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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Dienstag, 3. Februar 2015

Lahmeloise

Die einen wollen Kanzler werden, die anderen alles andere als das. Die einen wollen auf  den K2, die anderen nach Disney World. Manche möchten Dancing Star werden, manche einfach nur Yachtbesitzer. Einige wollen den Jakobsweg gehen, andere in den besten und besseren Restaurants der Welt essen.

Auf deren Reiseroute baut sich früher oder später der Familienbetrieb Lameloise auf,  im Ort Chagny und also mitten im berühmten und durch Weinbau wohlhabend gewordenen Burgund. (Die Anzahl der SUVs rund um und in der Bezirksstadt Beaune ist tatsächlich beeindruckend).

Jacques Lameloise schuf hier eine großbürgerliche Variante der burgundischen Küche. So erzählt man es sich. Doch der Patron hat schon vor längerer Zeit die Leitung der Küche an seinen ehemaligen Souschef, Eric Pras übergeben. Der hat sich in einigen der besten Häusern Europas seine Sporen verdient, bevor er vor bereits einiger Zeit in Chagny landete. Eric Pras, ein sachlich auftretender und von Demüt gegenüber seinem Arbeitsplatz erfüllter Mann, hat kein leichtes Erbe angetreten und er weiß es.

Der Empfang im Lameloise verläuft tadellos, wenn auch von einer erhöhten Schlagzahl dominiert. Wir sind zwölf. Sind wir zum letzten Abendmahl verabredet. Manchen, die uns ins reservierte Extrazimmer expedieren und zwar auf dem schnellsten Weg, muss es wohl so scheinen. Ich selbst mag keine Extrazimmer und die Freunde sind so, dass sie sich auch außerhalb geschlossener Räume angemessen zu benehmen wissen.

Sobald sich aber der Service beruhigt hat, merkt man, wie geschliffen und geölt er funktioniert. Mein Lieblings-Maitre spricht nebstbei auch Deutsch, was mir gleich ist, hat aber bei Witzigmann in der Aubergine gearbeitet - eine Information, die bei einem österreichischen Gast sogleich so etwas wie eine familiäre Affinität herstelle, auch wenn der Gast selbst niemals in der Aubergine gearbeitet hat.

Man darf als Gast eines Restaurants, das seit Jahrzehnten zu den besten Gourmet-Locations Frankreichs gezählt wird, perfekte Empfehlung und Service beim Champagner-Aperitif erwarten und auch wenn einige von uns zwischendurch Campari-Orange und Negronos ordern (eine Ohrfeige ins Gesicht eines traditionsverbundenen Kellners) bewahrt die Mannschaft Fassung.

Wie die Soldaten marschieren die kleinen Aperitifhappen auf und bis auf eine Ausnahme schmecken sie alle wunderbar und präsentieren die Küche des Lameloise als eine, die mit der Akkuratesse eines Technikers im CERN arbeitet. Doch fehlt ihr Witz, Hintergrund und Grandezza eines Pariser Haute Couturiers leider zur Gänze. Womit ich beim Thema bin.

Es muss nicht, kann aber vorkommen, dass der Nachfolger eines großen Chefs in die Zwickmühle der lange gepflogenen Tradition und des eigenen Anspruchs gerät, aus dem Vorhandenen etwas Neues zu schaffen, überhaupt die eigene Erfahrung und das schöpferische Talent einzubringen. Im Falle des sympathisch bescheiden wirkenden Eric Pras führt das zu einer Art von kulinarischen Lähmungserscheinungen, welche bei unserem Menü auf jedem Teller zu schmecken waren, in einem Menü, das perfekt exekutiert, aber konventionell konzipiert war (und nicht extra auf den Zwölfertisch abgestimmt, was hie und da zum Ärger der Gäste vorkommen mag).

Da war eine Entenleber, in dünne Apfelscheiben gewickelt, begleitet von Linsen. Womit das sogar in den besten französischen Landrestaurants abzuhandelnde Thema Foie Gras abgehandelt war. In die Leber war Aal eingewirkt, eine kulinarische Referenz an das Baskenland also, genauer gesagt an Martin Berasategui, von dem die Idee kommt.

Der mit der Leine gefangene Barsch kam in Begleitung von dunklen Weintrauben, was ihm ein attraktives burgundisches Kleid verlieh, doch war er in Wahrheit eingekleidet in knusprig gebratene Schuppen, wieder eine Referenz an Berasategui, der allerdings nicht zu Ehren kam, als Quelle dieser (mittlerweile schon oft kopierten) Idee genannt zu werden. Ein braves Gericht, ein Teller auf dem Niveau der drei Sterne, die der Führer versprochen hat. Von einem Geniestreich nichts zu schmecken.

Doch ja, im Sidedish, da fesseln die wunderbaren gebackenen Froschschenkeln die Aufmerksamkeit. So einfach, so perfekt. Warum traut sich niemand, diese in den Mittelpunkt eines Gerichts zu stellen?

Fast schon ärgerlich empfinde ich die wiederholte Präsenz der Jakobsmuschel in der französischen Gastronomie. Solange es sich nicht um bretonische Restaurants handelt, von denen  man die Sicht aufs Meer genießt und also am Teller auch schmecken kann, kann ich den Kult um die "Coquilles Saint Jaques" nicht nachvollziehen. Auch im Lameloise schmecken sie nicht besser als woanders. Doch dann wird eine Sauce dazu serviert, auf Basis von Seeigeln, eine Sauce, die uns alle staunen und schmatzen lässt, eine Sauce, für uns alle vergleichbar mit dem besten, was wir zum Thema jemals auf dem Löffel hatten.

Das ist es, was an Eric Pras Küche auffällt: das unleugbare Können, das perfekte Handwerk, aber die Unfähigkeit beziehungsweise die Selbstverweigerung, hier wenigstens ein paar Teller abseits des Mainstreams, abseits des ewig Bekannten zu präsentieren. Auch der Hauptgang, ein mit einer Mischung aus Brot und Gewürzen gratiniertes Reh gehört zu den Standards der Hochküche, die man zwischen Aschau und Bray erwarten kann. Pras glänzt wieder auf der Nebenbühne. Mit einer lange geschmorten Rehschulter in einer Sauce, welche die Richness verkörpert, die französisches Kochhandwerk so unverwechselbar macht.

Zum Dessert gibt es Schokolade. In Variationen und perfekt gemacht. Als Mousse wie als Sorbet, als Croquant wie auch als Crème. Und jetzt, zwei Monate nach diesem Essen, denke ich, vielleicht ist es auch ein Geheimnis des  Erfolgs, alles, was vom kulinarischen Pfad der Tugend abweicht, zu unterlassen. Den Gästen absichtlich das eine oder andere Déja-Vue zu servieren, um sie nicht von den herrlichen Weinen und einem eventuell spannenden Tischgespräch abzulenken. Mal sehen, was der nächste Besuch in Chagny bringen wird. Denn geben wird es ihn unbedingt.


(ar)

Montag, 2. Februar 2015

Nimm das, Redzepi!

René Redzepi, gerade Cook in Residence in Tokio, macht dort mit einem halbierten Entenkopf Furore. Eine Idee, die so naheliegend ist, wie sie ein kleines Rauschen im Publikum vermutlich einkalkuliert hat, wo man mit wohligen Schauern "Igitt" und "Dieser skandalöse Mensch, aber reist soo cool" das Menü zelebriert. Tatsächlich aber: der Genuss eines Kopfes ist nicht bloß Kopfsache, sondern wunderbar. Im Noma in Kopenhagen durfte ich letztes Jahr auf der Holzkohle am Spieß gegrillten Zanderkopf essen. Besteck gab es dazu keines. Man benutzte Hände und Zähne. Geiles Zeug.

Jetzt zurück nach Österreich, wo Redzepi nichts, aber gleichzeitig vielleicht manches lernen kann. Die Antwort auf seine Kopfsache hatte ich vor kurzem in Goldegg, wo Sepp Schellhorn kocht, wenn er nicht gerade Brandreden im Parlament hält. Es gab einen ganzen halben Sauschädel, oder Schweinskopf, wie man in den besseren Restaurants sagt. Der Sauschädel ist vor allem den jagdlich verbundenen Günstlingen und Kameraden einer österreichischen "Bankiers"-Clique bekannt. Er wird in der ersten Hälfte des Januar verabreicht und hat mit Delikatesse wenig gemeinsam.

Nicht so der im Ofen gebratene Kopf des Schweins, wie er in seiner brutalen holistischen Erscheinung aus dem Holzofen in der Schellhornchen Küche auf den Tisch kommt. Die krachend knusprige Haut kriegen sie hier ganz ohne die Tricks der Molekularküche hin. Der Saurüssel, aus dem die Brüder in Werfen kleine Kunstwerke des Alpinen zaubern, ist im Ganzen, sozusagen unbehandelt zu genießen und schmeckt sehr gut. Wenn es Sie vor cremiger Gallerte und Teilen von Tieren, die aussehen wie Teile von Tieren, schaudert, verzichten Sie auf die Bestellung. Sie werden dann auch keine Plaisir an der kleinen Portion Schweinehirn haben, welches die Küche bei gutem Wind leicht paniert als Zugabe liefert.

Zum Sauschädel gibt es Kraut, Linsen und am besten das gute Brot, welches man im Seehof in Goldegg selbst bäckt. Vorstellbar durchaus, dass sich diese Antithese zum mehrgängigen Menü Degü im Sommer im schattigen Gastgarten zum Hit entwickeln könnte. Münchens und Salzburgs Biergärten müssen dann gar nicht aufsperren.

(ar)

Grüezi und Adie, liebe Rösti

Die Zürcher Gastronomie mit ihrer elegant heruntergespielten Konservativität und ihrem wie selbstverständlich gelebten Qualitätsbewußtsein kann ich nach dem Ausstieg der Schweizer Notenbank aus dem drei Jahre lang geflogenen fixen Verhältnis zwischen Euro und Franken jetzt eh einmal vergessen.

Doch das Bedauern über diese griechische Selbsterfahrung wird gleichzeitig durch den Umstand gemildert, dass mit dem Florhof im vergangenen Herbst ein klassisches Restaurant sein Konzept verändert hat, das ich kurz davor noch als Oase der Beständkeit, ja einer Dürrenmattschen Schweizer Sturheit gegen den ewigen Drangsal nach den Moden und der Schickheit erlebte.

Der Florhof (ein Romantikhotel, whatever das heißen mag, jedenfalls ein beruhigender Fall von Anti-Design) hatte mich mit seiner distinguierten Bedienung, die niemals so pseudo-wichtig war wie im Restaurant des Widder oder so unbeholfen versnobt wie im Baur au Lac, für sich eingestimmt. Es gab Nudeln mit Hummer, prachtvoll, dann ein Geschnetzeltes in einer gewaltig gastfreundlichen Portionierung und man schmeckte ihm an, wie liebevoll der Koch mit Jus, diversen Bränden und Cognacs sowie natürlich der angemessenen Portion Creme an der Vollendung einer nahezu perfekten Sauce gearbeitet hatte.

Sie entnehmen dieser saucigen Liebeserklärung also, dass es mir im Florhof geschmeckt hat. Es war unaufgeregt auf dem Niveau, wie man sich in Zürich ein gehobenes Restauranterlebnis erwartet. Die Weine waren nicht Weltklasse (Burgund, einmal weiß und einmal rot), aber meine Freunde und ich, wir hatten unseren Vergnügen. Mittlerweile hat die junge Generation der Besitzer den Küchenchef entlassen, eine sogenannte "Lounge" eingerichtet und meine Zürcher Freunde berichten mit Schreckliches: Jedenfalls hat das Geschnetzelte mit der herrlichen Sauce ausgedient. Dafür gibt es jetzt Schweinebauch - was Neues.

Die Rösti im Florhof waren wunderbar, sie sind es auch in Kronenhalle. Witzig, dass das Restaurant von manchen Zürchern als Touri-Treffpunkt ver- und abgeurteilt wird. Dabei sind der Touristen dort recht wenig, wie ich anhand mehrerer Kurzbesuche innerhalb einer Woche feststellen konnte. Es handelt sich eher um Künstler und Kunstaffine, reiche Ansässige (altes, sehr altes Geld) und abgetakelte Berühmtheiten, eine durchwegs angenehme Mischung an Publikum. Der oben erwähnte Dichter war nicht der Meinung, dass die Halle mit den Zunftwappen eine halbseidene Attraktion wäre und also oft zu Gast.

Was er gegessen hat, ist nicht überliefert. Ist auch nicht wichtig an diesem Ort. Das Geschnetzelte ist ja eher langweilig. Der geräucherte Lachs auf Blinis hingegen ist große alteingesessene und tourniert servierte Klasse. (Überhaupt ist die Räucherlachs-Kultur in Hotels, Restaurants und Kaufhäusern der Schweiz mit der zum Beispiel in Österreich nicht zu vergleichen. Wir stinken nicht nur hinsichtlich Steuerniveau und Kaufkraft jämmerlich ab im alpinen Ländervergleich. Dafür heißt es, dass wir mehr Spaß hätten. Eine Feststellung, der ich entgegne, dass ich immer da Spaß habe, wo ich gerade bin.)

Zürich und eine gute Schweizer Rösti sind, wenn die Schweizer Nationalpark kein Einsehen hat, für den österreichischen Esser, der kein Millionär ist, einstweilen genauso weit entfernt wie Caminadas Schloss Schauenstein, in dem ich vor einem Sommer perfekt gut gegessen habe. Für Viollier in Crissier heißt es jetzt ordentlich sparen.

(ar)


Trüffel bei Gagnaire. Teuer, aber es wirkt

Vor einigen Jahren rümpften die französischen Spitzenköche noch die verwöhnten Nasen, wenn man auf weiße Trüffel aus Alba zu sprechen kam. Die stinkende Knolle der Italiener könne doch den feinen und delikaten Perigordtrüffeln nicht das Wasser reichen. Irgendwann, vermutlich auf dem Weg über die Ducasse-Gruppe, fanden dann die schönsten und größten Exemplare aus dem Piemont doch den Weg in die Küchen der französischen, vor allem der Pariser 3-Sterne-Häuser, und sind seitdem von dort nicht wegzudenken.
Bei Pierre Gagnaire, der es noch nie billig gegeben hat, kostet dann ein Risotto mit Alba-Trüffel schon mal 205,- und das macht den Gast neugierig. Was kann so ein Risotto zu einem Preis, bei dem man sogar bei Gagnaire ein kleines mehrgängiges Menü bekommen kann? (Im Vergleich ist das dreigängige Lunchmenü zu etwa 85 Euro fast lächerlich günstig.) Gagnaire ist ein Kochgenie, das keinen Aufwand scheut und dem das Wort Reduktion nicht in den Wortschatz passt. Was also wird das für ein Risotto sein, fragt sich der Gast und bestellt.

Was kann ein Trüffelrisotto um 205 Neuronen?

Der Reis ist perfekt gekocht, vielleicht der beste Risottoreis der Welt, umgeben von einer cremigen Sauce, verziert mit blütenweißen und hauchdünn geschnittenen Champignons, bedeckt von einem Blatt Gelée, vermutlich ein Hühnerfond oder etwas in der Art, was leider schwer herauszufinden ist. Denn jetzt löffelt der himmlisch gute Mâitre aus einem kleinen Topf eine Mischung aus kleinen Tomaten und Seppie über das Gericht und der Gast hebt die Augenbraue. Die Kombination ist gewagt und wirkt, als könne man sich in der Küche nicht zwischen einer venezianisch-ligurischen und einer piemontesischen Auslegung des Themas Reis entscheiden. Schließlich fügt der Maitre aus einem anderen Behältnis im Ofen getrockneten Knoblauch hinzu und nicht zu knapp. Sie lesen richtig: Knoblauch.
Die Trüffel, die in einer edlen Holzschatulle an den Tisch gebracht wurde, hat die würdige Größe eines Tennisballs. Ihre Gabe erfolgt großzügig. Der durch den kleinen Gastraum wabernde Duft weist die Knolle als besonders frisch aus. Sie wird es dennoch schwer haben gegen den Knoblauch und die Süße der Paradeiser. Eine Mischung, die den Gast etwas ratlos zurücklässt, nachdem er den letzten Bissen der Gagnair’schen Interpretation des Trüffelrisottos genossen hat. War der Risotto dann dennoch delikat? Auf jeden Fall. Würde man’s noch einmal bestellen? Vermutlich nicht.

Ein Biss in drei Macaronen

Noch ein paar Worte zum Aufwand, mit dem in diesem seit jeher mit drei Macarons ausgezeichneten Restaurant ans Werk gegangen wird. Dieser ist nämlich beachtlich. Man hört beim gefühlten ersten Dutzend an Häppchen und Amuse Bouches auf zu zählen, darunter einiges, was an Geschmack und Zubereitung noch nie erlebt wurde. Später wird unter einer silbernen Cloche der lebende Hummer an den Tisch gebracht, eine Aktion, die weiter östlich wohl eine wütende Armada von Tierschützern auf den Plan riefe.
Der Hummer kommt eine halbe Stunde später wieder, in fünffacher Version auf fünf kleinen Tellern, wie man es bei Gagnaire kennt, wovon einer besser ist als der andere: einmal mit Koriander, dann mit Olivenöl, dann als Bisque sowie in Form eines kleinen Gerichts aus dem Corail des Hummers. Später gibt es Petersfisch mit einer scharf-bunten Sauce, in der auch eine scharfe Wurst (Spanien? Baskenland?) eine Rolle spielt. Dezente Geschmäcker überlässt die Küche anderen, hier wird geschaut, was man aus einer Sauce rausholen kann und das ist einiges. Memorabel außerdem ein Gericht aus rohen Langustinos, das mit Champagner aufgegossen wurde. Die Weinkarte hat alles drauf, was es in Frankreich an Gutem gibt und wenn ein Essen bei Gagnaire kein Anlass ist, einen großen Wein zu öffnen, dann gibt es dafür nie einen Anlass.
Das Brot alleine, welches vom Boulanger im zweiten Kellergeschoss in einem winzigen Raum mehrmals täglich frisch gebacken wird, ist einfach perfekt. Dies ist einer der letzten Horte gepflegter französischer Dekadence und es verwundert nicht, dass die französische Küche mittlerweile zum immateriellen Welterbe der UNESCO zählt.