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Contributors: Alexander Rabl (Text) +++ Stefan Fuhrer (Layout)+++
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Montag, 4. Mai 2015

Marc Haberlin und die ewigen 3 Sterne

Der berühmte Sommelier der Auberge de l’Ill ist am Mittag meines Besuches nicht da. Serge Dubs versieht seinen Dienst am Gast nur mehr am Wochenende. Fast entschuldigend weist der Maitre auf das halbleere Lokal an einem spätherbstlichen Mittwoch-Mittag: „Heute ist weniger los. Normalerweise sind wir jeden Mittag ausgebucht.“ Ein Zustand, von dem deutsche oder österreichische Feinschmeckerlokale außerhalb der Städte nur träumen können.
Und noch etwas: Auf den Tischen wird Wein konsumiert und das nicht zu knapp, nicht etwa Fruchtsaft oder Mineralwasser. Die Weinkarte der Haeberlins ist berühmt für ihre Auswahl an Elsässer Rieslingen. Alles, was in Frankreich noch Rang und Namen hat, ist auf ihr selbstverständlich ebenfalls vertreten.
Haeberlin vulgo Auberge de l’Ill ist ein Urgestein. Viele deutsche, französische und letztendlich ein paar österreichische Köche haben dort gelernt. (Die Rede ist von der Oberliga der Köche, die meisten anderen wissen gar nicht, in welchem Land die Auberge liegt. Dass sie ein paar Brocken der dort gepflogenen Sprache beherrschten – nein, dass wäre zu viel.)
Wobei: es muss eigentlich heißen: viele Köche haben bei Köchen gelernt, die bei den Haeberlins gelernt haben. Oder lernen jetzt gerade bei Köchen, die bei Köchen gelernt haben, die bei Haeberlins gelernt haben. Denn dort geht es unter anderem ums Grundsätzliche. Es hat auch heute noch Gültigkeit.
1966 erfand Paul Haeberlin ein Gericht namens Lachs mit Hechtmousse in Rieslingsauce. Es steht auch heute noch auf der Karte, in der Rubrik der Klassiker, die das Restaurant und seine Küche berühmt gemacht haben. Für die Reisenden zu den angesagten Adressen zwischen Spanien und Dänemark hat dieser Teller etwas rührend museales. Bei der Würze ist man zurückhaltend, bei der Butter in der Rieslingsauce hingegen nicht, welche nebstbei mit einer gewitzt dosierten Säure aufwartet, mit deren Hilfe die Gäste in den 60er und 70er Jahren diese Küche locker überlebten.
Dazu gibt es, als weiterer Säurekick, fast püree-artig zerkleinerte Paradeiser und Blätterteig. Blätterteig, ob als Fleuron oder Polster, zählte in der Generation vor und während Witzigmann zu den Grundausstattungen der Feinschmeckerküche. Der Lachs ist von hervorragender Qualität und butterzart, die Hechtmousse fest und straff. Wenn es diesem Gang an etwas fehlt, dann an pointiert eingesetzter Würze. Offenbar konnte man sich damals der Aufmerksamkeit der Gäste sicherer sein als heute und musste nicht mit Gewürzen darum ringen.
Ein anderer Gang, der ebenfalls der Rubrik der klassischen Haeberlin-Gerichte angehört, ist die Foie Gras. Sie wird auf gestoßenem Eis serviert und vor den Gästen mit einem heißen Löffel ausgestochen und auf gekühlten Tellern angerichtet. So behält die Leber dank der niedrig gehaltenen Temperatur bis zu dem Zeitpunkt ihre fest-cremige Konsistenz (und damit ihr feines, dezentes Aroma, durchwirkt von Alkohol und Gewürzen), bis sie im Mund des Gastes landet. Dazu serviert man bei Haeberlins eine gelierte Gemüseconsommée und weder Schokolade, noch Nüsse oder sonst etwas.
Die Rehmedaillons schmecken noch genauso gut wie vor etwas mehr als zwanzig Jahren als ich zum ersten Mal in Illhaeusern zu mittag aß. Überhaupt ist dies das ideale Restaurant für eine ausgedehnte Mittagsmahlzeit. Der Blick in den Garten, wo im Sommer den Gästen der Aperitif serviert wird und wo der Fluss träge unter den Trauerweiden dahinflaniert, ist der ideale Begleiter zu einem Essen, das den Ruf Frankreichs als Feinschmecker-Nation wesentlich mitbegründet hat.
Natürlich gibt es bei Marc Haeberlin auch Zeitgemäßes, doch er übertreibt es nicht. Und erwartungsgemäß haben einige der neuen Kreationen etwas Unentschlossenes, einen Ansatz von Revolution, die aber letztendlich abgesagt wird – wohl unter anderem deshalb, weil es keinen Grund dafür gibt, die Klassiker des Hauses vom Thron zu stürzen.
Schon gar nicht bei den Dessert sehnte ich mich nach den Kreationen der Küche 2.0, die oft mit nervösen Kombinationen des Gastes Sehnsucht nach einem cremig-frisch-süßen Ausgleiten aus dem Essen ignorieren. Perfekt also der Pfirsich „Haeberlin“ mit Champagnersauce. Vielleicht auch, weil es das heute kaum mehr gibt, schmeckt es hier so gut. Der Michelin Frankreich vergab bereits zum 48. Mal die Höchstnote mit drei Sternen. Und das ist, wie die Gebrüder Lorraine in Joigny, das Crocodile in Straßbourg oder Jean-Georges Klein im Baerenthal zuletzt erfahren mussten, in Frankreich keine Sache der Tradition mehr.

www.auberge-de-l-ill.com

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