergkäse überbackenem Joseph Brot. So geht Frühstück. Delikater Joghurt mit Nüssen und Honig danach oder davor, fertig. Die Kultur an analkoholischen Getränken und Säften ist in Wien unerreicht.

Und das Essen? Eine gebeizte Forelle mit einem Teller voller Gemüsen und Salaten hat den Freunden am Tisch geschmeckt, ein geschmortes Lamm ebenfalls. Schließlich ist Josephs Bistro kein Café, sondern ein Bistro, also ein vollwertiges Speisenlokal.

Es ist dennoch schön, wenn es in Wien Frühstücksgelegenheiten gibt, wo nicht das B wie Billig-Prinzip, sondern das G wie Gut-Prinzip gilt.


Petz! Hansen! Jetzt!

An sich kennt sich Leo Doppler mit guten Essen aus. Er hatte schon einige sehr gute Leute in der Küche des Hansen, das für seine flott servierten, mediterran inspirierten Lunches beliebt ist wie für sein Frühstück in angenehmer Atmosphäre. Wenn einer wie Doppler dann einmal vor lauter Begeisterung zu leuchten beginnt, wenn er über ein Risotto erzählt, dass man das Licht in den schönen Hallen im Souterrein der Börse fast abdrehen könnte, ja, dann heißt das was.

Doppler beschrieb einen Avocado-Sardinen-Risotto, den Christian Petz vor kurzem einfach so nebenbei entworfen hatte: Zwiebel und Reis im Öl der Dosenfische anrösten, Rest wie üblich, später dann die Fische und die Avocado dazu, kein Parmesan. Der Hintergrund dieser Dopplerschen Petz-Erfahrung: Leo Doppler und Christian Petz sowie die Hansen-Mannschaft und - niemals zu vergessen - der großartige Grand Cru-Winzer Michael Moosbrugger machen einen Monat gemeinsame Sache.

Mit der Fastenzeit im März wird es also leider wieder mal nix.

Auf der Hansen-Speisenkarte finden sich Genialitäten wie japanisches Ei mit Rösti und cremigem Kohl, eine Erbsensuppe, für die man Petz mit fünf Almhütten auszeichnen sollte, dann Agnolotti mit Milz gefüllt auf einer irren Sauce aus Sardinenbutter (!) und Petersilie. Großes, andächtiges Schlabbern!
Zwischendurch kosten wir vom Stockfisch mit Erdäpfelsalat (!!) auf einer Sauce aus Bohnen und kleinen Vongole Verace.

Dann gibt es Currykutteln mit Hendlherzen. Letztere sind Petz schon seit geraumer Zeit ein Anliegen, erstere sind natürlich zum Sterben gut.

Taube "the old fashioned way"

Taube wird jetzt in Österreich zaghaft, aber doch, immer öfter angeboten. Petz brät den Vogel durch, lässt alles an der Karkasse und füllt das Fluggerät mit Semmeln, viel Flaumigkeit und Taubenleber. Gottvoll. Man dreht und wendet den Vogel, schnibbelt da ein Stück, dort ein Gelenk, hier eine kleine Tranche. Tunkt dann den dazu servierten Miniknödel in die Linsen.

Nähert sich so dem Inneren der Taube, die Petz mit Recht als "oldfashioned" bezeichnet und hat das Gefühl, auf einem Schloß an der Loire oder in Schottland zu sitzen, an den Fingern noch den Pulvergeruch von der Jagd.

Über die Nachspeisen wird in Kürze noch zu berichten sein. Ein Resümée lässt sich jetzt schon ziehen: um diese Preise kriegt man zur Zeit in Wien vermutlich nichts besseres.

Gilt übrigens auch für den Vetliner Lamm 2006 aus dem Kamptal. Gefährlich dichter Stoff.


Freitag, 14. Februar 2014

Der Unfisch



Ein bisschen Recherche zwischendurch: Der europäische Flussaal wurde zum Fisch des Jahres 2009 gewählt. Die Fischereiverbände in Österreich, der Schweiz und Deutschland sowie Naturschutzorganisationen wollen damit einer Sorge Ausdruck verleihen. Der Aal, das muss einmal gesagt werden, bevor Sie ihn das nächste Mal am Fischbuffet achtlos links liegen lassen, gehört zu einer gefährdeten Art. In 20 bis 30 Jahren könnte er aus unseren Flüssen (und aus dem Meer) verschwunden sein. Es gibt übrigens unzählige Aalarten. Wir reden und schreiben hier vom europäischen Flussaal. Aal wird auch woanders gefangen und gegessen. In manchen Ländern Asiens ist Aal Kult. Die Koreaner vermuten in ihm einen Kraftspender, weil er sich selbst durch Zähigkeit und Überlebenskunst auszeichnet. Sie bereiten ihn nach bestem Wissen gemäß alter Tradition mit den passenden Kräutern und Marinaden zu, seinem Geschmack und seiner Bekömmlichkeit zuliebe und zur Ehre. In Japan gilt Aal als einer der delikatesten Fische. Wer die Fischobsession und herausragende Kenntnis der japanischen Foodies nur ungefähr kennt, muss sich jetzt Gedanken machen. Auf Japan kommen wir noch zurück. Zurück nach Europa: Der Aal bedankt sich bei den hypochondrischen Europäern für ihre Skepsis mit einem Gesundheitspaket, weshalb es ihn eigentlich auf Rezept geben sollte. Er ist reich an Vitaminen und den glorifizierten Omega 3-Säuren. Wer Aal isst, wappnet sich im Geiste (und vielleicht auch in Wirklichkeit) gegen alle Gemeinheiten, welche die menschliche Natur für uns bereit hält. Von der hinterhältigen Arteriosklerose bis zum perfiden Krebs oder dem brachialen Gehirnschlag. Und dennoch war der Aal nie einer unserer Favoriten. 

Sein roher Anblick verwirrt vornehme Fischmarktbesucher. Die Angst vor dem Fisch, der zuhause aus der Tasche hüpft und sich, obwohl er eigentlich schon tot zu sein hätte, in hintersten Eck der Küche verschanzt, diese Angst ist größer als der Appetit. Aal gilt als zu wenig vornehm. Sein dezidierter Geschmack wird nur von wenigen geschätzt, selbst wenn er sich mit Räucheraromen tarnt. Der Aal wusste schon früh, früher noch als Grass sich an seinem Ruf verging, dass er sich etwas einfallen lassen werde müssen. Also hüllte er sich in Kleider, bevor er ausging und sich in die Gesellschaft der Menschen begab. Er arbeitete dabei mit den besten Couturiers unter den Saucenerfindern und erreichte so ein kleines Quäntchen Liebe von den Menschen. Eines dieser Kleider ist grün. Sein Erfinder allerdings unbekannt. Es kommt eindeutig aus dem Norden, findet aber auch in England oder Frankreich seine Speisen-Träger. Der Aal zieht sich eine grüne Sauce aus vielen Kräutern an, aus Schalotten, (Weiß-)Wein, und auch Obers mit Eigelb. Dill spielt dabei fast immer eine Rolle, auch Salbei oder Kerbel. Sie steht ihm gut, die grüne Sauce. Und sie verfügt über genügend Säure (etwas Zitrone gesellt sich im Laufe ihrer Entstehung hinzu), um als Kontrapunkt für den etwas anmaßenden Gehalt an gesunden Fetten des Aals zu dienen. Wie gesagt: Im hohen Norden hat man das gerne. Dort, wo es die meiste Zeit im Jahr zugig und frisch zugeht, haben die Menschen immer Appetit und wenig Probleme mit Aalen oder ihren Kollegen, den Heringen. Dazu, davor und danach trinkt man dann Aquavit, Lebensretter an kalten Tagen und zu kalten Platten. 


In Frankreich sieht man das anders: Fisch ohne Wein ist nichts, lernt man da schon im Kinder- und im Weingarten. Auch der Aal schätzt guten Wein. Weil er ein Connaisseur ist, hat er auch nichts gegen einen guten Roten, sagen wir zum Beispiel einen Burgunder. Aal in Burgunder. Das hätte Grass schreiben sollen. Aber damit schreibt man keine Bestseller. Aal in einer kräftigen, nach den üblichen überlieferten Riten zubereiteten dunklen Sauce. Das ist ein eleganter roter Fetzen, mit dem man sogar in der Modestadt Paris gute Figur macht. Ich hatte das Vergnügen, den Aal in einer burgunderroten Robe aus Samt, Seide und Sauce kennen zu lernen. Das Restaurant hieß "Le Doyen" und sein Küchenchef ist einer der großen Pariser Meister im Umgang mit Fisch. Für einen Bretonen jetzt nicht weiter bemerkenswert. Der Aal betrat das schöne alte Restaurant gänzlich in Rot und in artiger Begleitung von Pumpernickel und winzigen Erdäpfeln, die in einer rahmig süßlichen Krensauce (Krensauce! In Paris!) auftraten. Wir, der Aal und ich, hatten dazu eine gute Flasche des roten Saftes aus der Burgund. Eher zu kühl und zu jung getrunken. Es war gerade recht. Nicht gerade vornehm, dieses Gericht, so schräg gegenüber dem Elysée Palast, aber doch sehr delikat und passend zu einem windverwehten Novembermittag. Da erblassten sogar die 100 Euro schweren, dicken Steinbutttranchen am Nebentisch ein wenig. Mit ihrem Belugakaviar, die Wichtigtuer aus dem Atlantik. Paris ist eben teuer und will es bleiben.

Deshalb fahren wir an den Neusiedler See. Dort fühlte sich der Aal jahrzehntelang wohl wie ein Fisch im Wasser. Er wurde, lange ist es her, hier ausgesetzt und von den Fischern und den Urlaubern gleichmäßig willkommen geheißen. Neuerdings wirft man ihm vor, das Gleichgewicht des Sees zu stören. Er sei ein böser Raubfisch, heißt es. Er würde in den Laichgründen anderer Fische wildern, sagen sie. In den Gründen derer, die nach dem Gesetz des Primats der autochthonen Sorten mehr Rechte haben als er. Schön eingelegt. Aber bald soll Schluss sein. In spätestens 20 Jahren gibt es ihn nicht mehr. Wegen schlechten Benehmens ausgewiesen. Der Aal ist eines sicher nicht: ein Gutfisch. Dazu hat er selbst auch zuviel mitmachen müssen. Außerdem wissen wir ja, dass für Fische gilt, was auch für Menschen gilt. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Der Fisch ist des Fisches Mensch. 

Fragen wir doch einen der Fischer am See, Helmut Schwarz in Oggau. Der steht in seinem blitzsauberen Laden und sagt es, wie es ist. Der Zander habe im Neusiedler See den Vortritt. So wurde es festgelegt. Aal wird im See nicht mehr ausgesetzt. Nur noch eine Frage der Zeit, also von zwei oder drei Jahrzehnten, dann ist der Neusiedler-See-Aal Geschichte. Schon reicht der Fang nicht mehr, um in den Export zu gehen, so Schwarz, während er schlanke Räucheraale in schmale Plastikhüllen packt und per Vakuum versiegelt. Schwarz hat Respekt vor seinen Fischen. Der Aal aus dem Neusiedler See sei ein Naturaal. Er nimmt sich Zeit mit dem Wachsen. Ach ja, die Zeit. Früher waren die Zeiten besser. Das sagen nicht nur Feinschmecker, wenn sie von den Preisen von vor zehn Jahren ins Schwärmen geraten. Das sagt auch der Aal, denn der Neusiedler See ist sauberer geworden, was gleichzeitig heißt: weniger Nährstoffe, weniger Plankton für den Aal. Magere Zeiten. Noch gilt der Aal in Europa als alles andere als ein Luxusfisch. Das war mit Kabeljau und Flusskrebsen auch einmal so. Warten wir ab, wie die Nachfrage verrückt spielt, wenn sich die Aale in den Netzen wirklich rar machen, denn nicht nur im Burgenland, auch sonst wo gilt der Aal als gefährdete Art. Der Fischer Schwarz erhält einen Anruf. Im benachbarten Schützen braucht es frischen Fisch. Ein Botendienst macht sich auf, im Gepäck Zander und Aale. 

Nackt macht der Räuberfisch als schlichter Räucherfisch eine gute Figur. Auch verfügt er über die besten Verbindungen ins gelobte Land der Gourmets, das Baskenland. Dort ließ er sich mit Apfel und Gänseleber zu einem gemeinsamen Auftritt überreden. Das Ergebnis ist nicht nur in den 3-Sterne-Restaurants vor Ort, sondern mittlerweile in leichten Abwandlungen in vielen Restaurants zu bekommen. Es schmeckt fast immer. Doch angezogen und gegart ist Aal einfach schicker und wirkt auch souveräner in seiner Erscheinung. Das schönste Kleid des Aals stammt aus Tokio. Ein Kimono aus Aromen, Oberflächenspannung, Textur und kosmopolitischem Flair. Walter Eselböck und seine Leute haben das Stück nach Schützen importiert und ein wenig der landesüblichen Folklore angeschneidert. Auf dem Katzensteg des "Taubenkobel", den Gäste und Gerichte gleichermaßen beschreiten, tänzelt glasierter NeusiedlerSee-Aal mit Royale von Dashi, Escabeche vom Karpfen und mit Reis und Algen. Wie das? Man nehme dafür den Aal, der halbiert und in die gewünschte Länge geschnitten wird. (Idealerweise 4 Zentimeter pro Stück oder weniger.) Der Fisch wird im Vakuumbeutel verpackt. Zusammen mit einer Marinade aus Zucker, Weißweinessig, Mirin, weißem Sesamöl, Tamari, Kanzuri-Paste, getrocknetem Bonito, Ingwer und Schalotten (wobei diese Zutaten außer dem Bonito vorher gemeinsam aufgekocht wurden). So aalt sich der Aal bei 59 Grad im Dampf in seiner Marinade, beide kühlen dann langsam ab und werden später getrennt. Wenn dann die Marinade eingekocht wurde, bis sie die Viskosität einer Glasur aufweist und der Aal geputzt und enthäutet ist und vor dem Anrichten noch mal kurz in der Glasur aufgewärmt wurde, dann rufen die Gäste im "Taubenkobel" laut "Bravo!", flattern wie die Tauben aufgeregt durcheinander und quietschen vergnügt wie die spanischen Spanferkel. Der Aal des Jahrzehnts. Auf die Zubereitung seiner Begleiter können und wollen wir aus Platz- und Geheimhaltungsgründen nicht eingehen. Man muss nicht alles, was man weiß, auch sagen.


(Text aus dem Archiv von A la carte, das im Taubenkobel beschriebene Gericht steht leider dort nicht mehr auf der Karte.)

ar



Freitag, 7. Februar 2014

Warum ich auf die Haxe stehe

Eine wunderbare, eine unvergleiche  Kombination: zartes Fleisch, voller Geschmack, Saft und das alles umrandelt einen Knochen, in dem köstliches, von den Aromen von Kräutern und Saft durchtränktes Mark auf den Löffel wartet. Sie haben richtig geraten, wenn Sie vermuten, dass wir von Kalbshaxe, auf österreichisch Osso Buco reden. Ein Suchtmittel.

Haxe gibt es auch vom Lamm, wie ich es bei Norbert Niederkofler hatte (geil gut) oder auch vom Reh, wie ich es bei Andreas Döllerer essen durfte (gut, aber nicht so geil, weil Reh), aber machen wir uns nichts vor. Das Rund vom Kalb hat einfach mehr Energetik und vor allem mehr vom köstlichen Kalbsknochenmark. Am besten pur genossen mit einer Prise Fleur de Sie wissen schon.

Eigentlich ist das Osso Buco schon ein Held für sich, ein Hulk oder auch Batman der Fleischliebhaber, aber dennoch sind die Rezepturen von Vielfalt geprägt. Ob es in Spaniens Avantgardeküchen auch Espuma vom Kalbshaxenknochen mit Marksorbet gibt, ist mir zur Zeit nicht bekannt.

Der großartige Wolfram Siebeck schrieb im Feinschmecker einmal über eine stundenlang im Ofen bei Niedertemperatur gegarte Kalbshaxe. Dazu gab er Wurzelgemüse, Stangensellerie, vorerst in der Pfanne angebraten, sowie Paradeiser, später auch Oliven und Olivenöl, und krönte sein Rezept mit dem Satz in etwa "Sie können jetzt auch zwischendurch ins Kino gehen", womit meinte, dass die Garung nach dieser Methode nicht verlangt, sechs Stunden lang mit dem Schöpfer und der Stoppuhr am Herd zu stehen.

Eckart Witzigmann empfahl in seinen "Hausrezepten", dem besten Kochbuch, das er geschrieben hat, die Kalbshaxe "bügerlich", womit er verriet, dass es sich dabei um eine stärkende Mahlzeit der bessergestellten Bayern handelt. "Bürgerlich bedeutete den Verzicht auf südländiche Aromen, die man gemeinhin aus den Italien-Kochbüchern kennt. Also keine Paradeiser, keine Oliven, kein Zitronenthymian, sondern Karotten, Sellerie, Stangensellerie zumal. Weißwein kann sein. Dafür gibt es zur Haxe dünne, grüne Bohnen und Nudeln. Für Italiener ein grober Regelverstoss die Pasta zum Secondo.

Das bürgerliche Rezept finde ich in Zeiten des Blitzeises und Bodennebels passend, aber dann die Tragödie. Kalbshaxenscheiben da, Stangensellerie nicht da. Was tun?

Ich nehme mir ein Beispiel an Samual L. Jackson in Pulp Fiction und bleibe extrem cool, als wäre man mit einem unbegabten Killerpärchen in einem amerikanischen Diners zum Frühstück. Cool bleiben heißt die Frage zu stellen: Was ist da? Kalbshaxe, Butter, Weißwein, Zitrone, Kapern. Salz und Pfeffer. Für eine gute Kalbshaxe reicht das. Man brate die Scheiben also an, lege sie dann zum Weitergaren für zwei bis drei Stunden bei 160° ins Rohr, gieße mit ein wenig Weißwein an, lege die Butter auf die Scheiben. Butter gefällt der Kalbshaxe, wegen der Verwandtschaft ist es.

Hie und da schaut man ins Rohr, fragt sie Scheiben, wie es geht, ob alles okay sei, übergießt ein wenig mit der buttrig-weinigen Sauce, der man vielleicht ein wenig Kalbssuppe (oder Wasser, Sie müssen es den Gästen ja nicht sagen) beifügt. Die Zitrone fügt man in Form von geriebener Schale hinzu, ein Dash vom Saft schadet nie, später dann die Kapern. Fertig. Perfekt.

Fisolen (breit oder schmal) sowie auf den Punkt gegarte Nudeln (breit) machen sich dazu sehr gut, wie bei Witzigmann schon skizziert, genauso wie ein Unplugged Rotwein von Hannes Reh. Ein guter Beaujolais oder ein erwachsener Riesling aus der Wachau würden die Haxe auch nicht davonlaufen lassen.

(ar)

Essen lernen im Steirereck am Stadtpark

Ein Essen im Steirereck am Stadtpark. Lange war ich nicht dortgewesen, jedenfalls zu lange. Doch die längere Absenz schärft den Blick, den fürs Detail und den der Kritik. Ich darf mit einer Reihe von neuen Schöpfungen rechnen, aus den kreativen Hirnen von Heinz Reitbauer und seinen Mitstreitern, zubereitet von einer in der Nähe der Perfektion arbeitenden Mannschaft an Herd, Dampfgarer und was es sonst in einer Küche des 21. Jahrhunderts noch gibt.

Mit Gemüse ist zu rechnen, ein Essen bei Heinz Reitbauer gleicht auch einem Lehrgang der neu zu entdeckenden oder fast schon vergessenen Sorten. Doch die Vegan-oder-nicht-Vegan-Diskussion ist hier vollkommen fehl am Platz. "Ich respektiere Kaviar ebenso wie einen Erdäpfel". Sagt Heinz Reitbauer. Dieses Philosophie ist mir lieber als die Diskussion um die Redlichkeit von Massentierzucht und ihren Nutznießern. Als ob das nicht schon geklärt wäre.

Dennoch will ich ab und zu gerne Fleisch, ein bisschen wenigstens, zum Beispiel so ein Rehkitz, gebeizt mit Natursaft und schwarzen Nüssen, ein paar Zentimeter über dem Teller schwebend in seiner milden Aromatik, mit Trompeten-Eierschwammerl und den dezenten Bittertönen des blanchierten wilden Broccoli. Wie bewundernswert der Umgang mit Materialien und Zutaten ist: Dazu gibt es eine Vinaigrette, in der Piment Öl und Balsamessig, aber auch die Stiele der Trompeten-Eierschwammerl eine Rolle spielen. Nur der ewig Suchende findet Kombinationen wie diese.

Dann der Hammer: Puntarelle, mit Dampf behandelt, dass sie vor Saftigkeit (und Aroma) zerbersten, später noch glaciert. Angerichtet auf einer Creme aus Süßkartoffeln und Sanddorn (gute B12 Vitaminquelle für Vegetarier, wie auf den Küchenzettelchen vermerkt ist, die der Service vor dem Auftragen der Teller dezent einstellt). Die Kombination von der Chicoree-Artischoken-artigen Bitterkeit der Puntarelle und dem Rest, also Süße, Frische (Brunnenkresse), Salz (Kapern) und knusprigen Süßerdäpfeln - dankbar ist man, dass das Essen im Sitzen eingenommen wird. Ein Teller wie dieser wäre geeignet, den Esser ergriffen zu Boden sinken zu lassen. Manche schreien auch laut. Ist wohl eine Frage der persönlichen Veranlagung.


Anders als perfekt zubereitet kann man die beiden folgenden Fischgänge nicht beschreiben. Es sind Zander und Atterseehecht. Ersterer wird in Nussbutter confiert und ist von einer lamellenartigen Zartheit. Die Aromen von gelbem Paprika (in unterschiedlichen Ausführungen), geröstetem Quinoa und Walnuss mischen sich zum Zander. Eine in Salz und Asche gegarte weiße (Ur-)Karotte lässt den Gast zum wiederholten Mal das Besteck senken. Kurze Andacht.

Noch besser schmeckt der Atterseehecht, perfekt gebraten, sodass das feste, weiße Fleisch (Attersee-Wasser ist nun mal eines der besten) gut zur Geltung kommt. Und dann Spitzkraut: leicht gepökelt, im Ganzen im Ofen gegart, sowie der herrliche Knollenziest und eine Paste aus gerösteten Pistazien und Knoblauch. Der Hecht ist natürlich ein toller Hecht, doch wiederum sind es die mit so viel Liebe (und Kenntnis) behandelten Beigaben, die begeistern. Wie viel Hirn in diesen Gerichten steckt. Und wie sie daherkommen, ohne auch nur die geringste Spur der Eitelkeit.
Weil Winter ist, gibt es im Steirereck auch Perigord-Trüffel. Sie wurde eigentlich aus zwei Gründen erfunden, die Perigord-Trüffel. Einmal, um mit Madeirasauce und Gänseleber zu einem Glas Château Yquem verspeist zu werden. Zweitens als Bereicherung einer Kombination aus Schwarzwurzel und Kokos (!), die als Creme wie auch in knuspriger Form serviert wird und von einem Powidl aus zehn Tage lang langsam gekochten Haus-Zwetschken kontrapunktiert wird, der am Schluss mit etwas Chili den letzten Schliff kriegte. Ich sage es eigentlich ungern, aber Verwendung Nummer 2 der Perigord-Pretiose ist mir an diesem Mittag die liebere.

Die leicht säuerliche Haferwurzel, in Entenfett gebraten, begleitet das Entenklein, das durchs Pökeln seine leuchtend rosa Farbe erhielt und später confiert wurde. Eine der Lieblings-Zitrus-Früchte Heinz Reitbauers, die Buddha-Hand-Zitrone, tut hier als Einlegearbeit einen erfrischenden Dienst.

Wildhasen gibt es auch. So wie er auch am Feld sich dem Spaziergänger nicht auf den Weg wirft, versteckt er sich auch hier. Unter einer delikaten Creme aus Kerbelwurzeln stecken die bereits am Rande des Zerfalles zarten Wildhasen-Vorderläufe. Manche Gästen sollen, so erzählt man sich, verzweifelt nach dem "Fleisch" gesucht haben und als sie es in Form der Rosa Bianca Melanzani (oh, wie gut, ah, wie herrlich) vermuteten, leicht verwirrt nach dem Ober gerufen haben.

An der Stelle gehört übrigens dem Weinservice unter Adi Schmid und Manuel Andrack das ausgesprochen, was diese beiden Weinmenschen verdienen: Höchstes Lob.

Der Käsewagen bleibt diesmal in der Garage, es gibt gebrannte Rohmilch, Quitte in Fruchtform und als Kuchen, eine Vitaminbombe aus Cido Quitten und  Lavendel und eine Information für alle Interessierten an der Geschichte der Genesis. "Eva hat Adam wahrscheinlich nicht mit einem Apfel, sondern mit einer Quitte gelockt." So steht es auf den kleinen Info-Zettelchen, die man keineswegs geringachten sollte, enthalten sie doch eine Menge Wissenswertes über die Welt.

Ein irre gutes Malzsoufflé am Ende. Einmal muss leider Schluss sein. Es kommt in Begleitung von Abate Fetel Birne mit kandierter Schönbrunner Orangeade, abgerundet mit Orangenthymian. Und wenn ich in meinen Leben jemals zuvor ein Sorbet aus Soraronia (eine Art der Esche, deren Beeren leicht an Vogelbeeren erinnern) und Birnen hatte ... nein, ich glaube nicht, dass ich das jemals irgendwo gehabt habe.

(ar)

Samstag, 11. Januar 2014

Sherry mit Perlen

Ein Leben ohne Champagner ist möglich ist, aber sinnlos. Sagte Loriot, auch wenn er verklausuliert das Wort Mops statt dem Namen des Schaumweins verwendet hat. Als Alternative zwischendurch nehme ich gerne den herrlichen Winzersekt von Willi Bründlmayer, der meines Empfindens nach von Jahr zu Jahr feiner und besser wird. Als nahezu schockierend gut erlebte ich zu meiner Überraschung und Freude am Neujahrstag einen Sekt, den der Winzer Gerald Malat aus dem Keller holte, um den Durst einer Spazierrunde zu löschen, welche es abends nach einem Marsch über die Feldwege nach Palt verschlagen hatte.

Die Flasche trug ein dunkles Kellermäntelchen wie Batman und sah somit saus wie ein Bote der Finsternis im dicken Mantel aus Kellerschimmel. Schließlich stammte die Flasche auch aus dem Jahre 1976, dem Geburtsjahr von Malats Tochter und war außerdem der erste Jahrgang des Sektunternehmens der Familie Malat überhaupt. Wir schauten ganz schön und dachten an nichts. Doch viel besser als nichts war dieser Sekt, der sich nicht gerade jugendlich frisch, aber in beträchtlicher Form zeigte. Staubtrocken, leicht oxydiert und somit sherryartig wie aber auch weit von dem entfernt, was man als pensionsreif bezeichnen würde. Da waren gedörrte Äpfel im Glas, Töne von Rosinen und der Duft eines Einbaukastens, in dem der Onkel jahrzehntelang seine Rums, Schnäpse und Liköre aufbewahrt hatte. Und: es perlte ganz schon jugendlich der alte Herr.

Malat holte dann noch dies und das aus dem Keller, auch einen feinen Burgunder 1988 und nicht nur, dass diese Weine Vergnügen bereiteten wie das Konzert unter Barenboim. Ich lachte wieder einmal leise vor Freude über die Erkenntnis der Tatsache, dass so gesehen auch die alten österreichischen Hadern in meinem eigenen Weinkeller nicht automatisch zu einem Griechenland im Glas werden müssen werden.

Kinder, Kinder

Muss man mit Kinderwägen Champagnerbars entern, soll man Fünfjähjrige auf den wackeligen Regalen enger Delikatessenläden parken? Die Frage stellten sich viele von uns in der Vorweihnachtszeit. Im Glitzermonat Dezember trifft man nicht nur viele so genannter Zeitgenossen mit Lions-Punch-Pappbecher-Geruch in  der U-Bahnstation, gefühlte ebenso viele tragen auch ihre Nachkommenschaft wie eine Trophäe mit sich. Wollen sie damit der Welt sagen: Seht her, Weihnachten ist da, und wir haben Kinder. Echte Kinder, während immer mehr Looser wie ihr sinnentleert und frustriert vor dem Weihnachtsbaum mit euren Stofftieren Stille Nacht singen werdet?

Wer jetzt eine Philippika gegen die Öffentlichmachung des Familienstandes von Gästen in Bars oder Restaurants erwartet, wird leider enttäuscht. Wäre zu billig und das Billige ist an dieser Stelle so erwünscht wie, sagen wir, Maschinensemmeln zum Frühstücksei. Denn die Chance, dass aus einem kleinen jungen Herren, der im Kinderwagen ohne sich dessen noch bewusst zu sein, den Sound von perlendem Jahrgangschampagner im Glas wahrnimmt, später einmal ein großer und guter Trinker wird, ist doch bedeutend größer als wenn er statt dessen den Lärm der Rapidfans am Fußballplatz injiziert bekommt. Wenn derselbe junge Herr (und gleiches gilt für die junge Dame) im kleinen Wurstgeschäft den Duft einer Fenchelsalami ins Geruchsgedächtnis implanitert bekommt, ist das auch besser als der Gestank der Fertigfritten bei McDonalds. Oder sagen wir lieber Salamifertigpizza, denn das Hinhauen auf McDo ist auch billig mittlerweile.

Vor kurzem saß ich bei den Obauers in der Nachbarschaft einer kaputzenpulloverigen Familie aus Russland. Der Winzling schrie. Papa nahm ihn in die Arme und drückte ihm ein Busserl auf den Nacktschädel. Papa hatte gerade einen Branzino mit Treviser Radicchio verspeist hatte und war sehr entspannt. Der Bub beruhigte sich augenblicklich. Er war noch viel zu einer von den Großen, um beispielsweise die Obauer Wienerschnitzel (mit Frites) würdigen zu können wie es die beiden Schwestern taten. Dennoch: Der Kleinste wird  vielleicht eines Tages wiederkommen und statt Schnitzel Kalbskopf "Rudi Bayr" bestellen. Eine erwachsene Portion. Und dazu nicht Cola, sondern eine Flasche Ruilly.

Frittatensuppe bei Sepp Schellhorn

Gewarnt von den Winterunfällen von Frau Merkel, der Schotterbaronin und des deutschen Autoweltmeisters meide ich Schnee und Glatteis und verbringe ein paar Tage in Goldegg, wo gerade Ostern ausgebrochen ist. Spaziergänge über die Tundra des Golfplatzes und saftig-knatschige Wiesenwege erscheinen mir gerade das Richtige zu sein, um mich in der Champagnerluft zu zerstreuen und mir Appetit anzugehen für die Oma-Küche, welche gerade nach Sepp Schellhorns Laune ist, der die Seehof-Küchenmannschaft dirigiert, wenn er nicht gerade politische Karrieren begründet, hinschmeisst oder touristische Initiativen ins Leben ruft.

Dass Susi Schellhorn von alldem relativ unberührt bleibt, muss am Rande bemerkt werden und wie gut das dem Betrieb tut, davon können die Gäste des Goldeggers Seehof ein Volkslied singen. Gute Hotels sind gut, aber zu den besten Hotels werden sie durch die Präsenz der Gastgeber. Mir kommt aber vor, dass ich das an dieser Stelle schon oft gesschrieben habe und weil ich niemanden langweilen will und am allerwenigsten mich selbst, komme ich zur Sache, zum Essen.

Herr Schellhorn hatte nie besonders viel übrig für die "Laubsägearbeiten" berühmter Kochkollegen, wie er sie nennt. Die Einfachheit, die er jetzt zur Winterszeit pflegt, ist hingegen fast schockierend, aber nach einer kurzen Eingewöhnungsphase bestechend. Wie man es bei der sprichwörtlichen Großmutter gehabt hat (oder vielmehr gerne gehabt hätte), beschränkt sich die Schellhorn-Küche auf das wenige Notwendige, das eine warme Mahlzeit ausmacht. Zwei bis drei Komponenten pro Teller, das ist das Höchste der Gefühle. Mehr geht nicht, echt nicht, wie die Literaten von in der Fernsehwerbung sagen.

Omchen Sepp backt, schmort und brät wie gewohnt die Innereien vom Pinzgauer Kalb, serviert also ein göttliches Kalbshirn, welches nach Kuhstall schmeckt und keine Zweifel daran lässt, dass diesem Kalb ein halbwegs akzeptables Leben zuteil wurde. Kalbszunge mit einer substanziellen Sauce und Erdäpfelpüree, ein Schulterscherzel in dunkelschwarzer Sauce mit Polenta oder ein Spanferkel mit Kraut und kleinen Erdäpfeln sind ganz Großmutter auf dem Teller. Die Art, wie man in Kürze ein Bauernhendl im Ganzen saftig und knusprig brät, haben die Schellhorn-Köche nicht von Oma und schon gar nicht von Opa, sondern vom großen Jörg Wörther.

Der genannte schmorte schon Lamm, dass es den Gästen anders ging, nämlich besser. Und sein Schüler richtet Schlägel, Stelze und Filet (inklusice Fettrand) auf Selleriepüree und Natursaft an, dass kein Wunsch offen bleiben kann außer dem, dass der offene Blaufränkische von Dorli Muhr möglichst zügig nachgeschenkt wird, was er wird. Frittatensuppe gibt es dann natürlich auch, ebenso wie ein anständiges Schnitzel. Der Thomas-Bernhard-Fan Schellhorn will sich nicht nachsagen lassen, dass die Frittatensuppe in Goldegg schlechter wäre als die in Utzbach.