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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Sonntag, 6. September 2015

Die besten Erdäpfel, die beste Butter

Wie viele Erkenntnisse und Errungenschaften verdanken wir Menschen dem schieren Zufall? Es müssen zahllose sein. Newton, Einstein, Escoffier. Man kann sich schwer vorstellen, dass ihnen Gesetze, Formeln oder Saucenrezepte kamen, indem sie einfach angestrengt auf ein weißes Blatt Papier (oder in eine Pfanne) starrten.

Auch kleine und allerkleinste Erkenntnisse sind Ergebnisse ungeplanten Miteinanders.

Ich briet mir kleine, halbierte Erdäpfel, wie man sie nur in wenigen Gemüseländen, aber zum Beispiel überraschenderweise bei Spar bekommt, nachdem ich sie 25 Minuten in Wasser gekocht hatte, mit ihrer zarten Schale in gesalzener Rohmilchbutter und legte einen Zweig Rosmarin dazu. Keine Frage, ein in vielen Haushalten sicher schon oft geflogenes Ritual. Und damit auch nicht der Erwähnung wert, doch hier kommt das Phänomen Zufall ins Spiel.

Wie er nämlich so spielte, befand sich die zum Braten verwendete Bueurre Demi Sel am Esstisch, als ich die Erdäpfel zum Lamm aß. Sie kommt von Bernard Antony, welcher als einer der besten Käse-Affineure wenig überraschenderweise auch hervorragende Butter anbietet. Sie musste da stehen, weil ihr Anblick im schlichten Butterpapier mit dem Antony-Logo ein derartiger Schmaus fürs Auge ist.

Und dann die Idee: Die heißen, knusprigen, gerade aus der Pfanne geholten hErdäpfel, die mit der gesalzenen Butter eine an sich bereits nobelpreisige Verbindung eingegangen waren, noch einmal mit einer Scheibe der kühlen Butter zu krönen und sich das Ganze in den Mund zu stecken. Herrlich. Und sicher nicht neu. Wenn auch mit diesen

Natürlich ist der Hausarzt nicht der lauteste Befürworter solcher vorsätzlicher Verstöße gegen das Low-Carb-Gebot. Doch er mag sich beruhigen.

Maitre Antonys Bueurre Demi Sel gibt es in Österreich nur in einem Laden zu kaufen, nämlich bei Marco Simonis in der Domenikanerbastei in Wien. Und es mit einer anderen Butter, mit anderen Erdäpfeln versuchen?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu einem vergleichbaren Ergebnis käme. Die Probe mit heimischer Rohmilchbutter ist es mir allerdings sicher demnächst einmal wert.

Montag, 3. August 2015

Zwei Sardinen in der Bretagne

Am Cap de Frénel das große Naturschauspiel. Die spektakulären Klippen am Meer erinnern an eine riesenhafte Scheibe Landbrot, die von der Natur in zwei Teile gebrochen wurde. Der eine Teil hier, in der nördlichen Bretagne, der andere in England oder Irland. Millionen von Jahren ist es her, als der Riesenkontinent in zwei Teile brach und seither den Besuchern der Nordbetragne ein packendes Szenario bietet. Wie überall, wo es große Leuchttürme gibt und ebensolche Parkplätze für die weit angereisten Besucher, ist allerdings das kulinarische Angebot schmal.

Das einzige Restaurant auf dem Plateau (es hatte eine märchenhafte Aussicht) hat geschlossen und wird in Kürze platt gemacht, um einem Aussichtsplatz zu weichen. Wahrscheinlich eh eine gute Idee. Touristenorte und gutes Essen vertragen sich nicht.

Doch der Mensch - siehe Brot - muss essen. Und es lebt der Mann nicht vom Brot allein (die Frau übrigens auch nicht). Er möchte es schon wenigstens mit der berühmten Bordierbutter aus St. Malo bestreichen, lieber aber noch mit Rilettes aus Sardinen oder zu einem Dutzend Austern genießen.

Gegen Mittag breche ich auf Richtig Dinard, nach guten eineinhalb Stunden des Spazierens, des Lauschens der Brandung und des Kreischens der Möwen. Auch die haben übrigens ständig Hunger und unternehmen abenteuerliche Flüge, um den Touristen das Pausenbrot zu stehlen.

Das Örtchen Saint Briac scheint wie geschaffen für einen guten Mittagstisch. Doch alle in den diversen Restaurantguides gelobten Restaurants (deren sind es nicht wenige) haben an einem Tag gleichzeitig geschlossen. Das nennt man dann Kartellbildung. Im Schritttempo durchs Ortszentrum bemerke ich einen kleinen Laden, der mich in Sekundenschnell anspricht: "Probier's doch mal."

Der Name "Les Deux Sardines" klingt ebenso hübsch wie vielversprechend, die kleine Trasse mit Fermob-Möbel und die jungen Leute im Service laden ein. Platz ist nur noch im ersten Stock. Und gleich wird klar, warum das kleine Bistro, in dem es ausschließlich Fisch gibt, so gut besucht ist.

Mittags gibt es zwei Menüs, das eine um 15 (!), das andere um 25 Euro. Die frischen Rilette von Sardinen mit knusprigem Landbrot sind besser nicht vorstellbar. Beim Salat mit kleinen und größeren Muscheln, einer Auster und etwas Hummerfleisch sowie Orangen fällt neben der Topqualität der Produkte die sichere Hand beim Würzen der Marinade auf. So etwas erlebt man doch eher selten.

Der gebackene, in Backpapier servierte Kabeljau mit hausgemachten, handgeschnitzten und ungeschälten Fritten ist großes Fischkino. Die Rougets mit einer Creme aus Feta und Basilikum und Stampferdämpfeln sind nahezu perfekt. Und wieder die Würzkunst! Die kleinen Fische sind mit einer Mischung aus Pfeffer bestreut und ich denke nicht mehr, dass es der Zufall war, welcher diesen Teller so gut gelingen ließ.

Die Desserts kommen in einfachen Wassergläsern, darunter eine himmlisch gute Mischung aus Schokolade und Karamell. Der Menetou Saumon kostete 23,- die Flasche. Als ich der jungen Küchenchefin meine Entzückung nicht verhehle und wir ins Gespräch kommen, erfahre ich, dass sie eine Zeitlang bei Olivier Rollinger in Cancale gearbeitet hat. Somit ist alles klar.

Rollinger gilt als Meister der Gewürze und betreibt neben gemeinsam mit seiner Frau Jane Hotel und das Restaurant "Coquillage" und außerdem einen Gewürzehandel. Das Restaurant seiner Exmitarbeiterin, deren Freundin/Kollegin gleich nebenan ihr eigenes Restaurant betreibt, würde Monsieur Rollinger vermutlich gefallen.

Les Deux Sardines
2, bd de la Houle
35800 Saint Briac
Tel.: 00 33 (0) 9 80 83 44 04

Samstag, 11. Juli 2015

Kein Küchen-Benjamin

Benny Parth kennt alles, weiß alles, war schon überall. Obwohl er erst 27 Jahre alt ist und noch jünger aussieht  - das macht die Bewegung in der Paznauner Bergluft - hat er schon einiges gesehen und geschmeckt auf der Welt. Vor allem abgeschmeckt hat er, unter anderem in der Küche bei Heinz Winkler, der als Ausnahmekoch in Saucen-Angelegenheiten gilt.

Wer also ins Paznaun pilgert, vielleicht um am kulinarischen Jacobsweg auf vier Berghütten von Sterne- und Haubenköchen entworfene elegant-alpine Stärkungen entgegenzunehmen, sollte den Besuch im "Stüva", dem Restaurant des liebenswert familiär geführten Hotels Yscla dringend in Erwägung ziehen. Bei Benjamin Parth isst man durchaus nicht im Vorübergehen.

Die Menüs - und nur solche werden angeboten - sind komplex ineinander verwobene Kompositionen, spannend im Aufbau, durchwegs fordernd in ihrer Darbietung. Als kleinen Begrüßungshappen serviert Benny Parth eine kleine, blau gekochte Forelle (weiß der Teufel, wo er diese Dinger herkriegt und nicht einmal der Teufel will es vermutlich wissen) mit heißer Butter und einem hochgebutterten Kartoffelpüree und nicht nur dieses Püree ist, was mich bei diesem Gang an Robuchons Atelier in Paris erinnert und kurz freudig ausflippen lässt. Die Forelle wird es anderntags noch einmal geben - mit einer perfekt gemachten Champagnersauce und Kräutern und winzig geschnittenem Chili. Auch das ein außergewöhnlich packender Teller.

Parth ist Purist und es gibt wenige Restaurants auf diesem Niveau, die sich dem Gast so nackt präsentieren.  In den "Stüva" ist nichts außer Holz (Tisch), Glas (Wein) , Licht (klar) und Stoff (Servietten). Dafür fesselt, was in schmucklosen, aber spür- und sichtbar teuren Tellern auf den Tisch kommt, umso mehr die Aufmerksamkeit.

Ein Thunfischtatar mit Kaviar und Zitrusschaum kann man nicht so nebenbei essen, gleiches gilt für eine perfekt konsistente Tomatenmousse, ebenfalls durchaus mutig mit Kaviar (Grüll, Salzburg) kombiniert. Ein Hucken-Carpaccio plus Tatar erscheint neben diesen beiden Atombomben vergleichsweise etwas blass, vielleicht auch sogar erholsam, denn gleich geht es mit einer Consommé mit Langostino-Dim-Sum weiter. Natürlich muss man gut sein, um das hauchdünne Teigtascherl so zu timen, dass das Schalentier nicht zu viel Hitze abbekommt. Konzentriertes Löffeln, zustimmendes Nicken am Tisch.

Die Curry-Sauce, die zu den Flußkrebsen kommt, ist große, klassische Schule und auch hier wieder beeindruckt Benny Parth, indem die Sauce keine Spur von Butter oder Gewürz zuviel abbekommen hat, einfach der gerade, der ideale Weg. Ein winziges Stück Gänseleber mit Kirsche und einer an der Grenze zur Süße nur in Millimetern entfernt vorbeigekochten Sauce, wieder andächtiges Löffeln. Dann gibt es Rind, das vor den Augen des Gastes fast zerfällt, so zart und mürb ist es. Das Rind kommt in Begleitung von in einer Sauce pochierten Markscheibe und einer gefährlich und gleichzeitig köstlichen winzigen Erdäpfel-Butter-Burg.

Am nächsten Tag macht die Küche Kalb von einem Bauern aus dem Nachbarort, das Filet und es schmeckt so überzeugend gut, dass man versteht, weshalb die Küchenchefs von Niederösterreich (Dorfer) bis München (Haas) nach dem Kalb aus Tirol gieren. Besseres scheint es nicht zu geben. Besser kann man das zarte Zeug aber auch nicht zubereiten. Ach ja: Da war noch ein Lammbeuschel, das klassische Rezept intelligent verfremdet, indem es in einer würzig-intensiven Suppe serviert wird. Sehr gut. Fordernd durchaus.

Der Käse kommt von Bernhard Antony, dem Affineur-Genie. Wie überhaupt sich Benny Parth um Regionalismus wenig schert. Hummer für die Gäste? Warum nicht. Rind von Otto-Gourmet? Aber sicher. Kirschen aus Kalifornien? Wenn sie besser sind, gerne.

Bei den Desserts wird dann ganz das Kosmopolitentum zeitgemäßer Patisserie aufgetischt. Hier spielt gerade Matcha ebenso eine Rolle wie das Nebeneinander von Knusprig, Gefroren und Getrocknet. Doch Achtung: Wer glaubt, dass dieser Koch nicht auch ein Topfensoufflé im Idealzustand hinkriegt und dazu die perfekte Passionsfruchtsauce serviert, kann sich im "Stüva" eines besseren belehren lassen.

Alfons Parth, weitgereister Gourmet, Hotelier und Initiator des Jacobswegs, hat sich für eine Weinkarte ein paar schöne Flaschen nach Ischgl bringen lassen. Er hat ein gutes Verhältnis zu den Weinen von Roland Velich. Das spricht für einen guten Geschmack und die Idee, noch eine weitere Flasche zu trinken.

Bei gutem Wetter, also mit etwas Glück, auch auf der wunderbaren Terrasse des "Yscla", die dieses Jahr vermutlich mit einem Rekord an Wärmestunden aufwarten kann, was zum langen Hockenbleiben verlockt. Das kann man hier auch problemlos:  Im Hotel warten nach Holz duftende, mit allem Komfort eingerichtete Zimmer. Einer der liebenswertesten Familienbetriebe im Ort, zweifellos.




Montag, 29. Juni 2015

Allergen Amuse Bouche

Alles Gute kommt von oben. Wer hat sich den blöden Satz ausgedacht? Von oben kommt meistens Regen und den finden Pflanzen gut, leider aber auch Nackt- und andere Schnecken. Die Wirte und ihre Gäste im Salzkammergut finden Regen wie alles, von dem es zu viel gibt, entbehrlich.

Von oben kommen auch lächerliche Verordnungen wie die über die Kennzeichnung der Allergene auf Österreichs Speisenkarte. Seit einem halben Jahr muss ich, wenn ich Wiener Schnitzel lese, nebenbei auch eine Buchstabenfolge zur Kenntnis nehmen, die mich weder interessiert noch meinen Appetit anregt.

Österreich hat wieder mal gezeigt, wer in Europa der wahre Musterschüler bei der Befolgung von Ideen und Vorschlägen der Kommission ist: Österreich. Das Rauchverbot sind wir schlampig angegangen. Aber sonst immer vorne dabei.

Auch den österreichischen Gastronomen dämmert es langsam, dass wir das einzige Land in  Europa sind, das auf absehbare Zeit Buchstabenfolgen auf den Speisenkarten der Restaurants befiehlt.

In Frankreich ist davon keine Rede, in Deutschland wird die Verordnung, wie ich höre, zögerlich umgesetzt. Die Italiener würden lachen, wobei sie oft für Überraschungen gut sind. Holländer, Spanier und Belgier ignorieren nicht einmal. Die Griechen haben andere Sorgen.

Im Steirereck gab es die Buchstaben seit Mitte vergangenem Dezembers wie auch im Landhaus Bacher und anderen Spitzenrestaurants. Schöner sind die Speisenkarten seither sicher nicht geworden. Aber Schönheit ist dem Beamten auch ohne Relevanz. Jetzt haben sich Heinz Reitbauer und sein Team eine subversive Reaktion auf die auch bei Ärzten umstrittene Verordnung einfallen lassen. Seit kurzem gibt es dort 14 Allergene als Amuse Bouche und - hey - ich habe es überlebt.

Was auf Holzbrettern in Löffeln, Schälchen, Tiegelchen und Austernschalen serviert wird, ist das Ergebnis genialischer Tüftelei. Es hat das Zeug, in Europa zum Gespräch zu werden. Wie immer im Steirereck geht es neben der Idee vor allem um den Geschmack. Vom Hummer gibt es eine Mini-Leber, mit knuspriger gelber Rübe und Liebstöckel. Ein Entenei kommt mollig cremig mit Bachkresse und man hätte gerne einen Eimer davon. Es gibt Erdnüsse mit Rhabarber, Saiblingshaut mit Kohlrabi und Tamarinde.

Joghurt kommt mit Erbsen, Minze und Schwarznessel. Staudensellerie wird mit Verjus und Wermut Salz eingelegt auf einem Staudenselleriebaum serviert. (Bitte den Baum nicht essen, empfiehlt der Service. Man kann den Gästen ja nicht trauen.)

Sesam kommt mit Mairüben und Maiwipferl. Gebeizte Gurke mit Kren und Holunderblüten. Viel besser als Austern ist eigentlich Austern-Ozon, ein geeistes Austern-Wasser mit Austernblatt und ordentlich Zitrus. Nächstes Mal bestelle ich davon gleich ein Dutzend.

Im Steirereck isst man nicht nur Allergene, sondern auch vieles andere auf höchstem Niveau. Und wieder einmal kommt es dem Gast vor, dass die Küche schon wieder besser geworden ist. Reitbauers Kreationen sind dichter, komplexer in der Zubereitung, aber so intelligent einfach in ihrer Darbietung. Junger Sellerie kommt mit Erbsen und Verpenne, dazwischen Haselnüsse als knackiger Kontrapunkt und ein Sellerie-Zitrus-Saft mit Pfefferoni - was man im Sommer braucht.

Zum mit Kaffee gebeizten Lammschopf gibt es einen Saft aus Paradeisern, Erdbeeren und Monarden. Wie frisch und gut das ist! Lammkutteln schlingen sich um jungen Mais, fette Henne (kein Huhn, sondern ein Kraut) und Blattkohlstielen.

Und René Antrags Getränkeempfehlungen sind ein Knall des Einfallsreichtums und der Erstklassigkeit.   Wein zum Käse? Wie fürchterlich demodé ist das denn! Antrag serviert Fruchtsaft und Bier - so mancher Käse fühlt sich erst jetzt richtig verstanden.

(ar)



Mittwoch, 17. Juni 2015

Über The Jane in Antwerpen

Leichter findet man sich im Urwald zurecht als bei den Methoden und Tricks, wie ein  hungriger Gast in den angesagten Restaurants der Welt einen Platz kriegen kann. Die normale Methode beispielsweise beim gerade besonders hippen "The Jane" von Sergio Herman in Antwerpen wie auch beim nicht minder gefragten "Noma" in Kopenhagen lautet ja, es übers Internet in einem bestimmten Slot zu versuchen, an dem die Plätze für die kommenden Monate gebucht werden können.

Unglücklicherweise sind diese Slots sehr klein und wie durch ein Wunder alle  Tische innerhalb von zehn Minuten ausgebucht. So wird es erzählt, ich selbst verlasse mich auf eine andere Methode.

Mit dem Buschmesser kommt man nämlich mitunter schneller ans Ziel. Das Buschmesser besteht nicht aus Stahl, sondern aus Freundschaften, Glück und Gelassenheit. Freundschaften können helfen, denn da das Restaurantgeschäft nicht von Computern, sondern vornehmlich von menschlichen Wesen bestritten wird, kennt der eine jemanden, der jemanden kennt und schon bist du auf der Warteliste vorne gereiht.

Das kann klappen oder auch nicht, was die beiden anderen Komponenten Glück und Gelassenheit ins Spiel bringt. Letztere ist besonders gut für den Blutdruck und dabei geht es oft um wichtigere Dinge als ein Mittagessen in einem angesagten Restaurant.

Muss man überhaupt in angesagte Restaurants? Reichen nicht auch Kutteln im Bistro oder Beisl ums Eck? Wer sich für Essen und die aktuellen Entwicklungen dabei interessiert, kommt an angesagten Restaurants nicht vorbei, es sei denn er bezieht sein Wissen aus  den Geschichten anderer oder es ist ihm oder ihr einfach egal.

Wenn sich der Dschungelkämpfer nun an die Bar, den famosen "Upper Room" des "The Jane" durchgeschlagen hat und kein Urwald mehr den Blick auf die neue Kathedrale der Foodies verstellt (übrigens diesmal mit einer ganz banalen und normalen Online-Buchung, drei Personen auf meinen Namen), wird er sich die Frage stellen: Hat sich die Mühe ausgezahlt? Ist das "Upper Room" des "The Jane" ein Ort, an dem man außer gut essen auch etwas über gastronomische Entwicklungen lernen kann? Vor allem aber: Wird es schmecken?

Diese Fragen können und müssen jedenfalls mit "Ja" beantwortet werden. Schon die Auswahl der Location, einer Kathedrale-artigen, aufgelassenen Kirche in einem außerhalb des Stadtzentrums gelegenen, nennen wir es immobilienmäßigen Entwicklungsgebiet, ist eine deutliche Ansage: Wer ein gutes Lokal führt, muss sich nicht um die Lage bemühen, um auf Monate ausgebucht zu sein. Und wie gut Sergio Hermans neues Projekt seit einem Jahr gebucht ist.

Schon das "Out Sluis" war ein Beispiel an Verknappung, aber was "The Jane" angeht, weiß mittlerweile jeder Concierge in Antwerpen, dass es eigentlich unmöglich ist, dort einen Platz zu kriegen.

Auch mittags keine Chance und wir lernen wieder etwas: Das Essen hier ist gar nicht so teuer. Dafür darf man sich allerdings auch keine Show erwarten wie in Hermans altem 3-Sterne-Restaurant, dass er Ende 2013 geschlossen hat, weil er dem Zirkus nichts mehr abgewinnen konnte. Ein Phänomen, dass sich übrigens an immer mehr Orten feststellen lässt. Immer mehr Chefs haben die Nase voll vom Druck eines 3-Sterne-Betriebs und ich vermute, dass es bald in Europa nur noch wenige Plätze geben wird wie ein "L'Hôtel de Ville" in Crissier am Genfer See, wo in einer reichen Umgebung eine große Mannschaft täglich die große kulinarische Oper gibt. Und geben kann.

"The Jane" ist vor allem aber ein mustergültig gelungenes Beispiel für ein Restaurant, dass buchstäblich alle Sinne anspricht. Natürlich ist das Setting atemberaubend. Inmitten der alten Kirche, die fast vollständig ausgeräumt wurde, ein riesenhafter Luster, dessen Arme wie die gestreckten Arme einer Krake in den Raum blicken.

Die Upperbar, perfekt eingebettet in die Umgebung, am Chor der Kirche. Dort kann man den Köchen bei der Arbeit zusehen, es herrscht rege Kommunikation zwischen Service, Küche und Gästen, die sich mit kleinen und größeren Happen stärken und eine ausgeklügelte Getränkebegleitung dazu genießen.

Dass das Licht auch am Tag einmalig ist, mag bei der Erwähnung des Wortes "Kirchenfenster" niemanden mehr verwundern. Musik, ein vielerorts unterschätztes Thema, kommt hier in Gestalt eines schwer definierbaren Sounds, einer Mischung aus dunklen Chören, Elektro, Beats und Bass, vollkommen unaufdringlich, die Ambiance perfekt fürs Ohr aufbereitet.

Im "The Jane" isst man vor allem nach dem Motto "Casual" und man isst auf hohem, bisweilen sehr hohem Niveau. Viele Teller erinnern kaum mehr an das alte "Out Sluis", manche sind so, dass sie damals vielleicht als Bestandteil oder Side-Dish aufgetaucht wären, aber nie als einzelner Gang. Zuwenig Aufwand und Ehrgeiz dahinter. Herman hat damals angekündigt, dass ihm der Aufwand zu viel geworden sei.

Der Gast im "The Jane" verspürt diese Einschränkung nicht als solche, vielmehr freut er sich an der gewonnenen Klarheit, die jeden Teller eignet, welcher übrigens - da kann der Gast beruhigt sein - aus einer ausreichenden Vielzahl an Komponenten besteht, die sich alle auf ausgeklügelte, perfekt exekutierte und harmonische Weise miteinander vermengen.

Das Essen startet mit einer Reihe von Snacks, welche die Ess- und Streetfoodkultur vieler Kontinente zitieren. Geflügelleber mit Nougat ist da und man taucht knusprige (Rosmarin?-) Toastschnitten hinein und sagt "Gott, ist das gut" oder so etwas.

Es gibt herrlichen Schinken aus Spanien, auf knusprigen Broten, die mit Tomaten bestrichen wurden - so gibt es das auch in Barcelona. Sie haben Salami, die in Amsterdam gemacht wird. Es gibt dann auch noch Bun Bao mit Schweinebauch. Eine herrliche Sache.

Dann startet die Küche mit einem Sashimi eines Fisches, dessen Namen ich mir nicht notiert habe, es war jedenfalls weder Thunfisch noch Makrele. Der Fisch wird mit einem Gefrorenen aus Yuzu und mit vielen Blüten serviert und ist jedenfalls Bissen für Bissen ein Vergnügen.

Danach kommt Spargel, richtig weich gekocht und danach kurz gegrillt, dazu roher grüner Spargel. Auf dem Teller noch perfekter, geräucherter Aal auf einem knusprig fettem Brioche sowie ein dunkelgrün schimmerndes Öl aus Kräutern. Dann wird der Teller aufgegossen mit einer cremeartigen Suppe aus Karfiol und Erdäpfeln. Ein weiterer Klecks Grün deutet an, dass wir es hier mit einer Version des Klassikers "Aal in Grün" zu tun haben.

Vom Norden geht es dann ganz kulinarisch weltmännisch in den Süden: Buratta sitzt auf einem genial abgeschmeckten Ragout aus Paradeisern aller Größen, aus Oliven, Crouton-mäßig zubereiteter Chiabatta, unter dem sich einige Scheiben vom butterzarten Polypo finden.

Superteller, keine Frage, aber da geht noch mehr: Ein Gemüsecurry nach einem Rezept von den Malediven hier, rote Linsen da, sowie Joghurt auf grünem Öl (das Öl vom Aal-Gang - ich kann es nicht genau sagen). Dieser Gang steht fast ein wenig über den anderen, so leicht und aromatisch, so unkompliziert und komplex in seinen Aromen ist er. Und wir lernen, dass der vollkommene Verzicht auf Eiweiß und Luxuszutaten keine Einbußen mit sich bringen muss.

Dann ein Klassiker: Taube, einmal die Brust, dann das Haxerl, beides handwerklich hochgradig perfekt, aber kein Gericht, dass eine Geschichte erzählt. Spaß macht es allerdings, zur Taube das kleine Gemisch aus verschiedenen Bohnen zu löffeln, welches in der ausgehöhlten Schale einer Bohne serviert wird. Spaß macht auch das komplette Verputzen der Krallen der Taubenhaxe. Ich nehme From Nose to Tail ernst, diesfalls ist es From Nose to Nail.

Das Dessert, ein frisches Ding aus Schokolade und Cassis, könnte auch in Paris bei LaDurée stehen. Patisserie, abgespeckt. Aber eigentlich trotzdem sehr gut. Was ein Essen im "The Jane" so einmalig macht, ist auch das Trinken.

Es beginnt mit dem Hauschampagner Champagner in retro-artigen Schalen und ich bin gespannt, wie lange wir warten werden, bis die Flöten in den Restaurants wieder ins Archiv wandern und es auch dort wieder Champagner in Schalen gibt, die vor dreißig Jahren mit höhnendem Gelächter verbannt wurden.

Der phantastische Maitre serviert dann mal Vermouth aus dem Piemont, später gleich Sake, bevor es zwischendurch einmal Wein gibt (ein Roter aus dem Piemont), später gibt es Bier, dann noch einmal Wein (Ein Roter aus Spanien) und schließlich wieder Vermouth. Langweilig ist das nicht und vor allem kann niemand behaupten, dass mit einer Getränkebegleitung wie dieser nicht der Nagel auf den Kopf getroffen wäre.

"The Jane" ist kein Restaurant für hungrige Dschungelkämpfer oder Paleo-Fans, sondern vielmehr ein Ort des lässigen Defilées urbaner Eleganz. Anzug und Krawatte haben bei den männliche Gästen längst ausgedient, was zum Konzept gehört und die Reinigungsfirmen einiges an Umsatz kosten wird. Sergio Herman und seine Mitstreiter haben etwas Einmaliges geschaffen und gerade deswegen hoffe ich, dass nicht alle Lokale in Europa in den kommenden Jahren so aussehen und auftreten werden.

(ar)

Mahlzeit in Mailand

Die elegante Stadt hat wenig vom Flair des alten Italiens. Eleganz ist vorhanden und zwar in großem Stil, aber es ist nicht die trotzige Eleganz des Südens. Und es fehlt natürlich auch die jahrtausende alte Geschichte eines Roms oder Palermos. Es ist die unvergleichliche italienische Eleganz des Reichtums, von dem Mailand geprägt ist. Vom fesselnden „Letzten Abendmahl“ abgesehen, für dessen Besichtigung man sich Tage vorher für eine bestimmte Zeit anmelden muss, gibt es hier weniger Augenfeste als in anderen Städten. 

Die Mailänder Scala ist natürlich immer den Besuch wert. Vor allem für Fans von Alexander Pereira, die von ihm in Salzburg nicht genug kriegen konnten. Dass Mailand kulinarisch uninteressant wäre, kann man nicht behaupten. Welche italienische Stadt wäre das schon? Die Mailänder haben das Geld, um gut zu essen und weil das Angebot da ist, geben sie es auch mit vollen Händen aus. Die Restaurants und Bars der Stadt sind voll, auch am Wochenbeginn.

Gracco Peck
Eines der bekanntesten Sterne-Lokale Mailands ist Gracco Peck nur ein paar Schritte vom imposanten Dom entfernt – ein Starkoch in einem Restaurant, gleich ums Eck von einem der bekanntesten Delikatessengeschäfte Italiens. Bei Peck in Milano Würste, Käse, Trüffel und anderes einkaufen – ein Must. 

Nicht aber das Restaurant. Vielleicht spürt der Instinkt des wachen Auges den kleinen Reinfall, der sich andeutet, als erster: Da ist eine Horde an schlecht gewandeten Serviceleuten - darunter wiederum die Damen bei weitem am elegantesten und das in der Stadt des Stils - Mailand, wo sogar die Polizei in der Innenstadt in gebügelten Armani-Uniformen auftritt. 

Das Restaurant im Sousterrain ein architektonisches Werk aus den Neunzigern, mehrstöckig, leider ohne den bezwingenden Charme eines Tantris. Die Preise sind saftig, besonders bei den Getränken wird ziemlich schamlos in die Brieftasche des Gastes gelangt. Unentschlossen wirkt, was die Küche sich überlegt hat, bereits zum Beginn des Essens . 

Einmal klassisch betuliche Minihappchen zum Apero, dazu getrocknetes Gemüse in einem durchsichtigen Plastikgefäß, recht witzig, sowie knuspriger Reis, Algen und Kräuter nach der Methode japanischer Küche - hier blitzt eine Idee auf. Wie schön, denkt der Gast. Russischer Salat, also drei Erbsen und Mayonnaise in einer knackigen Karamellhülle, ganz nett, detto weisser Spargel mit schwarzen Trüffel, der ein recht voluminöses Aroma hinglegt. Highlight: die roten ligurische Garnelen mit Yuzu und Pistazien aus Sizilien. 

Auffallend, dass die rote Rübe Hochgastronomie selbst in Italien unvermeidlich ist. Großartig die Spaghetti aus Eidotter mit Makrele, Broccolicreme (banal) und bloss einer Nano-scheibe Chili, der eine punktgenaue Schärfe verströmt. Essen mit Spassfaktor - und dann doch ernsthaft in Qualität und Ausführung. Dem Risotto- ohne Risotto geht es in Mailand nicht -  wurde nach den ersten eineinhalb Minuten des Röstens schwarzer Sesam zugefügt, beides wird in einer fast radikalen Knackigkeit serviert, perfekt. Darauf Blüten und Sprossen, ein Pulver von Kräutern (eventuell auch Grünem Tee?), sowie Entenzungen, mehrere Zeilen für einen extrem komplexer Gang und aus praktischer Sicht dazu soviel: Man muss die Gier schon zügeln, dass man nicht alles auf drei Löffelportionsn in sich  reinschaufelt. 

Dann ein kompletter Schwenk in der Stilistik: Lamm vom Rost. Jeder Bissen Irrsinn, eine Antithese zu den Gangen davor. Eh auch , vielleicht wandelt die Küche einfach gerne zwischen den Welten und sieht das als Konzept. Danach aAvocado-Banane-Lakritze, wir dürfen beim Essen die Zähne wieder von ihrer Aufgabe dispensieren. Das nächste Dessert eine unfreiwillige Satire: Mascarpone und rote Rüben , dazu die lächerliche schwarze, parfümiert wirkende Trüffel. Das war’s. Die beste Pointe kommt zum Schluss als der Ober die  Frage, woher der angebotene Grappa (Flaschenaufschrift: Grappa) herkommt, nach kurzem Nachdenken freundlich beantwortet: „Aus Italien.“


Camparino
In der Galeria neben dem Dom finden sich nicht nur einige Flagshipstores italienischer Modekaiser. Man kann dort auch recht gut mit einem guten Aperitif pausieren. Sehr stilvoll und mailändisch tut man das im Camparino, wo sie einen Campari-Soda so hinkriegen, als würde im Hintergrund ein Adria-Schüler mixen. Geniale Temperatur, perfekter Mix, kleine Crema wie bei einem gut gemachten Café. Das Lokal gilt als Aushängeschild des Campari-Konzerns, der es vor einigen Jahren um nicht wenig Geld gekauft hat. Aber wie gesagt: Geld ist nicht das Thema in Mailand.

Savini
Das kriegt man auch beim Blick in die Speisenkarte des legendäten Savini mit, einem Kult-Lokal ein paar Schritte weiter vom Camparino entfernt und nur wer vorher schon ein halbes Dutzend Aperitifs hatte oder mehrere Ölfelder sein eigen nennt, wird die Preise des Savini mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen. Und sich weder über das bestenfalls brave Essen und den langsamen Service ereifern.

Papermoon
Wer wach und gut informiert ist, hat ohnehin seinen Tisch im Papermoon gebucht. Eine lustige Vereinigung von Restaurants in mehreren Städten. Doch die Mailänder Ausgabe vermittelt den Eindruck, immer schon hier gewesen zu sein und war das wohl auch. Hier ist der entspannte Wohlstand einer Gesellschaft zu spüren, der weder Protz noch Catwalk braucht. Die Servicemannschaft ist blendend disponiert und sogar die Crissini haben große Klasse – sie kommen von einem Bäcker am Land, wie uns der Chefober versichert. 

An den Nebentischen Habitués aus der Gegend, die sich auch mit dem Glas und einem Teller Pasta zufrieden geben. Man übertreibt es nicht. Phantastisch ein Salat aus dick geschnittenen, rohen Artischocken mit Parmesan. Spaghetti mit wolkenartigen Scheiben von der Bottarga vergisst nicht so schnell, wer sie einmal gehabt hat. Die Fische sind, wie in Mailand üblich, wunderbar. Danach eine Torte mit Apfel und viel Aroma. 

Die Weine im Papermoon sind gut ausgesucht, die Preise kulant. In Mailand gibt es viele reizvolle Adressen, aber wenige, bei denen alles so zu stimmen scheint wie hier. Ein Restaurant, das vor allem einem Anspruch genügt: Man will beim nächsten Mal in Mailand wieder kommen und das liegt nicht nur an den Preisen, die nachgerade liebenswürdig günstig sind. Molto gentile.

Larte
An schicken und neuen Adressen mangelt es der Stadt nicht gerade. Eine sei Pars pro toto erwähnt und zwar das Konzept-Restaurant, das den Namen Larte trägt, der gleichzeitig Botschaft und Programm ist. Mag sein, dass mancher Gast des Miteinanders von Design, Shop, Bar und Restaurant schon ein wenig überdrüssig ist. Dennoch muss gesagt werden, dass der Service und die Küche den Besuch lohnen. Planen Sie einen Lunch ein, das Stadtzentrum ist nur ein paar Schritte entfernt. Es gibt schickes Essen mit ausgesuchten Zutaten. 

Perfekt nahezu die Kleinigkeiten zum Aperitif, sehr gut eine mit viel Grün versehene Vorspeise mit Thunfisch, sehr gut dann wiederum die Tortellini mit Paradeiser und Ricotta, ein Gruß aus dem Süden in den Norden Italiens. Eine klumpige Schokoladenkugel als Dolce ist den Versuch eher weniger wert.



Ist die Expo eine Reise wert?

Ob Sommerfestivals, Sportevents oder eine Weltausstellung: Ohne die Mittäterschaft großer Konzerne und ihrer Marketingbudgets ist heute kaum mehr etwas realisierbar. Den Staaten ist längst das Geld ausgegangen. 

Und vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Expo in Mailand aussieht wie sie aussieht. Ihr Motto: „Die Ernährung der Welt in Zukunft.“ Ein spannendes Thema, ein wenig Fremdenverkehrswerbung darf dabei übrigens auch nicht fehlen. Interessant auch, welche Rolle die Industrie dabei spielen will. Der Sponsor verlässt seine Rolle als Förderer und betritt den Mittelpunkt der Bühne.

Hier Eskimo, da Lindt, dort McDonalds - ja, sie haben dem Burgerbrater wirklich kein Hausverbot erteilt und warum hätten sie es auch tun sollen? Denn gleich daneben hat auch Slow Food einen Pavillon hingestellt, der die gewonnene Bedeutung, ja gesellschaftliche Macht der Bewegung eindrucksvoll illustriert. 

Keine guten Aussichten für die Zukunft, denkt der Skeptiker, wenn er einen Minisupermarkt durchstreift hat, in dem Thai-Futter in bunten Verpackungen offeriert wird und wenn er die hochdigitalisierte Welt eines Coop-Marktes durchmessen hat, in dem Roboter Äpfel schneiden und Kaffee einschenken. Und das alles in einem Licht, das an die Umgebung eines Chemie-Labors gemahnt.

Doch das Handwerk kommt nicht zu kurz: Zwischendurch gibt es Pizza von verschiedenen Regionen Italiens und sie sieht köstlich aus. Toast, gebackene Fische und Meeresfrüchte, Mortadella und Prosciutto. Wunderbare Weine. 

Kein Wunder, dass die Mailänder jeden Abend raus auf die EXPO fahren, wo es abends am schönsten ist, wenn die Massen das Terrain verlassen haben, die Sonne ihren besten Stand erreicht hat, und die Temperaturen auf ein erträgliches Maß runterklettern. 

Und dennoch drängt sich da ein Eindruck auf: Masse fürs Volk wird es weiter geben, während sich die Privilegierten, denen die Konzerne gehören, die auf der Weltausstellung posieren, nicht in die Speisenkarten schauen lassen wollen. Qualität für jeden indessen wird es weiterhin nicht geben, zumindest nicht von der Industrie und nicht zum billigen Preis.

Gedanken wie diese gehen dem Expo-Besucher durch den Kopf, der sich auf die Suche nach neuen Eindrücken macht und dahinter kommt, dass die Nadel im Heuhaufen leichter zu finden sein wird. Mainstream rules. Der Besucher der Expo scheint ein Durchschnittsalter von 12 Jahren zu haben. Sie treiben die Schulklassen durch. Es gibt kaum einen Pavillon, der nicht vom gleißenden Sound der Kinderstimmen erfüllt wäre. Sie merken sich die Namen der Mächtigen der Nahrungsmittelindustrie am besten. 

Abseits des Mainstreams gibt es dann doch einiges zu entdecken. Den vom Duft der lokalen Küche erfüllten Minipavillion der Äthiopier beispielsweise. Er befindet sich im so genannten Kaffee-Cluster, einer Zusammenfassung verschiedener Länder, in denen Kaffee produziert wird. Der Cluster wird gesponsert von der Triestiner Top-Kaffee-Familie Illy. 

Der aufmerksame Besucher lernt hier eine Kaffeemaschine kennen, die in der Lage ist, je nach persönlichem Geschmack einen Blend aus Bohnen verschiedlicher Terroirs zusammenzustellen. Hier macht sich ein Trend bemerkbar. Die Technik und der Erfindungsreichtum der R&D-Abteilungen erlaubten die Individualisierung von Produkten, die in großen Mengen hergestellt werden. Man ist gespannt, was da noch kommt.

Zu den  klügsten und auffälligsten zählt der Pavillon der Briten, die sich auf das Thema Bienenstock geworfen haben und eine spannende Stahlkonstruktion hingestellt, welche die Skyline der Expo dominiert. „England ist der Bienenstock der Innovationen“ steht da. Stimmungsvoll, perfekt designt und unterhaltsam der Pavillon der Spanier, wo eine detailfreudige Mixtur aus Videos, Illustrationen und Musik den Passanten unterhält, aber wie nach dem Konsum eines Werbeblocks auch wieder ein wenig ratlos entlässt. Unbedingte Pflicht-Pavillons: Südkorea, Bachrain, eventuell auch Deutschland, Frankreich hingegen eher brav.

Nach so vielen Bildern, Tönen und geschmacklichen Andeutungen braucht dann der Besucher irgendwann etwas Handfestes ins Glas und auf den Teller. Empfehlenswert der kleine Stand von Franciacorta, einem der besten Spumante-Hersteller Italiens. Hier gibt es auch zu Essen, Kaviar beispielsweise, High-End-Prosciutto und wenn nicht vom Kasachischen Nachbarn ständig die Schlagermusik herüberplärrte, wäre dieser Stand eine Oase der Erholung mitten im Trubel.

Auch andere Getränkemacher sorgen sich um die Verpflegung der Expo-Besucher. Ferrari ist da, ein weiterer Spitzenspumante aus Südtirol. Martini ist natürlich ebenfalls da und enttäuscht mit wässrigen Americanos, blasiertem Service und frechen Preisen.

Österreich hat selbstredend ebenfalls einen Pavillon auf dem Messegelände in Mailand, welcher sich übrigens großer Beliebtheit erfreut. Das mag an den kühlenden Frischluft-Spenden liegen, die dem Motto „Breathe“ sinnlichen Erlebniswert verleihen. Oder der sehr naturnahen Umsetzung des Themas Alpiner Wald, wo sogar die auf Stein gemalenen alpinen Wegweiser in den Farben Rot-Weiß-Rot nicht fehlen dürfen. Kulinarisch hat man hier leider eine Chance vergeben.

Österreichische Topchefs vom Rang eines Reitbauer, Döllerer oder Rachinger hatten sich im vergangenen Herbst Gedanken über Gerichte gemacht, die den Begriff und die Welt des Waldes geschmacklich und ästhetisch umsetzen würden. Was da ausgedacht und präsentiert wurde, hatte echt Klasse. Die Rümpfe dieser Ideen liegen jetzt in einer dunklen Bar und schlecht beleuchteter Vitrine, bewacht von zwei uninteressiert wirkenden Mitarbeitern der Caterinfirma Eurest. Nicht einmal eine englische Übersetzung der Bezeichnungen der Gerichte gibt es. Der Pavillon-Besucher ratlos. Schade.

Was bietet die Expo dem, der sich für Essen abseits der Industrie interessiert? Liebevoll, aber ein wenig verloren wirkt die Italien-Abteilung. Die Italiener haben ihre Gegenden teils aufwändig, teils weniger aufwändig ins Licht zu rücken versucht. Der Stolz auf das eigene Schaffen zieht sich – zu Recht – durch jedes Detail. Die Franzosen haben außer gehobenem Mainstream (Boulangerie, Senf ...) vor Ort  wenig zu bieten. Aber eine gute Idee gehabt.

Es gibt Wein aus Italien, es gibt kleine Produzenten, die von den regionalen Pavillons wechselweise eingeladen werden. Alles das kann man auf der Slow Food Messe in Turin alle zwei Jahre besser und in größerer Breite und Tiefe bekommen. Die Zukunft der Welternährung und des Essens, sie sieht nicht gerade so aus, dass einem das Wasser im Mund zusammenläuft.

Ein Expo-Besuch lohnt sich dennoch – wenn man ihn als Anlass nutzt, um sich davor oder danach in Mailand auf den Sommerschlussverkauf von Trussardi, Prada und Kollegen zu konzentrieren oder den längst fälligen Abstecher an den Comer See oder ins sommerliche Piemont zu machen. Ligurien ist auch nicht gerade weit.















Montag, 4. Mai 2015

Neue Umgangsformen für den Spargel

Spargelzeit ist und jeder muss seinen Senf dazugeben. Wobei Senf nicht so ideal ist zum Spargel. Zumindest für Hobbyköche, die keine Grundausbildung bei Troisgros oder Redzepi genossen haben.

Der Spargel ist ein edler Herr. Wäre er kein Spargel, sondern ein Mensch, würde er am Ring oder über den Kohlmarkt flanieren, den Spazierstock schwingen, nebenher ein artiger Mops oder schlanker Jagdhund, auf der Suche nach einem Lokal, wo es eine gute Eierspeis gibt. Denn Eier und Spargel und Spargel und Eier, das ist enderfunden, wie der Erbsenreis oder der Kalbsnierenbraten.

Einmal im Jahr, besser aber einmal wöchentlich, sollte es Spargel mit Sauce Hollandaise sein, sofern es sich um den stämmigen, aber hoffentlich zarten Weißen handelt, ob der jetzt aus Schwetzingen kommt, dem Tullner Feld oder dem Marchfeld.

Doch gerade eben erstand ich in der Gemüseboutique meines Wohnortes frischen, grünen Spargel aus dem Burgenland. Label-Rouge-Spargel sozusagen. An den dicksten Stellen etwa drei bis vier Millimeter.

Spargel dieser Farbe und Stärke eignet sich besonders gut für das Rösten oder Grillen. Gegrillt wird bei mir nicht, aber ab und an geröstet beziehungsweise gebraten. Der Spargel, dessen unterstes Drittel ich ohne Gnade oder schlechtes Gewissen entferne, kommt in eine beschichtete Pfanne, in der vorher Olivenöl und Butter im gleichen Verhältnis erwärmt wurden. Bevor die Butter zu schäumen beginnt, wird sie mit den Spargelstangen bedeckt, die ich im übrigen nicht in Stücke geschnitten habe, sondern in ihrer Länge belassen.

Jetzt hat der Spargel Zeit, sich zuerst zu erhitzen, dann langsam Farbe anzunehmen, bis er die Bissfestigkeit erreicht hat, die mir angebracht erscheint. Ich mag ihn nicht zu saignant, aber well done muss er auch nicht wirklich sein. Eine Frage der persönlichen Vorlieben, keine allgemeine Regel.

Wenn der Spargel gar ist, schlage ich ein oder zwei Eier auf (auf je zehn Stangen ein Ei ist ein vernünftiges Verhältnis) und gebe sie auf den in der Pfanne bratenden Spargel. Das Ei schmilzt langsam durch die Spargelstangen auf den Pfannenboden, wodurch es leicht gar.

Nicht neu? Sagen Sie. Ich hatte es in dieser Form noch nie, die zum einen an den Spargel Bismarck (weiß) oder an die in Italien oder Istrien servierten Spargel-Frittatas oder Omelettes erinnert.

Die Spargelstangen, die nicht in Stücke geschnitten wurden, geben dem ganzen nicht nur ästhetisch neuen, weil ungewohnten Reiz. Das Ei, sanft unterhoben, ist hier mal fest, da mal schlatzig. So isst man sich durch das Gericht und gerät nie in die Gefahr, sich zu langweilen.

Ach ja: 24-Monate gereifter Parmesan ist dazu recht erträglich. Nicht gerieben, sondern in grobe Stücke gebrochen und auf das heiße Amalgam aus grünem Spargel und gebrochenem Spiegelei gelegt. Warum? Weil es gefällt. Und dem eitlen Geck, dem Spargel mit seinem spazierstocklangen Hals, gefällt es auch.

(ar)

Marc Haberlin und die ewigen 3 Sterne

Der berühmte Sommelier der Auberge de l’Ill ist am Mittag meines Besuches nicht da. Serge Dubs versieht seinen Dienst am Gast nur mehr am Wochenende. Fast entschuldigend weist der Maitre auf das halbleere Lokal an einem spätherbstlichen Mittwoch-Mittag: „Heute ist weniger los. Normalerweise sind wir jeden Mittag ausgebucht.“ Ein Zustand, von dem deutsche oder österreichische Feinschmeckerlokale außerhalb der Städte nur träumen können.
Und noch etwas: Auf den Tischen wird Wein konsumiert und das nicht zu knapp, nicht etwa Fruchtsaft oder Mineralwasser. Die Weinkarte der Haeberlins ist berühmt für ihre Auswahl an Elsässer Rieslingen. Alles, was in Frankreich noch Rang und Namen hat, ist auf ihr selbstverständlich ebenfalls vertreten.
Haeberlin vulgo Auberge de l’Ill ist ein Urgestein. Viele deutsche, französische und letztendlich ein paar österreichische Köche haben dort gelernt. (Die Rede ist von der Oberliga der Köche, die meisten anderen wissen gar nicht, in welchem Land die Auberge liegt. Dass sie ein paar Brocken der dort gepflogenen Sprache beherrschten – nein, dass wäre zu viel.)
Wobei: es muss eigentlich heißen: viele Köche haben bei Köchen gelernt, die bei den Haeberlins gelernt haben. Oder lernen jetzt gerade bei Köchen, die bei Köchen gelernt haben, die bei Haeberlins gelernt haben. Denn dort geht es unter anderem ums Grundsätzliche. Es hat auch heute noch Gültigkeit.
1966 erfand Paul Haeberlin ein Gericht namens Lachs mit Hechtmousse in Rieslingsauce. Es steht auch heute noch auf der Karte, in der Rubrik der Klassiker, die das Restaurant und seine Küche berühmt gemacht haben. Für die Reisenden zu den angesagten Adressen zwischen Spanien und Dänemark hat dieser Teller etwas rührend museales. Bei der Würze ist man zurückhaltend, bei der Butter in der Rieslingsauce hingegen nicht, welche nebstbei mit einer gewitzt dosierten Säure aufwartet, mit deren Hilfe die Gäste in den 60er und 70er Jahren diese Küche locker überlebten.
Dazu gibt es, als weiterer Säurekick, fast püree-artig zerkleinerte Paradeiser und Blätterteig. Blätterteig, ob als Fleuron oder Polster, zählte in der Generation vor und während Witzigmann zu den Grundausstattungen der Feinschmeckerküche. Der Lachs ist von hervorragender Qualität und butterzart, die Hechtmousse fest und straff. Wenn es diesem Gang an etwas fehlt, dann an pointiert eingesetzter Würze. Offenbar konnte man sich damals der Aufmerksamkeit der Gäste sicherer sein als heute und musste nicht mit Gewürzen darum ringen.
Ein anderer Gang, der ebenfalls der Rubrik der klassischen Haeberlin-Gerichte angehört, ist die Foie Gras. Sie wird auf gestoßenem Eis serviert und vor den Gästen mit einem heißen Löffel ausgestochen und auf gekühlten Tellern angerichtet. So behält die Leber dank der niedrig gehaltenen Temperatur bis zu dem Zeitpunkt ihre fest-cremige Konsistenz (und damit ihr feines, dezentes Aroma, durchwirkt von Alkohol und Gewürzen), bis sie im Mund des Gastes landet. Dazu serviert man bei Haeberlins eine gelierte Gemüseconsommée und weder Schokolade, noch Nüsse oder sonst etwas.
Die Rehmedaillons schmecken noch genauso gut wie vor etwas mehr als zwanzig Jahren als ich zum ersten Mal in Illhaeusern zu mittag aß. Überhaupt ist dies das ideale Restaurant für eine ausgedehnte Mittagsmahlzeit. Der Blick in den Garten, wo im Sommer den Gästen der Aperitif serviert wird und wo der Fluss träge unter den Trauerweiden dahinflaniert, ist der ideale Begleiter zu einem Essen, das den Ruf Frankreichs als Feinschmecker-Nation wesentlich mitbegründet hat.
Natürlich gibt es bei Marc Haeberlin auch Zeitgemäßes, doch er übertreibt es nicht. Und erwartungsgemäß haben einige der neuen Kreationen etwas Unentschlossenes, einen Ansatz von Revolution, die aber letztendlich abgesagt wird – wohl unter anderem deshalb, weil es keinen Grund dafür gibt, die Klassiker des Hauses vom Thron zu stürzen.
Schon gar nicht bei den Dessert sehnte ich mich nach den Kreationen der Küche 2.0, die oft mit nervösen Kombinationen des Gastes Sehnsucht nach einem cremig-frisch-süßen Ausgleiten aus dem Essen ignorieren. Perfekt also der Pfirsich „Haeberlin“ mit Champagnersauce. Vielleicht auch, weil es das heute kaum mehr gibt, schmeckt es hier so gut. Der Michelin Frankreich vergab bereits zum 48. Mal die Höchstnote mit drei Sternen. Und das ist, wie die Gebrüder Lorraine in Joigny, das Crocodile in Straßbourg oder Jean-Georges Klein im Baerenthal zuletzt erfahren mussten, in Frankreich keine Sache der Tradition mehr.

www.auberge-de-l-ill.com

Freitag, 1. Mai 2015

Wir stehen es nicht durch: Finger Food

Vor kurzem Gast in einem hervorragenden Etablissement. Vestibül, Burgtheater. Es war ein Zusammentreffen von guten und nützlichen Gesprächen - nützlich im Hinblick auf das geistige Fortkommen der Teilnehmer, vielleicht auch auf des einen oder der anderen Karriere - Kultur, Künstlern, gutem Wein und gutem Essen.

Die Küche arbeitete auf Hochtouren und auf dem hohen Niveau, für das sie regelmäßig ausgezeichnet und gelobt wird. Doch Karin Bergmann hatte auf Fingerfood bestanden. Kein gesetztes Essen, also auch kein Sitzen. Die Idee dahinter an sich gut: Die Gäste sollten miteinander interagieren.

Eine lobenswerte Initiative, die  nur dem Koch und seinem Gast nicht unbedingt gefallen muss.

Denn der Gast sagt: Essen mit Fingern ja, wenn es um zu schlürfende Austern, zu knackende Hummer oder Kaisergranat oder zu krachende Schinkensemmeln geht. Anspruchsvolles, mit dem Ehrgeiz zum Außergewöhnlichen errichtetes Essen mit den Händen oder einer winzigen Gabel zu sich zu nehmen, ist unzivilisiert. Lächerlich nachgerade.

Wer hat eigentlich das lächerliche Wort Fingerfood erfunden? Und wer hat es in den deutschen Sprachraum eingebürgert? Vermutlich war es ein Caterer. Fingerfood als Versprechen an sparsame Kunden. "Sie haben nur 20 Euro pro Gast? Kein Problem. Wir machen Fingerfood." Kein Problem.

Es gibt Spargel, perfekt gemacht. Aber wenn die Gäste den pünktlich gekochten Spargel mit dem winzig gehackten Ei verspeisen, befinden sie sich mitten im Smalltalk. Während des klugen scheinenden Sprechens einen Bissen zu sich zu nehmen und dabei drauf zu achten, dass die Marinade nicht auf die Hemdbrust träufelt - keine leichte Übung.

Es gibt auch zu Trinken. Die Natur hat dem Menschen aber nur zwei Hände gegeben. Also nicht drei, mit denen sie Glas, Gabel/Löffel und die kleine Tasse mit dem Essen halten könnten. Zwei Hände. Fingerfood ist wider die menschliche Natur.

Die Küche gibt sich keine Blößen. Es gibt Tatar mit Cracker. Die Brösel fallen den Damen ins Dekoletée. Während sich manche von ihnen ihre spitz zu laufenden High Heels bereits in den Kopf gestanden haben, denken die Herren an die Couch an die Zeit im Bild, die gerade läuft. Zeit im Bild 1 bitte schön.

So wird das nicht nichts, aber wenig. Essen im Stehen hält der Mensch nur bestimmte Zeit durch. Dann erlahmen die Muskeln der Beine und mit ihnen auch die Lust, weitere Tellerchen zu konsumieren. Das Blut fließt aus dem Hirn in die Oberschenkel, was sich ungünstig auf den Geistesgehalt des Smalltalks auswirkt.

Meistens gibt es zum Fingerfood noch schlechte Getränke, was das frühe Verlassen des Events nahelegt. Gibt es hingegen guten Wein oder sogar richtig guten Wein, bleibt der Gast länger. Trinken im Stehen steht er leichter durch als Essen im Stehen. Mit gutem Wein trinkt er sich das Stehen schön.

Manchmal kann Essen im Stehen, mit dem Finger statt Gabel und Messer wunderbar sein. In Kötschach Mauten beim Genussfestival des Edelgreisslers Ertl. Hier kleine dem stehenden Gast entgegenkommende Löffelchen auf denen sich mal Kaviar aus Venetien mit Essig von Josko Sick, dann wieder Lachstatar vom Bachmann findet, alles wunderbar, alles ohne Anspruch auf große Küche mit ihrem Miteinander von Aromen und Konsistenzen, das man nicht leicht in Löffelform packen kann.

Im vorigen Herbst in Paris. Im Palais du Tokio findet ein Zusammentreffen einiger der besten Köche Frankreichs statt, darunter Maure Collagreco oder Bras. Aber niemand aß, weder Michelin-Chef Michael Ellis noch die andern Gäste. Denn während des Gesprächs hoch sensible Gerichte zu sich zu nehmen, mit der Gabel zu fuchteln und dann den Wein nicht zu finden, ist nur weniger Leute Sache.

Die Gäste einiger der bersten Köche Frankreichs flohen in andere Lokale. Sie wollten lieber weniger gut, dafür auf ordentlichen Tellern mit ordentlichem Besteck und vor allem sitzend essen.

(ar)






JRE-Kongress in Roermond und was wir daraus lernen

Gastronomisch ist der Ort Roermond, etwa eine dreiviertel Autostunde vom Flughafen Düsseldorf im Dreiländer-Eck Limburg gelegen, nicht weiter auffällig. Sie haben zwei vom Michelin mit Sternen ausgezeichnete Restaurants und ein paar gute Hotels. In diesem Umfeld trafen sich vor kurzem die Chefs der Jeunes Restaurateurs d’Europe (JRE) zu ihrem alle zwei Jahre in einem anderen europäischen Land stattfindenden Kongress. In Holland widmet man sich der Wissenschaft um die Zusammenhänge von Essen und Gesundheit zu verdeutlichen. Ein Einblick in das Forschungsgeschehen kann einen je nach Standpunkt das Fürchten oder die Freude lehren.
So genannte Super-Foods, hochgezüchtete Früchte und Gemüse, sind das Thema; Salate und Kräuter, die unter LED-Lampen wachsen und nie eine Sonne oder einen natürlichen Boden sehen. Für viele Feinschmecker eine unbekannte Welt. Das ist das eine. Und doch hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gastronomie und Essen ihre spannenden und nützlichen Seiten.
Da traf man den über die Grenzen bekannten Peter Klosse, der selbst ein Restaurant führt und unlängst wieder ein Buch geschrieben hat: „The Science of Gastronomie“. Klosse betrachtet die Zusammenarbeit zwischen Spitzengastronomie und High-End-Köchen mit Skepsis. Was sich im Laufe der Entwicklung der so genannten Molekularküche als Zutat ins Essen verirrte, gehöre eigentlich dort nicht hinein, so Klosse und hätte nicht nur im spanischen Rosas zu schweren gesundheitlichen Aussetzern bei Gästen von Adriàs legendärem El Bulli geführt. Sprich: einmal eine Prise Xanthan mag okay sein. Wenn es die Küche in zehn Gängen anwendet, würde es dem einen oder anderen Organismus zu viel.
Transparenz ist nicht nur an die Spitzengastronomie eine Forderung, die man laut Klosse unterschreiben muss. Auch der hohe Anteil an Fertigprodukten ist solange ein Ärgernis, solange nicht ausgewiesen wird, was in dem Essen drin ist, das der Gast serviert bekommt. Fertigsaucen sind kein Thema in der Sternegastronomie, aber eine Etage tiefer sehr wohl.
So wie die Gärten und Felder und was von ihnen kommt, eine große Rolle spielen in den holländischen Restaurants der Oberliga, findet auch der Chef des Michelinführers, dass dem „Produkt“ in der Hochküche gar nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet werden könne. Michael Ellis, von den Chefs als Papst und Verkünder des Wortes Gottes wahrgenommen, schwärmte in seiner Rede von Aal und Bohnen und verkündete damit eine Abwendung des roten Führers von den üblichen Edelprodukten. Eine Hinwendung zu Terroir und verfeinerter Cucina Povera? Erfreulich, dass Michelin beschlossen hat, diesen Trend nicht zu verschlafen.
Für die österreichischen Kongress-Teilnehmer, die unter ihren Kollegen im übrigen einen hervorragenden Ruf zu genießen scheinen, ging der Kongress mit einem kleinen patriotischen Triumph zu Ende: der Preis in der Kategorie Innovation ging an Thorsten Probost. Er kocht in Oberlech in der Griggeler Stuba (Burg Vital Hotel, 3 Hauben) und zwar genau so, wie es dem Trend, der in Roermond verkündet wurde, entspricht: mit Achtsamkeit auf Bekömmlichkeit, viel Gemüse und Fisch und abseits des Mainstreams.

(Der Text erschien vor kurzem ebenfalls auf vinaria.at)

(ar)

Donnerstag, 30. April 2015

Steak Intelligence Service

Ein gescheites Steak kann ich mir auch zuhause machen, sage ich immer. Dafür muss ich nicht ins Restaurant, zumindest nicht in Wien.

Meine Steaks sind gescheit, wenn auch keine Nobelpreisträger und sie arbeiten auch nicht im CERN in Genf. Aber sie schmecken, zumindest mir, und das ist doch schon einiges.

Vor einiger Zeit aß ich im Tirolerischen in einem 5-Sterne-Hotel und 2-Hauben-Restaurant Steak. Es war ein teures Teil aus Amerika. Aber der Chef hatte es zu lange gebraten und war sich der Tatsache nicht gewahr, dass Fleisch nach gart, nachdem man es vom Feuer genommen hat. Also hatte ich herrliche Fleischqualität im grau-blass-rötlichen Zustand. Wie gesagt: Kann ich zu Hause auch. Sogar besser.

Die Kunst, ein Stück vom Rind bleu oder zumindest anständig rosa zu braten, beherrschen hierzulande wenige. Österreich ist halt das Land des gekochten Rindfleisches. Das liegt auch den Köchen in den Genen und den Gästen fällt es vermutlich nicht weiters auf.

Was den Gästen weiters nicht auffällt, ist die äußerst mediokre Qualität der heimischen Rinder, die als Tafelspitz-Schulterscherzel-Lieferanten noch durchgehen, aber eigentlich im Milch-und-Käse-Business zu Hause sind. Diese zu Molkereien-Sklaven gemachten Rinder eignen sich als Quelle für gute Steaks nur bedingt, da können das Schneeberg-Baby-Beef und seine Verwandten auf den Vorderhufen über den Graben rennen - ändert nichts.

Ein gutes Steak beginnt und endet mit dem Rindvieh, von dem es herkommt. Dry Aging kann helfen, macht aber aus einem faden Stück Fleisch noch lange kein spannendes Stück Fleisch. Spannend sind nur die Gewinnspannen der Fleischhauer, die uns fade Rinder als aufregendes Steak verhökern.

Aber es gibt Quellen. Letztens aß ich in Golling ein Stück von einer zwölf (!) Jahre alten Kuh. Milchkuh vom Tuxertaler Rind. Sie war in ihrer Pension ein Jahr lang mit allerlei Herrlichkeiten gemästet vordem. Das Stück, das vor mir lag, hatte Strukturen eines alten Baumes. Man aß etwas, das gelebt hatte. Hier mal Fett, da mal zäh, dort mal zart.

Letztens erstand ich im Etablissement Meinl am Graben ein Stück vom niederösterreichischen Bio-Rind, drei Wochen gereift. Es brutzelte ordentlich Fett in der Pfanne, es rauchte und wurde rasch dunkelbraun. Aber es schmeckte. Das Fett eine Delikatesse. Das Fleisch mit Widerstand, aber niemals ohne Aroma und Charakter.

Wie gesagt: Wenn der Wirt ein gutes Stück Steak vorrätig hat, ist es gut. Aber in diesem Fall kann man es sich auch selber machen.

(ar)


Dienstag, 3. Februar 2015

Lahmeloise

Die einen wollen Kanzler werden, die anderen alles andere als das. Die einen wollen auf  den K2, die anderen nach Disney World. Manche möchten Dancing Star werden, manche einfach nur Yachtbesitzer. Einige wollen den Jakobsweg gehen, andere in den besten und besseren Restaurants der Welt essen.

Auf deren Reiseroute baut sich früher oder später der Familienbetrieb Lameloise auf,  im Ort Chagny und also mitten im berühmten und durch Weinbau wohlhabend gewordenen Burgund. (Die Anzahl der SUVs rund um und in der Bezirksstadt Beaune ist tatsächlich beeindruckend).

Jacques Lameloise schuf hier eine großbürgerliche Variante der burgundischen Küche. So erzählt man es sich. Doch der Patron hat schon vor längerer Zeit die Leitung der Küche an seinen ehemaligen Souschef, Eric Pras übergeben. Der hat sich in einigen der besten Häusern Europas seine Sporen verdient, bevor er vor bereits einiger Zeit in Chagny landete. Eric Pras, ein sachlich auftretender und von Demüt gegenüber seinem Arbeitsplatz erfüllter Mann, hat kein leichtes Erbe angetreten und er weiß es.

Der Empfang im Lameloise verläuft tadellos, wenn auch von einer erhöhten Schlagzahl dominiert. Wir sind zwölf. Sind wir zum letzten Abendmahl verabredet. Manchen, die uns ins reservierte Extrazimmer expedieren und zwar auf dem schnellsten Weg, muss es wohl so scheinen. Ich selbst mag keine Extrazimmer und die Freunde sind so, dass sie sich auch außerhalb geschlossener Räume angemessen zu benehmen wissen.

Sobald sich aber der Service beruhigt hat, merkt man, wie geschliffen und geölt er funktioniert. Mein Lieblings-Maitre spricht nebstbei auch Deutsch, was mir gleich ist, hat aber bei Witzigmann in der Aubergine gearbeitet - eine Information, die bei einem österreichischen Gast sogleich so etwas wie eine familiäre Affinität herstelle, auch wenn der Gast selbst niemals in der Aubergine gearbeitet hat.

Man darf als Gast eines Restaurants, das seit Jahrzehnten zu den besten Gourmet-Locations Frankreichs gezählt wird, perfekte Empfehlung und Service beim Champagner-Aperitif erwarten und auch wenn einige von uns zwischendurch Campari-Orange und Negronos ordern (eine Ohrfeige ins Gesicht eines traditionsverbundenen Kellners) bewahrt die Mannschaft Fassung.

Wie die Soldaten marschieren die kleinen Aperitifhappen auf und bis auf eine Ausnahme schmecken sie alle wunderbar und präsentieren die Küche des Lameloise als eine, die mit der Akkuratesse eines Technikers im CERN arbeitet. Doch fehlt ihr Witz, Hintergrund und Grandezza eines Pariser Haute Couturiers leider zur Gänze. Womit ich beim Thema bin.

Es muss nicht, kann aber vorkommen, dass der Nachfolger eines großen Chefs in die Zwickmühle der lange gepflogenen Tradition und des eigenen Anspruchs gerät, aus dem Vorhandenen etwas Neues zu schaffen, überhaupt die eigene Erfahrung und das schöpferische Talent einzubringen. Im Falle des sympathisch bescheiden wirkenden Eric Pras führt das zu einer Art von kulinarischen Lähmungserscheinungen, welche bei unserem Menü auf jedem Teller zu schmecken waren, in einem Menü, das perfekt exekutiert, aber konventionell konzipiert war (und nicht extra auf den Zwölfertisch abgestimmt, was hie und da zum Ärger der Gäste vorkommen mag).

Da war eine Entenleber, in dünne Apfelscheiben gewickelt, begleitet von Linsen. Womit das sogar in den besten französischen Landrestaurants abzuhandelnde Thema Foie Gras abgehandelt war. In die Leber war Aal eingewirkt, eine kulinarische Referenz an das Baskenland also, genauer gesagt an Martin Berasategui, von dem die Idee kommt.

Der mit der Leine gefangene Barsch kam in Begleitung von dunklen Weintrauben, was ihm ein attraktives burgundisches Kleid verlieh, doch war er in Wahrheit eingekleidet in knusprig gebratene Schuppen, wieder eine Referenz an Berasategui, der allerdings nicht zu Ehren kam, als Quelle dieser (mittlerweile schon oft kopierten) Idee genannt zu werden. Ein braves Gericht, ein Teller auf dem Niveau der drei Sterne, die der Führer versprochen hat. Von einem Geniestreich nichts zu schmecken.

Doch ja, im Sidedish, da fesseln die wunderbaren gebackenen Froschschenkeln die Aufmerksamkeit. So einfach, so perfekt. Warum traut sich niemand, diese in den Mittelpunkt eines Gerichts zu stellen?

Fast schon ärgerlich empfinde ich die wiederholte Präsenz der Jakobsmuschel in der französischen Gastronomie. Solange es sich nicht um bretonische Restaurants handelt, von denen  man die Sicht aufs Meer genießt und also am Teller auch schmecken kann, kann ich den Kult um die "Coquilles Saint Jaques" nicht nachvollziehen. Auch im Lameloise schmecken sie nicht besser als woanders. Doch dann wird eine Sauce dazu serviert, auf Basis von Seeigeln, eine Sauce, die uns alle staunen und schmatzen lässt, eine Sauce, für uns alle vergleichbar mit dem besten, was wir zum Thema jemals auf dem Löffel hatten.

Das ist es, was an Eric Pras Küche auffällt: das unleugbare Können, das perfekte Handwerk, aber die Unfähigkeit beziehungsweise die Selbstverweigerung, hier wenigstens ein paar Teller abseits des Mainstreams, abseits des ewig Bekannten zu präsentieren. Auch der Hauptgang, ein mit einer Mischung aus Brot und Gewürzen gratiniertes Reh gehört zu den Standards der Hochküche, die man zwischen Aschau und Bray erwarten kann. Pras glänzt wieder auf der Nebenbühne. Mit einer lange geschmorten Rehschulter in einer Sauce, welche die Richness verkörpert, die französisches Kochhandwerk so unverwechselbar macht.

Zum Dessert gibt es Schokolade. In Variationen und perfekt gemacht. Als Mousse wie als Sorbet, als Croquant wie auch als Crème. Und jetzt, zwei Monate nach diesem Essen, denke ich, vielleicht ist es auch ein Geheimnis des  Erfolgs, alles, was vom kulinarischen Pfad der Tugend abweicht, zu unterlassen. Den Gästen absichtlich das eine oder andere Déja-Vue zu servieren, um sie nicht von den herrlichen Weinen und einem eventuell spannenden Tischgespräch abzulenken. Mal sehen, was der nächste Besuch in Chagny bringen wird. Denn geben wird es ihn unbedingt.


(ar)

Montag, 2. Februar 2015

Nimm das, Redzepi!

René Redzepi, gerade Cook in Residence in Tokio, macht dort mit einem halbierten Entenkopf Furore. Eine Idee, die so naheliegend ist, wie sie ein kleines Rauschen im Publikum vermutlich einkalkuliert hat, wo man mit wohligen Schauern "Igitt" und "Dieser skandalöse Mensch, aber reist soo cool" das Menü zelebriert. Tatsächlich aber: der Genuss eines Kopfes ist nicht bloß Kopfsache, sondern wunderbar. Im Noma in Kopenhagen durfte ich letztes Jahr auf der Holzkohle am Spieß gegrillten Zanderkopf essen. Besteck gab es dazu keines. Man benutzte Hände und Zähne. Geiles Zeug.

Jetzt zurück nach Österreich, wo Redzepi nichts, aber gleichzeitig vielleicht manches lernen kann. Die Antwort auf seine Kopfsache hatte ich vor kurzem in Goldegg, wo Sepp Schellhorn kocht, wenn er nicht gerade Brandreden im Parlament hält. Es gab einen ganzen halben Sauschädel, oder Schweinskopf, wie man in den besseren Restaurants sagt. Der Sauschädel ist vor allem den jagdlich verbundenen Günstlingen und Kameraden einer österreichischen "Bankiers"-Clique bekannt. Er wird in der ersten Hälfte des Januar verabreicht und hat mit Delikatesse wenig gemeinsam.

Nicht so der im Ofen gebratene Kopf des Schweins, wie er in seiner brutalen holistischen Erscheinung aus dem Holzofen in der Schellhornchen Küche auf den Tisch kommt. Die krachend knusprige Haut kriegen sie hier ganz ohne die Tricks der Molekularküche hin. Der Saurüssel, aus dem die Brüder in Werfen kleine Kunstwerke des Alpinen zaubern, ist im Ganzen, sozusagen unbehandelt zu genießen und schmeckt sehr gut. Wenn es Sie vor cremiger Gallerte und Teilen von Tieren, die aussehen wie Teile von Tieren, schaudert, verzichten Sie auf die Bestellung. Sie werden dann auch keine Plaisir an der kleinen Portion Schweinehirn haben, welches die Küche bei gutem Wind leicht paniert als Zugabe liefert.

Zum Sauschädel gibt es Kraut, Linsen und am besten das gute Brot, welches man im Seehof in Goldegg selbst bäckt. Vorstellbar durchaus, dass sich diese Antithese zum mehrgängigen Menü Degü im Sommer im schattigen Gastgarten zum Hit entwickeln könnte. Münchens und Salzburgs Biergärten müssen dann gar nicht aufsperren.

(ar)

Grüezi und Adie, liebe Rösti

Die Zürcher Gastronomie mit ihrer elegant heruntergespielten Konservativität und ihrem wie selbstverständlich gelebten Qualitätsbewußtsein kann ich nach dem Ausstieg der Schweizer Notenbank aus dem drei Jahre lang geflogenen fixen Verhältnis zwischen Euro und Franken jetzt eh einmal vergessen.

Doch das Bedauern über diese griechische Selbsterfahrung wird gleichzeitig durch den Umstand gemildert, dass mit dem Florhof im vergangenen Herbst ein klassisches Restaurant sein Konzept verändert hat, das ich kurz davor noch als Oase der Beständkeit, ja einer Dürrenmattschen Schweizer Sturheit gegen den ewigen Drangsal nach den Moden und der Schickheit erlebte.

Der Florhof (ein Romantikhotel, whatever das heißen mag, jedenfalls ein beruhigender Fall von Anti-Design) hatte mich mit seiner distinguierten Bedienung, die niemals so pseudo-wichtig war wie im Restaurant des Widder oder so unbeholfen versnobt wie im Baur au Lac, für sich eingestimmt. Es gab Nudeln mit Hummer, prachtvoll, dann ein Geschnetzeltes in einer gewaltig gastfreundlichen Portionierung und man schmeckte ihm an, wie liebevoll der Koch mit Jus, diversen Bränden und Cognacs sowie natürlich der angemessenen Portion Creme an der Vollendung einer nahezu perfekten Sauce gearbeitet hatte.

Sie entnehmen dieser saucigen Liebeserklärung also, dass es mir im Florhof geschmeckt hat. Es war unaufgeregt auf dem Niveau, wie man sich in Zürich ein gehobenes Restauranterlebnis erwartet. Die Weine waren nicht Weltklasse (Burgund, einmal weiß und einmal rot), aber meine Freunde und ich, wir hatten unseren Vergnügen. Mittlerweile hat die junge Generation der Besitzer den Küchenchef entlassen, eine sogenannte "Lounge" eingerichtet und meine Zürcher Freunde berichten mit Schreckliches: Jedenfalls hat das Geschnetzelte mit der herrlichen Sauce ausgedient. Dafür gibt es jetzt Schweinebauch - was Neues.

Die Rösti im Florhof waren wunderbar, sie sind es auch in Kronenhalle. Witzig, dass das Restaurant von manchen Zürchern als Touri-Treffpunkt ver- und abgeurteilt wird. Dabei sind der Touristen dort recht wenig, wie ich anhand mehrerer Kurzbesuche innerhalb einer Woche feststellen konnte. Es handelt sich eher um Künstler und Kunstaffine, reiche Ansässige (altes, sehr altes Geld) und abgetakelte Berühmtheiten, eine durchwegs angenehme Mischung an Publikum. Der oben erwähnte Dichter war nicht der Meinung, dass die Halle mit den Zunftwappen eine halbseidene Attraktion wäre und also oft zu Gast.

Was er gegessen hat, ist nicht überliefert. Ist auch nicht wichtig an diesem Ort. Das Geschnetzelte ist ja eher langweilig. Der geräucherte Lachs auf Blinis hingegen ist große alteingesessene und tourniert servierte Klasse. (Überhaupt ist die Räucherlachs-Kultur in Hotels, Restaurants und Kaufhäusern der Schweiz mit der zum Beispiel in Österreich nicht zu vergleichen. Wir stinken nicht nur hinsichtlich Steuerniveau und Kaufkraft jämmerlich ab im alpinen Ländervergleich. Dafür heißt es, dass wir mehr Spaß hätten. Eine Feststellung, der ich entgegne, dass ich immer da Spaß habe, wo ich gerade bin.)

Zürich und eine gute Schweizer Rösti sind, wenn die Schweizer Nationalpark kein Einsehen hat, für den österreichischen Esser, der kein Millionär ist, einstweilen genauso weit entfernt wie Caminadas Schloss Schauenstein, in dem ich vor einem Sommer perfekt gut gegessen habe. Für Viollier in Crissier heißt es jetzt ordentlich sparen.

(ar)


Trüffel bei Gagnaire. Teuer, aber es wirkt

Vor einigen Jahren rümpften die französischen Spitzenköche noch die verwöhnten Nasen, wenn man auf weiße Trüffel aus Alba zu sprechen kam. Die stinkende Knolle der Italiener könne doch den feinen und delikaten Perigordtrüffeln nicht das Wasser reichen. Irgendwann, vermutlich auf dem Weg über die Ducasse-Gruppe, fanden dann die schönsten und größten Exemplare aus dem Piemont doch den Weg in die Küchen der französischen, vor allem der Pariser 3-Sterne-Häuser, und sind seitdem von dort nicht wegzudenken.
Bei Pierre Gagnaire, der es noch nie billig gegeben hat, kostet dann ein Risotto mit Alba-Trüffel schon mal 205,- und das macht den Gast neugierig. Was kann so ein Risotto zu einem Preis, bei dem man sogar bei Gagnaire ein kleines mehrgängiges Menü bekommen kann? (Im Vergleich ist das dreigängige Lunchmenü zu etwa 85 Euro fast lächerlich günstig.) Gagnaire ist ein Kochgenie, das keinen Aufwand scheut und dem das Wort Reduktion nicht in den Wortschatz passt. Was also wird das für ein Risotto sein, fragt sich der Gast und bestellt.

Was kann ein Trüffelrisotto um 205 Neuronen?

Der Reis ist perfekt gekocht, vielleicht der beste Risottoreis der Welt, umgeben von einer cremigen Sauce, verziert mit blütenweißen und hauchdünn geschnittenen Champignons, bedeckt von einem Blatt Gelée, vermutlich ein Hühnerfond oder etwas in der Art, was leider schwer herauszufinden ist. Denn jetzt löffelt der himmlisch gute Mâitre aus einem kleinen Topf eine Mischung aus kleinen Tomaten und Seppie über das Gericht und der Gast hebt die Augenbraue. Die Kombination ist gewagt und wirkt, als könne man sich in der Küche nicht zwischen einer venezianisch-ligurischen und einer piemontesischen Auslegung des Themas Reis entscheiden. Schließlich fügt der Maitre aus einem anderen Behältnis im Ofen getrockneten Knoblauch hinzu und nicht zu knapp. Sie lesen richtig: Knoblauch.
Die Trüffel, die in einer edlen Holzschatulle an den Tisch gebracht wurde, hat die würdige Größe eines Tennisballs. Ihre Gabe erfolgt großzügig. Der durch den kleinen Gastraum wabernde Duft weist die Knolle als besonders frisch aus. Sie wird es dennoch schwer haben gegen den Knoblauch und die Süße der Paradeiser. Eine Mischung, die den Gast etwas ratlos zurücklässt, nachdem er den letzten Bissen der Gagnair’schen Interpretation des Trüffelrisottos genossen hat. War der Risotto dann dennoch delikat? Auf jeden Fall. Würde man’s noch einmal bestellen? Vermutlich nicht.

Ein Biss in drei Macaronen

Noch ein paar Worte zum Aufwand, mit dem in diesem seit jeher mit drei Macarons ausgezeichneten Restaurant ans Werk gegangen wird. Dieser ist nämlich beachtlich. Man hört beim gefühlten ersten Dutzend an Häppchen und Amuse Bouches auf zu zählen, darunter einiges, was an Geschmack und Zubereitung noch nie erlebt wurde. Später wird unter einer silbernen Cloche der lebende Hummer an den Tisch gebracht, eine Aktion, die weiter östlich wohl eine wütende Armada von Tierschützern auf den Plan riefe.
Der Hummer kommt eine halbe Stunde später wieder, in fünffacher Version auf fünf kleinen Tellern, wie man es bei Gagnaire kennt, wovon einer besser ist als der andere: einmal mit Koriander, dann mit Olivenöl, dann als Bisque sowie in Form eines kleinen Gerichts aus dem Corail des Hummers. Später gibt es Petersfisch mit einer scharf-bunten Sauce, in der auch eine scharfe Wurst (Spanien? Baskenland?) eine Rolle spielt. Dezente Geschmäcker überlässt die Küche anderen, hier wird geschaut, was man aus einer Sauce rausholen kann und das ist einiges. Memorabel außerdem ein Gericht aus rohen Langustinos, das mit Champagner aufgegossen wurde. Die Weinkarte hat alles drauf, was es in Frankreich an Gutem gibt und wenn ein Essen bei Gagnaire kein Anlass ist, einen großen Wein zu öffnen, dann gibt es dafür nie einen Anlass.
Das Brot alleine, welches vom Boulanger im zweiten Kellergeschoss in einem winzigen Raum mehrmals täglich frisch gebacken wird, ist einfach perfekt. Dies ist einer der letzten Horte gepflegter französischer Dekadence und es verwundert nicht, dass die französische Küche mittlerweile zum immateriellen Welterbe der UNESCO zählt.