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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Montag, 4. Mai 2015

Neue Umgangsformen für den Spargel

Spargelzeit ist und jeder muss seinen Senf dazugeben. Wobei Senf nicht so ideal ist zum Spargel. Zumindest für Hobbyköche, die keine Grundausbildung bei Troisgros oder Redzepi genossen haben.

Der Spargel ist ein edler Herr. Wäre er kein Spargel, sondern ein Mensch, würde er am Ring oder über den Kohlmarkt flanieren, den Spazierstock schwingen, nebenher ein artiger Mops oder schlanker Jagdhund, auf der Suche nach einem Lokal, wo es eine gute Eierspeis gibt. Denn Eier und Spargel und Spargel und Eier, das ist enderfunden, wie der Erbsenreis oder der Kalbsnierenbraten.

Einmal im Jahr, besser aber einmal wöchentlich, sollte es Spargel mit Sauce Hollandaise sein, sofern es sich um den stämmigen, aber hoffentlich zarten Weißen handelt, ob der jetzt aus Schwetzingen kommt, dem Tullner Feld oder dem Marchfeld.

Doch gerade eben erstand ich in der Gemüseboutique meines Wohnortes frischen, grünen Spargel aus dem Burgenland. Label-Rouge-Spargel sozusagen. An den dicksten Stellen etwa drei bis vier Millimeter.

Spargel dieser Farbe und Stärke eignet sich besonders gut für das Rösten oder Grillen. Gegrillt wird bei mir nicht, aber ab und an geröstet beziehungsweise gebraten. Der Spargel, dessen unterstes Drittel ich ohne Gnade oder schlechtes Gewissen entferne, kommt in eine beschichtete Pfanne, in der vorher Olivenöl und Butter im gleichen Verhältnis erwärmt wurden. Bevor die Butter zu schäumen beginnt, wird sie mit den Spargelstangen bedeckt, die ich im übrigen nicht in Stücke geschnitten habe, sondern in ihrer Länge belassen.

Jetzt hat der Spargel Zeit, sich zuerst zu erhitzen, dann langsam Farbe anzunehmen, bis er die Bissfestigkeit erreicht hat, die mir angebracht erscheint. Ich mag ihn nicht zu saignant, aber well done muss er auch nicht wirklich sein. Eine Frage der persönlichen Vorlieben, keine allgemeine Regel.

Wenn der Spargel gar ist, schlage ich ein oder zwei Eier auf (auf je zehn Stangen ein Ei ist ein vernünftiges Verhältnis) und gebe sie auf den in der Pfanne bratenden Spargel. Das Ei schmilzt langsam durch die Spargelstangen auf den Pfannenboden, wodurch es leicht gar.

Nicht neu? Sagen Sie. Ich hatte es in dieser Form noch nie, die zum einen an den Spargel Bismarck (weiß) oder an die in Italien oder Istrien servierten Spargel-Frittatas oder Omelettes erinnert.

Die Spargelstangen, die nicht in Stücke geschnitten wurden, geben dem ganzen nicht nur ästhetisch neuen, weil ungewohnten Reiz. Das Ei, sanft unterhoben, ist hier mal fest, da mal schlatzig. So isst man sich durch das Gericht und gerät nie in die Gefahr, sich zu langweilen.

Ach ja: 24-Monate gereifter Parmesan ist dazu recht erträglich. Nicht gerieben, sondern in grobe Stücke gebrochen und auf das heiße Amalgam aus grünem Spargel und gebrochenem Spiegelei gelegt. Warum? Weil es gefällt. Und dem eitlen Geck, dem Spargel mit seinem spazierstocklangen Hals, gefällt es auch.

(ar)

Marc Haberlin und die ewigen 3 Sterne

Der berühmte Sommelier der Auberge de l’Ill ist am Mittag meines Besuches nicht da. Serge Dubs versieht seinen Dienst am Gast nur mehr am Wochenende. Fast entschuldigend weist der Maitre auf das halbleere Lokal an einem spätherbstlichen Mittwoch-Mittag: „Heute ist weniger los. Normalerweise sind wir jeden Mittag ausgebucht.“ Ein Zustand, von dem deutsche oder österreichische Feinschmeckerlokale außerhalb der Städte nur träumen können.
Und noch etwas: Auf den Tischen wird Wein konsumiert und das nicht zu knapp, nicht etwa Fruchtsaft oder Mineralwasser. Die Weinkarte der Haeberlins ist berühmt für ihre Auswahl an Elsässer Rieslingen. Alles, was in Frankreich noch Rang und Namen hat, ist auf ihr selbstverständlich ebenfalls vertreten.
Haeberlin vulgo Auberge de l’Ill ist ein Urgestein. Viele deutsche, französische und letztendlich ein paar österreichische Köche haben dort gelernt. (Die Rede ist von der Oberliga der Köche, die meisten anderen wissen gar nicht, in welchem Land die Auberge liegt. Dass sie ein paar Brocken der dort gepflogenen Sprache beherrschten – nein, dass wäre zu viel.)
Wobei: es muss eigentlich heißen: viele Köche haben bei Köchen gelernt, die bei den Haeberlins gelernt haben. Oder lernen jetzt gerade bei Köchen, die bei Köchen gelernt haben, die bei Haeberlins gelernt haben. Denn dort geht es unter anderem ums Grundsätzliche. Es hat auch heute noch Gültigkeit.
1966 erfand Paul Haeberlin ein Gericht namens Lachs mit Hechtmousse in Rieslingsauce. Es steht auch heute noch auf der Karte, in der Rubrik der Klassiker, die das Restaurant und seine Küche berühmt gemacht haben. Für die Reisenden zu den angesagten Adressen zwischen Spanien und Dänemark hat dieser Teller etwas rührend museales. Bei der Würze ist man zurückhaltend, bei der Butter in der Rieslingsauce hingegen nicht, welche nebstbei mit einer gewitzt dosierten Säure aufwartet, mit deren Hilfe die Gäste in den 60er und 70er Jahren diese Küche locker überlebten.
Dazu gibt es, als weiterer Säurekick, fast püree-artig zerkleinerte Paradeiser und Blätterteig. Blätterteig, ob als Fleuron oder Polster, zählte in der Generation vor und während Witzigmann zu den Grundausstattungen der Feinschmeckerküche. Der Lachs ist von hervorragender Qualität und butterzart, die Hechtmousse fest und straff. Wenn es diesem Gang an etwas fehlt, dann an pointiert eingesetzter Würze. Offenbar konnte man sich damals der Aufmerksamkeit der Gäste sicherer sein als heute und musste nicht mit Gewürzen darum ringen.
Ein anderer Gang, der ebenfalls der Rubrik der klassischen Haeberlin-Gerichte angehört, ist die Foie Gras. Sie wird auf gestoßenem Eis serviert und vor den Gästen mit einem heißen Löffel ausgestochen und auf gekühlten Tellern angerichtet. So behält die Leber dank der niedrig gehaltenen Temperatur bis zu dem Zeitpunkt ihre fest-cremige Konsistenz (und damit ihr feines, dezentes Aroma, durchwirkt von Alkohol und Gewürzen), bis sie im Mund des Gastes landet. Dazu serviert man bei Haeberlins eine gelierte Gemüseconsommée und weder Schokolade, noch Nüsse oder sonst etwas.
Die Rehmedaillons schmecken noch genauso gut wie vor etwas mehr als zwanzig Jahren als ich zum ersten Mal in Illhaeusern zu mittag aß. Überhaupt ist dies das ideale Restaurant für eine ausgedehnte Mittagsmahlzeit. Der Blick in den Garten, wo im Sommer den Gästen der Aperitif serviert wird und wo der Fluss träge unter den Trauerweiden dahinflaniert, ist der ideale Begleiter zu einem Essen, das den Ruf Frankreichs als Feinschmecker-Nation wesentlich mitbegründet hat.
Natürlich gibt es bei Marc Haeberlin auch Zeitgemäßes, doch er übertreibt es nicht. Und erwartungsgemäß haben einige der neuen Kreationen etwas Unentschlossenes, einen Ansatz von Revolution, die aber letztendlich abgesagt wird – wohl unter anderem deshalb, weil es keinen Grund dafür gibt, die Klassiker des Hauses vom Thron zu stürzen.
Schon gar nicht bei den Dessert sehnte ich mich nach den Kreationen der Küche 2.0, die oft mit nervösen Kombinationen des Gastes Sehnsucht nach einem cremig-frisch-süßen Ausgleiten aus dem Essen ignorieren. Perfekt also der Pfirsich „Haeberlin“ mit Champagnersauce. Vielleicht auch, weil es das heute kaum mehr gibt, schmeckt es hier so gut. Der Michelin Frankreich vergab bereits zum 48. Mal die Höchstnote mit drei Sternen. Und das ist, wie die Gebrüder Lorraine in Joigny, das Crocodile in Straßbourg oder Jean-Georges Klein im Baerenthal zuletzt erfahren mussten, in Frankreich keine Sache der Tradition mehr.

www.auberge-de-l-ill.com

Freitag, 1. Mai 2015

Wir stehen es nicht durch: Finger Food

Vor kurzem Gast in einem hervorragenden Etablissement. Vestibül, Burgtheater. Es war ein Zusammentreffen von guten und nützlichen Gesprächen - nützlich im Hinblick auf das geistige Fortkommen der Teilnehmer, vielleicht auch auf des einen oder der anderen Karriere - Kultur, Künstlern, gutem Wein und gutem Essen.

Die Küche arbeitete auf Hochtouren und auf dem hohen Niveau, für das sie regelmäßig ausgezeichnet und gelobt wird. Doch Karin Bergmann hatte auf Fingerfood bestanden. Kein gesetztes Essen, also auch kein Sitzen. Die Idee dahinter an sich gut: Die Gäste sollten miteinander interagieren.

Eine lobenswerte Initiative, die  nur dem Koch und seinem Gast nicht unbedingt gefallen muss.

Denn der Gast sagt: Essen mit Fingern ja, wenn es um zu schlürfende Austern, zu knackende Hummer oder Kaisergranat oder zu krachende Schinkensemmeln geht. Anspruchsvolles, mit dem Ehrgeiz zum Außergewöhnlichen errichtetes Essen mit den Händen oder einer winzigen Gabel zu sich zu nehmen, ist unzivilisiert. Lächerlich nachgerade.

Wer hat eigentlich das lächerliche Wort Fingerfood erfunden? Und wer hat es in den deutschen Sprachraum eingebürgert? Vermutlich war es ein Caterer. Fingerfood als Versprechen an sparsame Kunden. "Sie haben nur 20 Euro pro Gast? Kein Problem. Wir machen Fingerfood." Kein Problem.

Es gibt Spargel, perfekt gemacht. Aber wenn die Gäste den pünktlich gekochten Spargel mit dem winzig gehackten Ei verspeisen, befinden sie sich mitten im Smalltalk. Während des klugen scheinenden Sprechens einen Bissen zu sich zu nehmen und dabei drauf zu achten, dass die Marinade nicht auf die Hemdbrust träufelt - keine leichte Übung.

Es gibt auch zu Trinken. Die Natur hat dem Menschen aber nur zwei Hände gegeben. Also nicht drei, mit denen sie Glas, Gabel/Löffel und die kleine Tasse mit dem Essen halten könnten. Zwei Hände. Fingerfood ist wider die menschliche Natur.

Die Küche gibt sich keine Blößen. Es gibt Tatar mit Cracker. Die Brösel fallen den Damen ins Dekoletée. Während sich manche von ihnen ihre spitz zu laufenden High Heels bereits in den Kopf gestanden haben, denken die Herren an die Couch an die Zeit im Bild, die gerade läuft. Zeit im Bild 1 bitte schön.

So wird das nicht nichts, aber wenig. Essen im Stehen hält der Mensch nur bestimmte Zeit durch. Dann erlahmen die Muskeln der Beine und mit ihnen auch die Lust, weitere Tellerchen zu konsumieren. Das Blut fließt aus dem Hirn in die Oberschenkel, was sich ungünstig auf den Geistesgehalt des Smalltalks auswirkt.

Meistens gibt es zum Fingerfood noch schlechte Getränke, was das frühe Verlassen des Events nahelegt. Gibt es hingegen guten Wein oder sogar richtig guten Wein, bleibt der Gast länger. Trinken im Stehen steht er leichter durch als Essen im Stehen. Mit gutem Wein trinkt er sich das Stehen schön.

Manchmal kann Essen im Stehen, mit dem Finger statt Gabel und Messer wunderbar sein. In Kötschach Mauten beim Genussfestival des Edelgreisslers Ertl. Hier kleine dem stehenden Gast entgegenkommende Löffelchen auf denen sich mal Kaviar aus Venetien mit Essig von Josko Sick, dann wieder Lachstatar vom Bachmann findet, alles wunderbar, alles ohne Anspruch auf große Küche mit ihrem Miteinander von Aromen und Konsistenzen, das man nicht leicht in Löffelform packen kann.

Im vorigen Herbst in Paris. Im Palais du Tokio findet ein Zusammentreffen einiger der besten Köche Frankreichs statt, darunter Maure Collagreco oder Bras. Aber niemand aß, weder Michelin-Chef Michael Ellis noch die andern Gäste. Denn während des Gesprächs hoch sensible Gerichte zu sich zu nehmen, mit der Gabel zu fuchteln und dann den Wein nicht zu finden, ist nur weniger Leute Sache.

Die Gäste einiger der bersten Köche Frankreichs flohen in andere Lokale. Sie wollten lieber weniger gut, dafür auf ordentlichen Tellern mit ordentlichem Besteck und vor allem sitzend essen.

(ar)






JRE-Kongress in Roermond und was wir daraus lernen

Gastronomisch ist der Ort Roermond, etwa eine dreiviertel Autostunde vom Flughafen Düsseldorf im Dreiländer-Eck Limburg gelegen, nicht weiter auffällig. Sie haben zwei vom Michelin mit Sternen ausgezeichnete Restaurants und ein paar gute Hotels. In diesem Umfeld trafen sich vor kurzem die Chefs der Jeunes Restaurateurs d’Europe (JRE) zu ihrem alle zwei Jahre in einem anderen europäischen Land stattfindenden Kongress. In Holland widmet man sich der Wissenschaft um die Zusammenhänge von Essen und Gesundheit zu verdeutlichen. Ein Einblick in das Forschungsgeschehen kann einen je nach Standpunkt das Fürchten oder die Freude lehren.
So genannte Super-Foods, hochgezüchtete Früchte und Gemüse, sind das Thema; Salate und Kräuter, die unter LED-Lampen wachsen und nie eine Sonne oder einen natürlichen Boden sehen. Für viele Feinschmecker eine unbekannte Welt. Das ist das eine. Und doch hat die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Gastronomie und Essen ihre spannenden und nützlichen Seiten.
Da traf man den über die Grenzen bekannten Peter Klosse, der selbst ein Restaurant führt und unlängst wieder ein Buch geschrieben hat: „The Science of Gastronomie“. Klosse betrachtet die Zusammenarbeit zwischen Spitzengastronomie und High-End-Köchen mit Skepsis. Was sich im Laufe der Entwicklung der so genannten Molekularküche als Zutat ins Essen verirrte, gehöre eigentlich dort nicht hinein, so Klosse und hätte nicht nur im spanischen Rosas zu schweren gesundheitlichen Aussetzern bei Gästen von Adriàs legendärem El Bulli geführt. Sprich: einmal eine Prise Xanthan mag okay sein. Wenn es die Küche in zehn Gängen anwendet, würde es dem einen oder anderen Organismus zu viel.
Transparenz ist nicht nur an die Spitzengastronomie eine Forderung, die man laut Klosse unterschreiben muss. Auch der hohe Anteil an Fertigprodukten ist solange ein Ärgernis, solange nicht ausgewiesen wird, was in dem Essen drin ist, das der Gast serviert bekommt. Fertigsaucen sind kein Thema in der Sternegastronomie, aber eine Etage tiefer sehr wohl.
So wie die Gärten und Felder und was von ihnen kommt, eine große Rolle spielen in den holländischen Restaurants der Oberliga, findet auch der Chef des Michelinführers, dass dem „Produkt“ in der Hochküche gar nicht genug Aufmerksamkeit gewidmet werden könne. Michael Ellis, von den Chefs als Papst und Verkünder des Wortes Gottes wahrgenommen, schwärmte in seiner Rede von Aal und Bohnen und verkündete damit eine Abwendung des roten Führers von den üblichen Edelprodukten. Eine Hinwendung zu Terroir und verfeinerter Cucina Povera? Erfreulich, dass Michelin beschlossen hat, diesen Trend nicht zu verschlafen.
Für die österreichischen Kongress-Teilnehmer, die unter ihren Kollegen im übrigen einen hervorragenden Ruf zu genießen scheinen, ging der Kongress mit einem kleinen patriotischen Triumph zu Ende: der Preis in der Kategorie Innovation ging an Thorsten Probost. Er kocht in Oberlech in der Griggeler Stuba (Burg Vital Hotel, 3 Hauben) und zwar genau so, wie es dem Trend, der in Roermond verkündet wurde, entspricht: mit Achtsamkeit auf Bekömmlichkeit, viel Gemüse und Fisch und abseits des Mainstreams.

(Der Text erschien vor kurzem ebenfalls auf vinaria.at)

(ar)